Friday, September 22, 2023
Selenskyj warnt im US-Kongress – „... dann verlieren wir den Krieg“
WELT
Selenskyj warnt im US-Kongress – „... dann verlieren wir den Krieg“
Artikel von Stefanie Bolzen •
16 Std.
Wolodymyr Selenskyjs zweiter USA-Besuch seit Kriegsbeginn verläuft nüchterner als der erste: Statt Euphorie herrschen in Washington ernste Töne. US-Republikaner blockieren neue Militärhilfe für die Ukraine. Und das könnte bald Folgen haben.
Selenskyj nach einer Unterredung in Washington – „Sind die Ukrainer näher an einem Sieg als vor sechs Monaten?“
Auf den Tag neun Monate ist es her, dass Wolodymyr Selenskyj für seine Ansprache im US-Kongress von Senatoren und Abgeordneten gefeiert wurde und sogar eine ukrainische Flagge am Sprecherpult ausrollte. An diesem Donnerstag hingegen fand sein Besuch hinter geschlossenen Türen statt. „Wir hatten ein großartiges Gespräch“, sagt der Ukrainer kurz zu wartenden Reportern, als er seine Unterredung im Senat verließ.
Seit Januar haben die Republikaner im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit. Nun muss bis Ende September ein neuer Haushalt durch den Kongress. Die darin enthaltenen Milliardenhilfen für die Ukraine nutzt der rechte Parteiflügel, um Druck zu machen auf Joe Biden als auch innerparteilich auf den eigenen, von ihm verhassten Vorsitzenden Kevin McCarthy. Statt großer Worte gibt es in Washington daher derzeit knappe Ansagen zu den Folgen, sollten die USA ihre Unterstützung runterfahren. „Ich zitiere ihn wortwörtlich. Herr Selenskyj sagte: ,Wenn wir die Hilfen nicht bekommen, verlieren wir den Krieg‘“, so Demokrat Chuck Schumer, Mehrheitsführer des Senats, nach dem Treffen mit dem Ukrainer.
Präsident Biden hat den Kongress um weitere 24 Milliarden US-Dollar gebeten, damit sich die Ukraine gegen Wladimir Putins Truppen verteidigen kann. Wie aufgebracht die Stimmung bei einem Teil der Republikaner ist, macht ein Brief deutlich, den 23 Abgeordnete und sechs Senatoren am Vortag von Selenskyjs Besuch an das Weiße Haus schickten.
Umgerechnet 107 Milliarden Euro seien seit Kriegsbeginn an die Ukraine geflossen. „Die amerikanischen Bürger verdienen zu erfahren, was aus ihrem Geld geworden ist. Sind die Ukrainer näher an einem Sieg als vor sechs Monaten? Was ist unsere Strategie, was ist der Ausstiegsplan des Präsidenten?“, heißt es in dem Brief. Unbefristete Zusagen an Kiew widersprächen der Verantwortung der Abgeordneten.
Wolodymyr Selenskyj mit seiner Frau, Olena Selenska, bei einer Kranzniederlegung am „9/11 Pentagon Memorial“ in Washington dpa/Andrew Harnik
Beim Treffen mit McCarthy und Abgeordneten versuchte Selenskyj zu versichern, dass die Gegenoffensive zwar langsam vorangehe, aber zum Sieg führen werde. Michael McCaul, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, betonte danach, die Mehrheit der Republikaner stünde noch immer hinter der Ukraine.
Selenskyj traf am Mittag Ortszeit auch Verteidigungsminister Lloyd Austin und sollte danach drei Stunden im Weißen Haus Gespräche führen, zunächst mit dem Präsidenten unter vier Augen. Wie wichtig Biden den Besuch von Selenskyj angesichts der Blockade im Kongress nimmt, verdeutlicht ein Treffen vom Vortag. Der US-Präsident schickte Verteidigungsminister Austin, CIA-Direktor Bill Burns und Vize-Außenministerin Victoria Nuland ins Kapitol. Hinter geschlossenen Türen argumentierte das Trio, wieso die Finanzhilfe für die Ukraine nicht nachlassen dürfe. Der republikanische Senator Josh Hawley zeigte sich nach dem Gespräch nicht überzeugt: „Es ist noch nicht zu Ende. Was uns im Grunde genommen gesagt wird, ist: ,Schnallt euch an und holt euer Scheckbuch raus.‘“
Der ukrainische Präsident wollte dem Vernehmen nach Biden am Donnerstag erneut um die Lieferung von Boden-Boden-Raketen bitten, sogenannten Atacms. Bisher hält sich die US-Administration sehr bedeckt und verweist auf Briten und Franzosen, die solche „effektiven“ Waffen bereits für die ukrainische Front liefern. „Die Atacms kommen heute nicht, aber sie sind nicht vom Tisch“, erklärte Sicherheitsberater Jack Sullivan am Mittag im Weißen Haus. Biden werde Selenskyj bei dem Treffen am Donnerstag aber weitere Luftverteidigungssysteme, Munition für Himars-Raketenwerfer und Artillerie zusagen.