Sunday, December 10, 2023
Argentiniens neuer Präsident Javier Milei: »Es gibt keine Alternative zur Schocktherapie. Wir haben kein Geld.«
DER SPIEGEL
Argentiniens neuer Präsident Javier Milei: »Es gibt keine Alternative zur Schocktherapie. Wir haben kein Geld.«
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Der für seine exzentrische Wortwahl bekannte Javier Milei ist Argentiniens neuer Präsident. Zur Amtseinführung kam auch Wolodymyr Selenskyj – mit einem Dank und einer klaren Mission.
Sein Wahlkampf war geprägt durch markige Sprüche sowie den strategisch geschickten Einsatz der sozialen Medien – und damit hatte Javier Milei Erfolg: Der exzentrische Wirtschaftswissenschaftler, der erst 2021 in die Politik eingestiegen war, gewann Argentiniens Präsidentschaftswahl im November. Zuvor hatte er unter anderem versprochen, den Staat auf ein Minimum zu verkleinern und zahlreiche Ministerien abzuschaffen. Nun hat der 53-jährige ultraliberale Ökonom sein Amt als argentinischer Präsident angetreten. Inmitten einer schweren Wirtschaftskrise wurde Milei vor dem Parlament in Buenos Aires vereidigt.
»Heute fängt eine neue Ära an. Heute beginnt der Wiederaufbau Argentiniens«, sagte Milei in seiner Antrittsrede auf den Stufen des Kongresses. »Es gibt keine Alternative zum Sparprogramm, es gibt keine Alternative zur Schocktherapie. Ich sage es wieder: Wir haben kein Geld.«
Zu der Zeremonie waren unter anderen Spaniens König Felipe VI., der chilenische Präsident Gabriel Boric, Uruguays Staatschef Luis Lacalle Pou, der paraguayische Präsident Santiago Peña und der ungarische Regierungschef Viktor Orban in die argentinische Hauptstadt gekommen. Am Sonntag jährte sich auch Argentiniens Rückkehr zur Demokratie nach der Militärdiktatur zum 40. Mal. »Es lebe die Freiheit, verdammt nochmal«, rief Milei zum Abschluss der Rede seinen jubelnden Anhängern zu.
Wolodymyr Selenskyj: »Für seine klare Haltung gedankt«
Für Aufsehen sorgte der Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Buenos Aires. Es war das erste Mal seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf sein Land, dass der Regierungschef nach Südamerika reiste. Im Gegensatz zur linken Vorgängerregierung in Buenos Aires gilt Milei als entschlossener Unterstützer der Ukraine.
Gleich nach seinem Wahlsieg vor drei Wochen hatten die beiden telefoniert. »Ich habe ihm für seine klare Haltung gedankt. Kein Abwägen zwischen Gut und Böse. Nur eine klare Unterstützung für die Ukraine. Das wird von den Ukrainern sehr wohl wahrgenommen und geschätzt«, schrieb Selenskyj damals auf der Plattform X, ehemals Twitter.
Mit seiner Reise nach Argentinien dürfte sich Selenskyj die Unterstützung von Ländern des sogenannten Globalen Südens sichern wollen. Viele von ihnen tun sich schwer, die harte Linie westlicher Industrienationen gegenüber Russland mitzutragen. So hat der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den russischen Überfall auf die Ukraine zwar kritisiert, mit deutlichen Worten gegenüber Moskau hält er sich aber zurück. Zuletzt warb er wiederholt für eine internationale Vermittlungsinitiative zur Beilegung des Krieges in der Ukraine, ohne bislang allerdings konkrete Vorschläge zu unterbreiten.
Bei Mileis Amtseinführung hatte Selenskyj die Gelegenheit, mehrere konservative Regierungschefs aus der Region zu treffen, die ebenfalls auf der Seite der Ukraine stehen. Dazu zählen Uruguays Staatschef Lacalle Pou, der paraguayische Präsident Peña und Ecuadors Staatschef Daniel Noboa.
»Ich hoffe, so viele lateinamerikanische Länder wie möglich bei den nächsten Gesprächen über die Friedensformel im Januar 2024 in der Schweiz zu sehen«, schrieb Selenskyj auf X. »Die Unterstützung und die starke gemeinsame Stimme der lateinamerikanischen Länder, die dem ukrainischen Volk in seinem Kampf für Freiheit und Demokratie zur Seite stehen, ist für uns sehr wichtig.«
Kommt der US-Dollar als Zahlungsmittel?
Milei hatte die Wahl in Argentinien mit exzentrischem Gebaren und radikalen Forderungen nach einer politischen und wirtschaftlichen Kehrtwende gewonnen. Er kündigte an, viele Ministerien abzuschaffen und die Sozialausgaben drastisch zu kürzen.
Außerdem war eines seiner wichtigsten Versprechen im Wahlkampf, den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel einzuführen, um die Inflation zu bekämpfen, die 2023 zeitweise über 140 Prozent betrug. Das hat Milei offenbar erst einmal zurückgestellt. In den vergangenen Wochen erwähnte er sein früheres Herzensprojekt kaum noch. »Das ist nur realistisch, denn das Land verfügt einfach nicht über genügend Devisen, um eine Dollarisierung vernünftig umzusetzen«, sagte der argentinische Wirtschaftswissenschaftler Eduardo Levy Yeyati.
Die geplante Schließung der Zentralbank scheint vorerst auch vom Tisch zu sein. Milei hat in der vergangenen Woche einen neuen obersten Währungshüter ernannt: den Ökonomen Santiago Bausili.
Auch bei anderen Themen hat sich Milei mittlerweile im Ton deutlich gemäßigt und viele seiner ursprünglichen Pläne aufgeschoben oder abgeschwächt. Zudem holte er eine Reihe erfahrener Politiker in sein Kabinett, die er zuvor als Mitglieder der von ihm verachteten »Kaste« geschmäht hatte. Da er im Parlament über keine Mehrheit verfügt, muss Milei ohnehin Allianzen bilden.
Gleich nach Amtsantritt will er ein umfangreiches Gesetzespaket ins Parlament einbringen, das den argentinischen Staat grundlegend umbauen soll. Dazu gehören eine deutliche Reduzierung von Ministerien und Behörden, die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und ein starker Bürokratieabbau zu Erleichterung von Investitionen. »Ich weiß nicht, wie viele Gesetze wir aufheben werden, aber es werden sehr viele sein«, sagte die neue Außenministerin Diana Mondino.
Der neue Präsident übernimmt Argentinien in einer schweren Wirtschaftskrise. Rund 40 Prozent der Menschen in dem einst reichen Land leben unterhalb der Armutsgrenze. Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Die Landeswährung Peso verliert gegenüber dem US-Dollar immer weiter an Wert, der Schuldenberg wächst ständig.