Monday, December 11, 2023
Asyl, Atomschirm, Bildung, Pflichtjahr, Rentenalter : Das sind die wichtigsten Punkte im neuen CDU-Programm
Tagesspiegel
Asyl, Atomschirm, Bildung, Pflichtjahr, Rentenalter : Das sind die wichtigsten Punkte im neuen CDU-Programm
Artikel von Christopher Ziedler •
10 Std.
Noch ist es nicht beschlossen, aber seit diesem Montag liegt der Entwurf vor: Mit dem neuen Grundsatzprogramm will sich die Union inhaltlich auf eine mögliche Regierungsübernahme vorbereiten.
Der CDU-Chef und sein Grundsatzprogrammschreiber: Im Auftrag von Friedrich Merz (links) hat Generalsekretär Carsten Linnemann in einer Kommission hat das neue inhaltliche Grundgerüst der Partei erarbeitet.
Ein inhaltlich ausgebrannter Kanzlerwahlverein – so lautete das Urteil über die CDU schon vor dem Ende von Angela Merkels 16 Regierungsjahren. Bereits 2018 wurde daran gearbeitet, das Grundsatzprogramm von 2007 zu erneuern. Als es 2020 verabschiedet werden sollte, kam auch Corona dazwischen. Erst nach der verlorenen Bundestagswahl 2021 nahm der Prozess wirklich Fahrt auf.
Jetzt liegt das Ergebnis vor, das bis zum Bundesparteitag im Mai diskutiert und dort beschlossen werden soll. Für Generalsekretär Carsten Linnemann, der auch der Grundsatzprogrammkommission vorsteht und den Entwurf am Montagnachmittag präsentierte, verleiht er jene „Orientierung“, die das Land in dieser unsicheren Zeit brauche, von der Ampelregierung aber nicht bekomme.
Neben ideellen Leitplanken wartet die CDU mit einer Reihe inhaltlicher Neupositionierungen auf, ohne dass sie bereits bis ins letzte Detail ausbuchstabiert wären. Auf jeden Fall lässt sich daraus ablesen, wohin die Partei im Falle einer Regierungsübernahme das Land steuern könnte.
Mehr Sicherheit beim Bund
Nicht nur für mehr Sicherheit will die CDU den ihr so wichtigen Föderalismus, der etwa die Polizeizuständigkeit bei den Ländern sieht, neu ordnen. Bei der Terrorabwehr soll „eine freiwillige Übertragung von Kompetenzen der Gefahrenabwehr auf den Bund oder auf andere Bundesländer ermöglicht werden“. Zur Abwehr von Cyberangriffen sollen die Instrumente dafür auf Bundesebene ausgebaut und europäisch besser vernetzt werden. Für den Krisenfall soll die Notstandsverfassung des Grundgesetzes überarbeitet werden.
Eine besser ausgestattete Bundeswehr soll bei „besonderen Bedrohungslagen“ nicht nur öfter im Inland eingesetzt werden können. Perspektivisch soll mit ihr auch der europäische Pfeiler der Nato deutlich gestärkt werden. Mit Blick darauf, dass die USA einmal dem alten Kontinent den Rücken kehren könnten, soll bei der sogenannten „nuklearen Teilhabe“ mit Briten und Franzosen an „einem gemeinsamen atomaren Schutzschirm“ gearbeitet werden.
Mit einem Nationalen Sicherheitsrat im Kanzleramt, mehr Videoüberwachung und einem Vorrang des Opferschutzes vor dem Datenschutz von Straftätern finden sich freilich auch Forderungen in dem Grundsatzpapier, die CDU-Leute schon früher in die Welt gesetzt haben. Die Justiz soll in Zukunft jedoch schneller urteilen und nach dem Willen der CDU häufiger beschleunigte Verfahren anwenden, denn: „Die Strafe muss auf dem Fuße folgen.“
Flüchtlingsschutz in Drittländern
Beim Thema Migration finden sich viele Vorschläge, die schon die Debatte der jüngsten Zeit geprägt haben – so etwa, dass Asylanträge perspektivisch nur noch an den EU-Außengrenzen oder in Drittstaaten gestellt werden dürfen. Neu steht im Grundsatzprogramm, dass Flüchtlinge auf Grundlage noch zu schließender Vereinbarungen auch dort Schutz finden sollen, nur ein Teil davon soll über Kontingente nach Europa geholt werden. „Bis zu einem funktionierenden Außengrenzschutz“, der nicht näher definiert wird, „müssen Grenzkontrollen an den Binnengrenzen möglich bleiben.“
Im Kampf gegen religiösen Extremismus setzt sich die CDU nun klar ab von den Worten des früheren christdemokratischen Bundespräsidenten Christian Wulff, der einst sagte „Der Islam gehört zu Deutschland“. Im Programmentwurf heißt es: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“. Die Christdemokraten wünschen sich „ein lebendiges Gemeindeleben auf dem Boden des Grundgesetzes“ und wollen dazu auch „Alternativen zur Auslandsfinanzierung von Moscheegemeinden“ bereitstellen. Für Zugewanderte soll es zudem „verpflichtende individuelle Integrationsvereinbarungen“ geben
Leitkultur und Pflichtjahr
Der Begriff der „Leitkultur“ nimmt in diesem Zusammenhang ebenfalls größeren Raum ein, zu der die Christdemokraten auch das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels zählen. Die CDU setzt dabei vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte auf einen „weltoffenen Patriotismus“. Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle Schulabgänger, wie es auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will, soll den Zusammenhalt stärken.
