Friday, September 22, 2023

Landtagswahl im Oktober - „Weltfremde Verbotspartei“? So unbeliebt sind die Grünen in Bayern wirklich

Landtagswahl im Oktober - „Weltfremde Verbotspartei“? So unbeliebt sind die Grünen in Bayern wirklich Artikel von Von FOCUS-online-Redakteurin Anna Schmid • 1 Std. Die Grünen in Bayern. Die Grünen sind in Bayern unbeliebt, für viele ein Feindbild. Zuletzt gab es Berichte, die genau in diese Kerbe schlagen. In Bierzelten mag die Stimmung aufgeheizt sein. Doch ein Blick auf aktuelle Umfragen zeigt: So dramatisch ist die Lage dann doch nicht. „Nobody's Darling“, Niemandes Liebling. So betitelte die „Zeit“ die Grünen in Bayern vor kurzem. Es ist in dem Artikel die Rede von einer Partei, die vielen zum Feindbild tauge. Von Grünen-Politikern, die bei ihren Auftritten ausgebuht werden. Wahrscheinlich würden das einige, die in den vergangenen Tagen beim Stammtisch oder im Bierzelt saßen, genau so unterschreiben. Doch Tatsache ist: So schlecht kommen die Grünen bei den Menschen im Freistaat gar nicht an. „Der Stand der Partei ist in Bayern relativ stabil - sie werden wohl doch 'Somebody's Darling' sein“, sagt Gero Neugebauer im Gespräch mit FOCUS online. Der pensionierte Politikwissenschaftler, der früher an der Freien Universität in Berlin tätig war, verweist bei seiner Bewertung auf aktuelle Umfragen. Ob Insa, Civey, GMS oder Forsa - die Grünen liegen in Bayern seit Monaten konstant bei 14 bis 15 Prozent. Das bedeutet: Jeder Siebte würde sein Kreuz bei der Klimapartei machen, wenn nächsten Sonntag Landtagswahl wäre. Am 8. Oktober wählt Bayern einen neuen Landtag Damit konkurrieren die Grünen mit den Freien Wählern und der AfD um den zweiten Platz hinter der CSU. Die kommt in Umfragen auf 36 bis 38 Prozent, liegt also weit vor den anderen Parteien. Bald wird sich zeigen, ob die Befragungen die Realität abbilden. Am 8. Oktober wählt Bayern einen neuen Landtag, sämtliche Parteien betreiben fleißig Wahlkampf. Nicht jeder hat sich schon entschieden, wem er seine Stimme geben wird. Die Umfragen sind in erster Linie Stimmungsbilder. Politologe Neugebauer glaubt, dass die Grünen ihre Wähler vor allem in Großstädten und Metropolregionen wie München und Nürnberg gewinnen werden. „Weniger in der Oberpfalz oder Niederbayern“, sagt er. Die „Bundeszentrale für politische Bildung“ (bpb) hat zusammengefasst, was die Wählerschaft der Grünen auszeichnet. Die Autoren stützen sich dabei auf die Ergebnisse der Bundestagswahl 2021, aber auch allgemeine Forschung zu diesem Thema. Das Gros der Grünen-Wähler ist demnach weiblich, gebildet und verdient überdurchschnittlich. Ihre Hochburgen hat die Partei der Analyse zufolge in den „urbanen Zentren der alten Bundesrepublik“, vor allem in Universitätsstädten. München und Nürnberg passen in dieses Bild. „Konservative und Liberale haben die Grünen als Feindbild entdeckt“ Dass Grünen-Wähler häufig in Städten leben, macht Sinn. Wenn zum Beispiel der öffentliche Nahverkehr gefördert werden soll, profitieren Stadtbewohner davon mehr als Menschen, die auf dem Land leben. Sie sind in der Regel auf ein Auto angewiesen. Aber auch in bayerischen Städten herrscht Unmut über die Grünen. In Gaststätten wird über die Partei geschimpft, in den Fußgängerzonen hängen beschmierte Wahlplakate. Politisch hagelt es Kritik. Ministerpräsident Markus Söder (CDSU) stichelte erst vor wenigen Tagen beim politischen Gillamoos: „Die Grünen passen mit ihrem Weltbild nicht zu Bayern und deshalb wird es keine grüne Staatsregierung geben.