Friday, December 15, 2023

Die leise Gefahr: Wie die moderne Mafia deutsche Städte unterwandert

Merkur Die leise Gefahr: Wie die moderne Mafia deutsche Städte unterwandert Artikel von Peter Sieben • 2 Std. Fullscreen button Razzia im Mai 2023 im Saarland: Auch in anderen Bundesländern war die Polizei gegen mutmaßliche Mafia-Leute vorgegangen. Organisierte Kriminalität Die leise Gefahr: Wie die moderne Mafia deutsche Städte unterwandert Zuletzt gab es in deutschen Städten Razzien gegen Mafiosi. Doch die Strukturen bleiben oft unsichtbar, sagt eine Expertin: Vor allem in einem Punkt unterscheide sich die Mafia von anderen Banden. Berlin/Oxford – Manchmal lauert die Bedrohung bei Kerzenschein und einem Glas Chianti. Die italienische Mafia unterwandert Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland seit Jahren. Oft tarnen sich die Verbrecher als Geschäftsleute, als Restaurantbetreiber oder Pizzabäcker und betreiben ihre illegalen Geschäfte ungesehen. Das muss sich dringend ändern, sagen Experten, denn sonst sei die Demokratie in Gefahr. Italienische Mafia arbeitet anders als Rocker und oder kriminelle Clan-Mitglieder Mafia-Gruppierungen wie die kalabrische ’Ndrangheta oder die sizilianische Cosa Nostra unterscheiden sich vor allem in einem Punkt von anderen Banden der organisierten Kriminalität: Sie sind leise. Rocker knattern auf ihren Harleys durch die Städte, arabische Clan-Kriminelle protzen mit dicken Autos und liefern sich Massenschlägereien. „Aber die italienische Mafia arbeitet im Verborgenen, das ist gut für das Geschäft. Denn dann schauen Polizei und Politik nicht hin“, sagt Soziologin Zora Hauser im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Sie forscht an der britischen Oxford-Universität zur Mafia. „Die laute, gewalttätige Kriminalität wird in Deutschland sehr wahrgenommen. Aber die leisen Strukturen müssen wir unbedingt ernst nehmen.“ Im 19. Jahrhundert entwickelten sich vor allem in Süditalien Banden, die sich nach und nach zusammenschlossen und in andere Länder expandierten. „Die Organisationen haben über 150 Jahre Erfahrung als kriminelle Organisationen“, sagt Hauser. In der Zeit haben sie dazugelernt. „Vor 40 Jahren waren die Mafia-Clans durchaus noch lauter, wie wir das heute vielleicht von kriminellen Mitgliedern arabischer Clans kennen“, erklärt Expertin Zora Hauser. Es gab Schlägereien und Schusswechsel in deutschen Städten. Danach wurde es ruhig, die Banden tauchten ab. Doch die Verbrecher von damals sind immer noch da. „Wir beobachten, dass seit den 2000er Jahren dieselben Menschen Restaurants eröffnen oder Eiscafés haben und scheinbar nichts lllegales tun. Doch sie gehören nach wie vor der Organisation an.“ Promis gingen im Restaurant ein und aus – dann wurde der Besitzer festgenommen Die Mafia ist nach Einschätzung von Sicherheitsbehörden überall in Deutschland aktiv, mehrere Tausend Personen werden ihr zugerechnet. Genaue Zahlen gibt es nicht und die Dunkelziffer ist laut Experten hoch. Sowohl im Westen als auch im Osten operieren sie: Am Donnerstag erst gab es in Köln eine Razzia gegen mutmaßliche Geldwäscher der Mafia. Und im Mai 2023 hatte die Polizei in Thüringens Landeshauptstadt Erfurt bei einer Razzia einen bekannten Restaurantbesitzer festgenommen, der zur ’Ndrangheta gehören soll. 25 Jahre hatte er sein Restaurant dort unbehelligt betrieben, Promis hatten zu den Gästen gehört. Zora Hauser hat mehrere kleine und mittelgroße deutsche Städte unter anderem in Mitteldeutschland untersucht, in denen zuvor Mafia-Geschäftsleute aufgeflogen waren. „Die Bürgermeister der Städte haben mit den Restaurants zusammengearbeitet, für die war eine Restauranteröffnung ja etwas Positives. Dass die Besitzer Kriminelle waren, wussten sie nicht oder wollten es nicht wissen.“ Das System funktioniere deshalb so gut, weil die Gesellschaft es gewähren lasse – aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit. „Die Hauptakteure haben immer einen italienischen Hintergrund. Aber viele Mitarbeiter sind Deutsche. Zum Beispiel Steuerberater. Die sind involviert, manchmal völlig unwissentlich oder weil sie lieber keine Fragen stellen wollen“, sagt Hauser. „Die Mafia ist wie ein Föderalstaat“ Moderne Mafia-Clans arbeiten mit neuen Methoden, sind organisiert wie eine Firma. Ihr Geld machen sie vor allem mit Kokainhandel im ganz großen Stil, Steuerhinterziehung und Erpressung. „Die Mafia ist wie ein Föderalstaat. Es gibt eine übergeordnete Organisation, die einzelnen Clans agieren aber eigenständig“, erklärt Hauser. „Die Zellen treffen in Deutschland autonom Business-Entscheidungen oder rekrutieren neue Leute.“ Dazu nutzen sie modernste Kommunikationssysteme, etwa verschlüsselte Kryptohandys. 2020 infiltrierten Europol-Beamte ein solches System des Anbieters Encrochat. Für die Organisation war der große Ermittlungserfolg am Ende nur ein kleiner Schlag. Wenn ein Clan beschädigt ist, rückt ein anderer nach. „Es sind keine Einzeltäter, sondern Strukturen, die seit Jahrzehnten ununterbrochen existieren. Also irgendetwas funktioniert da mit der Strafverfolgung nicht“, sagt Zora Hauser. Kampf gegen organisierte Kriminalität: Polizeiexperten für Einführung von Bargeldobergrenze In der Tat monieren Polizeiexperten seit Jahren, dass es der organisierten Kriminalität zu leicht gemacht werde. Bei einer Anhörung im NRW-Landtag zum Thema Mitte Dezember sprachen sich Polizeigewerkschafter und Wissenschaftler etwa für die Einführung einer Bargeldobergrenze aus, wie es sie zum Beispiel in Frankreich oder Italien gibt. Viele illegale Geschäfte seien dann nicht mehr möglich. Doch die Mafiosi haben inzwischen neue Geschäftsfelder entwickelt. „Waren von Firmen, die von der Mafia infiltriert sind, werden zum Beispiel italienischen Gastronomen aufgezwungen. Das ist eine moderne Art der Schutzgeld-Erpressung“, erklärt Zora Hauser. Selbstverständlich hätte nicht jedes italienische Restaurant mit der Mafia zu tun, manche aber eben schon. „Die Gastronomen müssen dann zum Beispiel einen gewissen Wein kaufen oder ein bestimmtes Olivenöl in bestimmten Mengen und haben keine Freiheit mehr. Man kann schlecht beweisen, dass das illegal ist.“ So werde die freie Wirtschaft Stück für Stück immer weiter unterwandert.