In den Bereichen Arbeit und Soziales, in denen die CDU sogar nach eigenem Bekunden bei der Wahl 2021 besonders schwach auf der Brust war, gibt sie sich viel Mühe ihr Profil zu schärfen. „Starke Schultern müssen weiterhin mehr tragen“, stellt die CDU fest. Der Staat soll auch weiter „mit voller Kraft“ für „alle da sein, die Hilfe brauchen“. Doch erwartet die Partei auch einen großen eigenverantwortlichen Beitrag der Bürgerinnen und Bürger ab. „Der Grundsatz Fördern und Fordern muss immer gelten“, heißt es im Grundsatzprogramm.
Mehr arbeiten, mehr Geld
Konkret leitet sich daraus eine stärkere Kürzung des Bürgergelds beim Ausschlagen von Alternativen ab, wie es Linnemann kürzlich im Interview mit dem Tagesspiegel ausbuchstabiert hat. „Wer arbeitsfähig ist und sich angebotener Arbeit, Ausbildung oder Qualifizierung verweigert, muss finanziell spürbar schlechter stehen als jemand, der sich aktiv um Arbeit bemüht“, lautet der passende Satz im Programmentwurf: „Das ist Solidarität gegenüber denjenigen, die arbeiten und mit ihren Steuern und Abgaben die Sozialleistungen finanzieren“. Die „arbeitende Mitte“ soll zudem steuerlich entlastet werden.
Mehr zu arbeiten, soll nach CDU-Wunsch insgesamt attraktiver werden. So sollen „Überstunden bei Vollzeitbeschäftigung steuerfrei“ gestellt werden – genauso wie „bis zu einem bestimmten Betrag“ die freiwillige Weiterarbeit im Rentenalter“. Linnemann hatte 2000 Euro im Monat genannt. Zur Mehrarbeit gehört auch, dass die Christdemokraten „die Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung gekoppelt“ sehen möchten – wobei es für „Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht oder nur noch teilweise bis zur Regelaltersgrenze arbeiten können“ auch „passgenaue Lösungen“ geben soll. Damit in Zukunft jeder genug im Alter hat, will die CDU „eine verpflichtende zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge einführen“.
Bildungsrevolution?
Fast revolutionär für die CDU, die stets für „Wettbewerbs-Föderalismus“ stand, sind die bildungspolitischen Vorschläge. „Die Bundesländer müssen im Bildungsbereich stärker zusammenarbeiten“ heißt es da: „Es braucht besser aufeinander abgestimmte und vergleichbare Schulsysteme.“ Erreicht werden soll das über ein Kooperationsgebot zwischen den Ländern, was wohl eine Änderung des Grundgesetzes nötig machen dürfte, sowie eine Reform der Kultusministerkonferenz: „Die Länder sollen verbindliche bundeseinheitliche Qualitätsmindeststandards festlegen.“
Mit Blick auf die große Integrationsaufgabe, die dem Bildungssektor zukommt, soll es nach dem Willen der CDU in Deutschland auch eine Vorschulpflicht geben – und zwar für jene Kinder, die zusätzliche Sprachförderung benötigen. Ob das der Fall ist, soll im Alter von vier Jahren durch einen einheitlichen und verpflichtenden Sprachtest ermittelt werden.
Steuerreform für Unternehmen
Die Wirtschaftspartei CDU kommt in dem Grundsatzpapier ebenfalls zu Wort, allerdings mit weniger überraschenden Positionierungen. Beim Klimaschutz setzt sie vor allem auf den Emissionshandel und Technologieoffenheit, die auch moderne Atomkraftwerke umfasst. Der Unternehmergeist soll mit „Gründerschutzzonen“ gefördert werden, der CDU schweben „bürokratie- und regulierungsfreie Räume“ in den ersten zwei Jahren vor. Alle Firmen sollen von einer Steuerreform profitieren: „Wir wollen eine rechtsformneutrale Unternehmensbesteuerung auf den Weg bringen.“
Der Staat selbst soll schlanker und schneller werden. Die CDU will weniger Regierungsposten und dass Bundestagsabgeordnete nicht ihre eigenen Bezüge festlegen dürfen, sondern immer nur jene ihrer Nachfolger. Es soll nur noch zwei Termine im Jahr geben, zu denen neue Gesetze in Kraft treten – am 1. Januar sowie am 1. Juli. „Bundesexperimentierräume“ sollen Städten oder Landkreisen ermöglichen, Probleme unkonventionell in den Griff zu bekommen – was Erfolg hat, soll dann bundesweit übernommen werden.