“ Sie würden die Bürger „umerziehen“ und ihnen alles Mögliche „verbieten“ wollen. Natürlich ist das absichtlich provokant formuliert. Gegen andere Parteien zu schießen, gehört zum Wahlkampf, nicht nur für die CSU. Doch Söder ist nicht allein. Der Politologe Marcel Lewandowsky, der sich unter anderem mit Populismus und Parteiensystemen beschäftigt, hält solche Parolen für ein bundesweites Phänomen. „Konservative und Liberale haben die Grünen als Feindbild entdeckt, um ihr eigenes Profil zu schärfen. Sie zeichnen sie als weltfremde Verbotspartei“, sagt er im Gespräch mit FOCUS online. Grüne passen vor allem nicht ins Weltbild der CSU Das scheint in Teilen zu funktionieren. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, sind die Umfragewerte der Grünen in den meisten Bundesländern gesunken. Die Kritik am Gebäudeenergiegesetz, die Graichen-Affäre, der Dauerstreit in der Koalition - „das verfängt“, sagt Lewandowsky. Allerdings: Die sinkende Popularität ist kein „grünes“ Phänomen. Auch die anderen Ampel-Parteien schwächeln. Letztlich stellt sich die Frage, ob die Grünen in Bayern durch die viele Kritik und die offensichtlichen Fehler, die sie im Bund gemacht haben, wirklich zum „Feindbild“ geworden sind - zu Niemandes Liebling. Und ja: Natürlich gibt es Menschen im Freistaat, die mit der Klimapartei wenig anfangen können. Manche zeigen ihre Ablehnung ganz öffentlich. Zum Beispiel, als Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ein Festzelt am Chiemsee besuchte. Der Grünen-Politiker wurde mit einem Pfeifkonzert empfangen, am Eingang standen zwei Männer und verkauften Gurken, Tomaten und Steine als „Wurfgeschosse“. Allerdings sind solche Störer nichts Ungewöhnliches. Im niedersächsischen Landtagswahlkampf, der im vergangenen Jahr stattfand, klagten Parteien ebenfalls über aggressive Zwischenrufe bei Wahlveranstaltungen, zum Beispiel die SPD. Und auch Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde schon ausgebuht und ausgepfiffen, unter anderem beim Bundestagswahlkampf 2017. Lesen Sie auch: Allein in Berlin rund 2500 Verfahren - Klimakleber drehen vor Gericht den Spieß um und spielen mit dem Rechtsstaat CSU lebt davon, sich mit Bayern zu identifizieren Politologe Neugebauer findet den Begriff „Feindbild“ zu stark, auch wenn er „Feindverhältnisse“ nicht ausschließen würde. „Brüllen, Pfeifen und Grölen gehören zu einer bestimmten Bierzeltkultur, offenbaren aber auch einen erheblichen Mangel an einem Verständnis von politischer Streitkultur.“ Gleichzeitig ist Neugebauer überzeugt, dass sich Söder irrt, „wenn er glaubt, Bashing würde ihm Stimmen bescheren“. Fest steht: Die Grünen konkurrieren in Bayern um den zweiten Platz hinter der CSU. 2018 kamen sie auf 17,6 Prozent - ob sie dieses Ergebnis bei der kommenden Landtagswahl halten können, ist fraglich. Sie müssen sich vor allem gegen AfD und Freie Wähler behaupten. Ob das gelingt, wird sich bei der Landtagswahl zeigen. Spannend wird auch, ob die AfD, die zuletzt hohe Zustimmungswerte in Umfragen erzielte, die Prognosen in echte Wählerstimmen umsetzen kann. Politologe prophezeit große Veränderung in Bayern Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für die „Augsburger Allgemeine“ und den „Spiegel“ prognostiziert jedenfalls ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Freie Wähler und Grüne kamen jeweils auf 14 Prozent, die AfD auf 13, die CSU auf 38 Prozent. Für Politologe Lewandowsky ist vor dem Hintergrund der Landtagswahl vor allem ein Punkt interessant. In seinen Augen steht Bayern langfristig vor großen Veränderungen. Die CSU, sagt er, lebt davon, sich vollends mit Bayern zu identifizieren. „Über Jahrzehnte hatte das auch eine gewisse Berechtigung, weil die Partei vergleichsweise hohe Wahlergebnisse einfuhr. Die absolute Mehrheit war praktisch der Standard. Diese Zeiten dürften vorbei sein.“ Lewandowsky geht davon aus, dass Bayern auf ein „Mehrparteiensystem“ zusteuert. Vergleichbar mit Nordrhein-Westfalen, wo die SPD vor einigen Jahren ihre Vormachtstellung eingebüßt hat. Heute regiert dort eine schwarz-grüne Koalition - unter Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU).