Friday, September 22, 2023
Ukrainische Erfolge gegen den „Triumph“: Russlands Lufthoheit bröckelt – und die Nato profitiert
FR
Ukrainische Erfolge gegen den „Triumph“: Russlands Lufthoheit bröckelt – und die Nato profitiert
Artikel von Karsten Hinzmann •
34 Min.
Krieg auf der Krim
Ukrainische Erfolge gegen den „Triumph“: Russlands Lufthoheit bröckelt – und die Nato profitiert
Raketensystem des Typs «S-400 Triumph» bei einer Parade auf dem Roten Platz in Moskau.
Lücken in der Luftverteidigung: Ukrainischen Drohnen knacken den Stolz von Russlands Raketentechnik – und erobern sich den Luftraum über der Krim zurück.
Sewastopol – Der Himmel wird löchrig über der Krim; den russischen Invasoren der Halbinsel könnte die Lufthoheit über der Halbinsel entgleiten. Angeblich hat die Ukraine jetzt einige mobile Startrampen der russischen Luftabwehr mitsamt deren Radaranlagen ausgeschaltet; das berichten mehrere Quellen, darunter der Kiew Independent unter Berufung auf den holländischen Investigativ-Blog Oryx, der in seinen regelmäßig veröffentlichten Listen beschädigter russischer Technik auch Teile von S-400-Raketen und -Radaranlagen aufführt.
Die nächsten Rückschläge für Russland im Ukraine-Krieg. Mindestens 100 dieser russischen Luftabwehr-Raketen-Systeme seien auf der Krim stationiert, schätzt das International Institute for Strategic Studies. Die Ukraine behauptet jetzt, sie hätte mindestens die Hälfte davon zerstört.
Verluste durch Ukraine-Offensive: Russlands S-400 soll Krim eigentlich zur Festung machen
Die jüngste Attacke im Ukraine-Krieg richtete sich gegen die Boden-Luft-Rakete S-400 – den Stolz der russischen Luftabwehr auf der Krim mit der internen Bezeichnung „Triumph“. Doch nun die herben Verluste durch die Ukraine-Offensive: Zwei von vier Bataillonen mit S-400-Rampen will die Ukraine vernichtet oder zumindest schwer beschädigt haben. Ein Bataillon besteht aus acht Batterien zu jeweils bis zu zwölf mobilen Vierer-Abschussrampen, samt Radar-Anlagen und Kommando-Fahrzeugen.
Die S-400 sollten die Krim zu einer uneinnehmbaren Festung verstärken, können sich aber offenbar gegen den Einfallsreichtum der Ukraine nur schwer behaupten. Das russische Online-Magazin Topwar zitierte gleichzeitig mit der Verlegung des Systems in die Ukraine einen chinesischen Journalisten mit der Behauptung: „Wenn ein S-400-Luftverteidigungssystem zerstört wird, verliert die US-Luftwaffe bis zu zehn F-35-Stealth-Jäger.“ Das hat die Ukraine jetzt wohl widerlegt.
Demütigung: Auch Putin-Verbündete in der Türkei setzen auf die Triumph
Pikant an den Meldungen von der Krim ist, dass neuerdings auch der Luftraum der Nato mit S-400 verteidigt wird: Die Türkei hatte 2019 dieses System von den Russen erworben, weil die Amerikaner ihrem Nato-Partner keine Patriot-Raketen verkaufen wollten. Die Türken mögen sich jetzt also möglicherweise die Augen gerieben haben, wie leicht der Stolz der russischen Luftabwehr zu knacken ist. Sogar von einer „Demütigung“ des russischen Militärs spricht der englische Militärexperte Sidharth Kaushal gegenüber Newsweek.
Gegenoffensive der Ukraine: Kleine Drohnen verbreiten verheerende Wirkung
Der Kniff der Ukraine bei ihrer erfolgreichen Gegenoffensive liegt wohl im Mix der Waffensysteme – neben den verschiedenen Marschflugkörpern aus französischer, britischer und amerikanischer Produktion nutzen sie auch rund 40 verschiedene Drohnen-Typen. Nahe Jewpatorija auf der Krim sollen ukrainische Drohnen zunächst Radar und Antennen einer S-400-Einheit zerstört haben und Marschflugkörper anschließend die eigentlichen Raketen; das berichtet die Ukrainska Pravda unter Bezug auf ukrainische Sicherheitsbehörden. Eine weitere S-400-Einheit soll die Ukraine mit einer umgebauten R-360 Neptun Anti-Schiffs-Rakete zerstört haben – dieses Modell versenkte 2022 das russische Flagschiff Moskwa. Die ukrainischen Verteidiger wollen mit ihren Attacken gegen die Krim und die dort stationierte Schwarzmeer-Flotte vor allem Russlands Präsident Wladimir Putin stürzen.
Die Krim wurde bereits 2014 von Russland besetzt und bildet den Brückenkopf von Putins Fantasien, die Ukraine in die Russische Föderation einzugliedern – und genauso von seinem Vorhaben, mittels der Kontrolle über das Schwarze Meer international wieder als Seemacht aufzutrumpfen. Der Auslöser der aktuellen Auseinandersetzungen wurzelt tief in der russischen Geschichte, so die ukrainischen und deutschen Historiker Oleksandr Donik und Rainer Lindner: „Nach einem illegitimen Referendum über den Status der Krim im März 2014 wurde unter Verstoß gegen das Völkerrecht beschlossen, die Krim an Russland anzuschließen.
Am 18. März 2014 verabschiedete die Staatsduma der Russischen Föderation den Vertrag über den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation. Am 21. März 2014 unterzeichnete Wladimir Putin ein Dekret, das diesen Vertrag ratifizierte und der Krim den Status eines Föderalen Bezirks innerhalb der Russischen Föderation verlieh. Das war der Auftakt zur späteren Invasion der Ukraine.
Verteidigung der Krim im Ukraine-Krieg: Russland setzt auf S-400
Um diese Zwangsgemeinschaft zu manifestieren, kam auch die S-400 Ende 2021 zu ihrem ersten Kriegseinsatz. Nach dem jüngsten Schlag der Ukraine sehen amerikanische Militärexperten aber einen Silberstreif am Horizont – so Can Kasapoğlu vom konservativen Thinktank Hudson Institute: Ihm zufolge sei die S-400-Radartechnik verwundbar durch kleine oder tief fliegende Angreifer; er vermisse auch russische Anpassungen an die Taktik der Ukrainer mit Drohnen anzugreifen und sehe eben darin die große Chance. Kasapoğlu: Weitere Erfolge gegen das russische Radar „werden Veränderungen in der Lufthoheit bewirken und auch in der Schlacht am Boden spürbar werden“.