Monday, December 4, 2023
Nach der Flucht die Abrechnung: Bund und Land und die Kosten der Zuwanderung in Verden
Kreiszeitung
Nach der Flucht die Abrechnung: Bund und Land und die Kosten der Zuwanderung in Verden
Artikel von Ronald Klee •
3 Std.
In einer Sporthalle sind Zelte aufgebaut. Dazwischen laufen Leute in Uniformen verschiedener Hilfsorganisationen umher.
Verden – Der Ukraine-Krieg tobt weiter, aber der Strom der Flüchtlinge vor den russischen Angriffen ist abgeebbt. Menschen auf der Flucht vor Verfolgung und Not suchen dennoch unablässig Aufnahme in Deutschland. Für den aufnahmepflichtigen Landkreis folgen daraus nicht nur organisatorische Aufgaben wie die Unterbringung, die mittlerweile nur noch mit großen Anstrengungen zu bewältigen ist. Am Ende bleibt immer die Frage, wer die Rechnung begleicht. Im Kreishaus hält sich der Optimismus in Grenzen, dass die Erstattungen von Bund und Land ausreichen. Viele Zahlen im Kreishaushalt für 2024, über den der Kreistag am Freitag entscheiden will, geben eine Antwort.
Genau 1684 Menschen, die ihre ukrainische Heimat verlassen haben, sind im Landkreis Verden untergekommen. Als die Kreisverwaltung Anfang des Monats diese Zahl ermittelt hat, ergab sich außerdem, dass derzeit 1741 Geflüchtete aus anderen Ländern im Kreisgebiet eine Zuflucht gefunden haben. Nachgefragt hatte die CDU-Fraktion des Kreistags im Zusammenhang mit den Beratungen zur Haushaltsplanung.
In eine Sporthalle sind Trennwände mit Stoffbahnen gezogen. Sie bilden Räume, in denen Feldbetten bereitstehen.
In eine Sporthalle sind Trennwände mit Stoffbahnen gezogen. Sie bilden Räume, in denen Feldbetten bereitstehen.
© Bereitgestellt von Kreiszeitung
Auch für das kommende Jahr hat das Land bereits die Ankunft weiterer Geflüchteter angekündigt. Bis März sollen es 481 werden, berichtete Landrat Peter Bohlmann im Interview mit unserer Zeitung. Dabei machte er auch deutlich, dass ihre Unterbringung kaum mehr anders gelöst werden könnte, als in Turnhallen wieder Sammelunterkünfte zu schaffen.
Helfer des THW, das Rote Kreuz und andere Organisationen haben während der Flüchtlingswelle vor acht Jahren mit viel ehrenamtlichem Engagement ihren Beitrag geleistet. Darüber hinaus fallen Kosten für Verpflegung, Ausstattung und Sicherheit an und natürlich Mieten, wenn es dann doch mal gelingt, Wohnungen für die Schutzsuchenden zu finden.
„In der Flüchtlingskrise 15/16 wurden die Pauschalen auf der Grundlage der tatsächlichen Durchschnittskosten im Land vor drei Jahren berechnet und bezahlt, erklärt die Leiterin des Fachbereichs Soziales, Ines Niehaus. Wegen der Ausgabensteigerungen sei das dann nicht auskömmlich gewesen, sodass man schließlich mit Abschlägen gearbeitet habe. „Der Berechnungszeitraum liegt jetzt nur noch ein Jahr zurück. Auch bekommen wir die Pauschalen für die tatsächlich im Jahr bei uns aufgenommenen Geflüchteten erst im nächsten Jahr.“
Das klingt einfach. Für Ines Niehaus, die als Budget-Verantwortliche diese Kosten im Griff behalten muss, bleibt es aber kompliziert, weil die betroffenen Menschen unter ganz unterschiedliche Gesetze fallen und die Kosten deshalb auch über ganz unterschiedliche Töpfe abgerechnet werden müssen. Da spielt es keine Rolle, dass die ukrainische Familie Tür an Tür mit den Geflüchteten aus dem Iran lebt. Die osteuropäische Familie bezieht Bürgergeld wie viele bedürftige Bundesbürger. Die iranischen Flüchtlinge noch lange nicht.
Möglicherweise haben sie gerade erst ihren Erstantrag zur Anerkennung als Asylant gestellt. Dann fallen sie unter die Ergebnisse der Bund-Länder-Gespräche im Kanzleramt von ein paar Wochen. Kämmerer René Meinken darf dann mit einer Jahrespauschale von 7500 Euro für jede Person rechnen. Eigentlich sei das eine pauschale Erstattung des Bundes an die Länder, erläutert Bohlmann. Die Länder könnten so ihre Kosten gegenfinanzieren oder zusätzliche Mittel an den Landkreis als Aufnahmebehörde weiterleiten. „Das Land Niedersachsen hat schon signalisiert, zusätzliche Erstattungen im nächsten Jahr vornehmen zu wollen. Wieviel genau das für den Landkreis Verden werden wird, ist noch nicht konkret“, sagt Bohlmann.
Ob das Geld aber reicht, was da im Kreishaus ankommen wird, ist Kämmerer Meinken nicht so sicher. Schon weil einige Kosten von den Zahlungen nicht abgedeckt seien. Etwa wenn für die Unterbringung Plätze vorgehalten werden müssen. Bei Sammelunterkünften werde es zudem nicht ohne Betreuung und Sicherheitspersonal gehen. Auch das sei nicht abgedeckt. Darüber hinaus sei die Befürchtung verbreitet, dass einiges von dem Geld nicht bei den Kommunen ankommen wird.
Wenn die Beispielfamilie aus dem Iran schon im Kreis der Regelleistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist, gesteht das Bundesgesetz dem Landkreis eine Pauschale zu. Für 2023 so berichtet Meinken sei diese „Kostenabgeltungspauschale“ gerade erst auf 10 776 Euro je Person festgesetzt worden. Damit seien sämtliche anfallenden Kosten wie Regel- und Sonderbedarfe, Krankenhilfeleistungen sowie Unterbringungskosten abgegolten, erklärt Meinken. Auch Kosten für die Herrichtung von Unterkünften, Leerstands- und Vorhaltekosten sowie Kosten für den Betrieb von Sammel- und Gemeinschaftsunterkünften wie Sozialbetreuung und Sicherheitsdienste.
Und wenn die Familie aus dem Iran bereits als Asylberechtigte anerkannt ist, wird sie wie die Nachbarn aus der Ukraine zu Bürgergeld-Empfängern. „Rein rechtlich sind für die Kosten der Asylbewerber die Länder beziehungsweise die Kommunen zuständig“, erklärt Niehaus weiter.
Einmalig habe das Land eine Vorauszahlung auf die zu erwartende Abgeltung für 2022 überwiesen. Kämmerer Meinken durfte den Eingang von 1,47 Millionen Euro verbuchen. Weitere vier Millionen Euro seien als Abschlag im März überwiesen worden. Die endgültige Abrechnung sei aber erst in den kommenden Wochen zu erwarten.
Für Unterbringung, Versorgung und alle übrigen Kosten im Zusammenhang mit Kriegsvertriebenen aus der Ukraine hat das Land im Niedersächsischen Aufnahmegesetz 82,5 Millionen Euro an die Landkreise und kreisfreien Städte gezahlt. Der Betrag splittet sich in 72,5 Millionen Euro vom Bund und zehn weitere Millionen aus der Landeskasse auf. „Der Landkreis Verden hat aus dieser Sonderzahlung einen Betrag von 1 374 779,51 Euro erhalten, die am 9. November 2022 eingegangen sind“, hat Ines Niehaus nachgesehen.
Eine weitere Sonderzahlung des Bundes für ukrainische Kriegsvertriebene sei in Höhe von 50 Millionen Euro beschlossen worden. Gemäß dem Niedersächsischen Aufnahmegesetz muss das Land den Landkreisen zur finanziellen Unterstützung bei der Aufnahme und Unterbringung von Kriegsvertriebenen aus der Ukraine zusätzlich zur Kostenabgeltung 50 Millionen Euro auszahlen. Auch das Geld kam an: „Mit Datum vom 9. Juni wurde ein Betrag von 852 228,17 Euro (inklusive 166 103,55 Euro für Unterkunftsaufwendungen überwiesen“, berichtet Niehaus.
Eine weitere Abrechnung orientiere sich an den Belastungen und sorgt dafür, dass das Land 37,5 Millionen Euro für die Unterbringung von Vertriebenen aus der Ukraine auszahlt. Sie ist eine Vorauszahlung auf die erwähnte Kostenabgeltungspauschale für 2022. Vor einem Jahr seien dann 439 786,70 Euro eingegangen.
Der Landkreis hatte Aufwendungen von 365 567,56 Euro gemeldet und die habe das Land auch anerkannt, berichtet Niehaus. Laut Gesetz wird aber anteilig gekürzt, wenn die Anforderungen größer sind als die Summe im Topf. Ein Bescheid liege bisher nicht vor. Niehaus geht aber davon aus, dass der Landkreis einen Teilbetrag aus der Vorauszahlung erstatten muss. Mit einem klaren und nicht eingeschränkten „Nein“ beantwortetet Landrat Bohlmann denn auch die Frage danach, ob das Geld aus Hannover und Berlin im vergangenen und in diesem Jahr die entstandenen Kosten auch abdecken.
Über die genannten Gruppen hinaus gibt es im Themenbereich Zuwanderung auch Personen, die nicht im Asylbewerber-Verfahren sind, aber aus verschiedenen Gründen nicht zurückgeführt werden können. Nicht alle seien Bleibeberechtigte, erklärt Niehaus. Ausreisepflichtige Personen hätten beispielsweise kein Bleiberecht. Diese Personenkreise erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für die Grundkosten, für Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung und die Gesundheitspflege. Zum Monatsbeginn seien 468 Menschen im Landkreis betroffen gewesen, die entweder asylsuchend, antragstellend, geduldet oder ausreisepflichtig waren. „Das allein waren 290 Personen“, berichtet Fachdienstleiterin Niehaus.
„Rechtlich zuständig sind die Länder, was sie richtigerweise aber nicht davon abhält, den Bund an seine finanzielle Mitverantwortung immer wieder zu erinnern“, ergänz Peter Bohlmann. Umgekehrt sei es jedoch problematisch, dass die Kostenerstattungen an die Landkreise nicht immer ausreichen, sodass auch die Kommunen erhebliche finanzielle Beträge beisteuern.
Die Zahl der anerkannten Asylbewerber im Landkreis kann Niehaus aktuell nicht genau nennen. Sie könnten ihren Wohnort frei wählen. Ein Anhaltspunkt für sie ist, dass sich noch knapp 500 von ihnen in den vom Landkreis gestellten Unterkünften befinden. „Die Gesamtzahl der Schutzsuchenden ist aber wesentlich höher, weil beispielsweise die 1750 Ukrainerinnen und Ukrainer fast ausschließlich direkt eine Wohnung bezogen haben.“