Thursday, December 14, 2023

Einigkeit beim Haushalt – Doch bei der Schuldenbremse droht der Ampel neuer Ärger

WELT Einigkeit beim Haushalt – Doch bei der Schuldenbremse droht der Ampel neuer Ärger Artikel von Karsten Seibel • 14 Std. Der Konflikt in der Ampel-Regierung über die Schuldenbremse ist bislang nur aufgeschoben. Kanzler Scholz möchte sie wegen der Fluthilfe für das Ahrtal erneut aussetzen. Doch Finanzminister Lindner bleibt skeptisch – und sendet eine klare Botschaft. Bis zum frühen Morgen soll es im Kanzleramt zwischen Olaf Scholz (SPD) und Christian Lindner (FDP) vor allem um einen Punkt gegangen sein: um die erneute Aussetzung der Schuldenbremse. Nicht wegen des Ukraine-Krieges, sondern wegen der Flutkatastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren. Das Bundesverfassungsgericht habe mit seinem Urteil Mitte November vorgegeben, dass solche Sondervermögen jedes Jahr noch einmal beschlossen werden müssen, sagte der Kanzler wenige Stunden später vor der versammelten Hauptstadtpresse. Dazu liefen „nochmals vertiefte Prüfungen“. „Vertiefte Prüfungen“, das war offensichtlich die Kompromissformel, auf die sich die beiden Politiker geeinigt hatten. Dass Scholz die erneute Aussetzung der Schuldenbremse für den richtigen Weg hält, um auch im nächsten Jahr 2,7 Milliarden Euro für den Wiederaufbau nach der Flut ausgeben zu können, aber nicht aus dem ohnehin knappen Bundeshaushalt bezahlen zu müssen, wurde bei seinen Worten deutlich. Genauso zeigte sich nach der – wenn es gut läuft – letzten Nachtsitzung in diesem Jahr, dass Finanzminister Lindner dies anders sieht. Es sei natürlich das Ziel, den Menschen im Ahrtal „Unterstützung und Rechtssicherheit zu geben“, sagte der FDP-Vorsitzende, als er zur Linken des Kanzlers stand. Jetzt werde aber zunächst einmal überprüft, wie Rechtssicherheit hergestellt werden könne. Dies geschehe „ergebnisoffen“, wurde später aus Kreisen des Finanzministeriums nachgeschoben. Zumal man eine erneute Ausnahme von der Schuldenbremse nur im Konsens mit der größten Oppositionsfraktion im Bundestag beschließen werde, mit den Abgeordneten von CDU und CSU. Jener Fraktion, die mit ihrer Klage gegen das 60-Milliarden-Manöver die Ampel-Regierung überhaupt erst in die jetzige, von sinkenden Umfragewerten begleitete Situation gebracht hatte. Ein erneutes verfassungsrechtliches Risiko möchte Lindner nicht eingehen. Bei 2,7 Milliarden Euro könne man trotz aller Probleme nicht von einer Überforderung des Bundeshaushalts sprechen, hieß es aus seinem Ministerium. An weiteren Vorschlägen dürfte es dort nicht mangeln, um die 2,7 Milliarden Euro an anderer Stelle im Haushalt zu sparen. Konflikt nur aufgeschoben Der Konflikt über die Schuldenbremse zwischen den Ampel-Koalitionären ist nur aufgeschoben – nicht aufgehoben. Weiterer Ärger droht. Bei der Union wird man sich genau anschauen, wie sich Scholz und Lindner und die Vertreter ihrer Parteien in den kommenden Tagen äußern. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Mathias Middelberg (CDU) sagte: „Wir werden uns jeden Antrag auf Aussetzung der Schuldenbremse genau ansehen.“ In Sachen Ahrtal helfe man natürlich gerne. Ob diese Hilfe in ihrem Umfang aber hinreichend „erheblich“ sei, fügte er hinzu, sei rechtlich nicht einfach zu beurteilen. Im Zweifel müssten die Mittel aus dem allgemeinen Haushalt kommen. In dem Punkt sind sich CDU/CSU und die FDP also einig. Unterstützung kommt von Hanno Kube. Der Verfassungsrechtler von der Universität Heidelberg vertrat die CDU/CSU-Fraktion bei der Klage der Union vor dem Bundesverfassungsgericht. „Ein Notlagenbeschluss für die Ahrtal-Hilfe im Jahr 2024 birgt große verfassungsrechtliche Risiken“, sagte er WELT. Die Kosten belasteten den Haushalt 2024 nicht in erheblicher Weise. Zudem seien die Darlegungslasten für eine erneute Aussetzung wegen der mittlerweile vergangenen Zeit nach der Flut hoch. Und noch ein Argument spricht aus Kubes Sicht gegen die erneute Ausrufung einer Notlage: „Die Ausgaben sind voraussehbar und planbar“, sagte er. Aussetzung der Schuldenbremse wegen Ukraine-Konflikt? Der Umgang mit der Ahrtal-Hilfe im nächsten Jahr ist nur der Auftakt zu einem größeren, ebenfalls nur verschobenen Konflikt innerhalb der Ampel-Koalition: der über die Aussetzung der Schuldenbremse wegen des Ukraine-Konflikts. Sollte sich die Lage verschärfen, werde die Regierung darauf reagieren müssen, sagte Scholz. Als mögliche Gründe nannte er nicht nur eine Verschlechterung der Lage an der Front, sondern auch das Zurückfahren von Ukraine-Hilfen durch andere bisherige Unterstützer. Damit kam Scholz seiner Partei verbal zumindest ein Stück näher. Bei den Sozialdemokraten – aber auch bei den Grünen – hatte man in den vergangenen Wochen den Ukraine-Krieg zunehmend in den Mittelpunkt in der Schuldenbremsendebatte gerückt. Der massive und fortdauernde Angriff Russlands auf die Ukraine sei in jedem Fall ein Grund dafür, dass „wir in diesen nicht normalen Zeiten haushälterisch reagieren müssen“, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich Ende November im Bundestag. Im Finanzministerium wies man nach der Bekanntgabe des Kompromisses im Haushaltsstreit darauf hin, dass es „keinen Automatismus“ beim Thema Ukraine-Krieg und der Aussetzung der Schuldenbremse gebe. Lindners Botschaft an die Ampel Die vorgesehenen acht Milliarden Euro im Bundeshaushalt für 2024 sind bisher nicht vollständig verplant. Der deutsche Anteil an den EU-Hilfen, um die es auch beim Gipfel in Brüssel diese Woche gehen wird, ist bereits im Zahlenwerk eingearbeitet. Neue Haushaltslöcher wegen des Ukraine-Krieges sind demnach kurzfristig nicht zu erwarten. Alles andere wird man dann sehen, wenn es so weit ist. „Es ist eine Selbstverständlichkeit, bei einer veränderten Lage neu zu denken“, hieß es aus Lindners Ministerium. Die Botschaft ist klar: Gibt es eine neue „außergewöhnliche Situation“, wie sie im Grundgesetz genannt wird, ist auch die FDP bereit, über eine erneute Aussetzung zu sprechen – aber erst dann. Bei SPD und Grünen hätte man alle Ukraine-Ausgaben am liebsten jetzt schon für 2024 an der Schuldenbremse vorbei gebucht, um mehr Spielraum im Bundeshaushalt für andere Projekte zu haben. Ausgestanden ist dieser Streit noch nicht.