Sunday, February 9, 2025
Was wir gegen Trumps Zölle tun können
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Was wir gegen Trumps Zölle tun können
Hendrik Kafsack • 4 Std. • 7 Minuten Lesezeit
US-Präsident Donald Trump ärgert sich über deutsche Autoexporte in die Vereinigten Staaten.
Es war als reines Spitzentreffen zur Verteidigung gedacht, am Ende aber redeten die EU-Staats- und -Regierungschefs Anfang der Woche in Brüssel dann doch viel über Handel und die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und Donald Trump. Luxemburgs Premierminister Luc Frieden betonte vor dem Treffen: „Wir sind nicht schwächer als die Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn jemand einen Handelskrieg will, dann kriegt er ihn.“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte, die EU könne auf „Zollpolitiken mit Zollpolitiken reagieren“. „Wenn wir gezielt unfair oder willkürlich behandelt werden, wird die EU entschieden reagieren“, warnte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach dem Treffen.
Das Thema Handel drängte in dieser Woche auf die Tagesordnung, weil Donald Trump hohe Zölle auf alle Importe aus Mexiko, Kanada und China, die drei wichtigsten Handelspartner der USA, angekündigt hatte – verbunden mit der Drohung, dass die Europäer schon bald die Nächsten sein würden. Mit Mexiko und Kanada einigte sich Trump schnell auf eine Aufschiebung der Zölle. Doch die EU bleibt in Alarmbereitschaft.
Die Vorbereitung auf die zweite Amtszeit von Trump hat in Brüssel schon weit vor der Wahl im November begonnen. Schon damals hat die Kommission eine Strategie von Zuckerbrot und Peitsche ausgerufen: Trump durch das Angebot enger Partnerschaft zufriedenstellen und zugleich mit harten Gegenschritten drohen, sollte er Zölle gegen die EU verhängen. Auf der Zuckerbrotseite steht etwa der Kauf von mehr verflüssigtem Erdgas (LNG), Agrarprodukten oder Militärgütern, auch wenn das in Frankreich nicht auf große Begeisterung stößt. Auch eine Senkung der Einfuhrzölle auf Autos von momentan 10 Prozent auf die von den USA erhobenen 2,5 Prozent wird in jüngster Zeit immer wieder genannt.
Geschlossenheit ist das höchste Gebot
Damit könnte man auch Trump-Intimus Elon Musk für sich einnehmen, der mit seinem Unternehmen Tesla ein ureigenes Interesse an niedrigen Autozöllen hat. Das allerdings stößt auf das Problem, dass die EU diesen Satz ohne Freihandelsabkommen mit den USA dann auch allen anderen Partnern gewähren müsste, auch China. Zumindest wenn sie sich weiter an die internationalen Handelsregeln halten will.
Auf der Peitschenseite steht die Drohung, sofort mit Gegenzöllen zurückzuschlagen, die vor allem die Wähler und Unterstützer von Trump treffen. So hatte die EU schon auf die von Trump in der ersten Amtszeit verhängten Schutzzölle auf Stahl und Aluminium reagiert. Die Gegenzölle trafen damals Whiskey aus Tennessee, Motorräder von Harley-Davidson, Erdnussbutter und Jeans. Sie sind wie die US-Stahl- und -Aluminiumzölle bis Ende März ausgesetzt. Eine Liste mit neuen Produkten liegt seit Monaten griffbereit in der Kommission. Welche Produkte darauf stehen, ist geheim.
Bisher folgten die Mitgliedstaaten dieser Strategie. Wie beim Brexit ist Geschlossenheit das höchste Gebot. Es gibt aber große Unterschiede, wenn es darum geht, auf Konfrontationskurs zu gehen. Die osteuropäischen EU-Staaten setzen, je näher sie an Russland liegen, eher auf Zugeständnisse, Frankreich in gaullistischer Tradition auf den offenen Konflikt.
Die Verhandlungsposition der Europäer ist allerdings heute eine schwächere als noch in Trumps erster Amtszeit: weil Europa im Ukrainekrieg auf amerikanische Militärhilfen angewiesen ist, aber auch weil die USA als Handelspartner wichtiger geworden sind, auf der Import- und auf der Exportseite. So importiert Europa heute statt des russischen Pipeline-Gases amerikanisches LNG. „Das macht uns verwundbarer“, glaubt der Präsident des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO, Gabriel Felbermayr. „Trump hat ja schon angedeutet, dass Exportlizenzen für Flüssiggas-Lieferungen nach Europa verknappt werden könnten.“ Auch die Abhängigkeit von den US-Techkonzernen ist gewachsen. Und mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU ist der Binnenmarkt kleiner geworden. „Unterm Strich haben wir also weniger Verhandlungsmacht und die USA mehr“, sagt Felbermayr. Trump werde das „erbarmungslos für sich ausnutzen“.
Zölle würden auch den Europäern schaden
Die EU steht zudem vor dem Dilemma, dass jede Erhöhung von Zöllen auf amerikanische Güter den europäischen Konsumenten schadet. Je nachdem wie stark die Nachfrage reagiert, müssten diese die höheren Preise bezahlen. Schlimmstenfalls könnte eine Zollspirale wie in den Dreißigerjahren entstehen, zum Schaden aller Beteiligten. Julian Hinz, Professor an der Universität Bielefeld und Leiter der handelspolitischen Abteilung am Institut für Weltwirtschaft, hat deshalb einige Vorschläge, wie die EU mit minimalem Schaden für Europäer vorgehen könnte.
Der erste davon: einfach nichts machen. Das, sagt Hinz, sei womöglich die beste Option, wenn die Amerikaner alle ihre wichtigsten Handelspartner (Kanada, Mexiko, China und die EU) gleichermaßen mit Zöllen belegen und diese relativ gering ausfallen, in der Größenordnung von 10 Prozent. Denn dann hätte die EU in den USA keinen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Ländern. „Die relativen Preise würden gleich bleiben. Die Amerikaner würden sich in erster Linie selbst schaden“, sagt Hinz. Allein für die Zölle gegen China, Mexiko und Kanada hat das Peterson Institute of International Economics berechnet, dass amerikanische Haushalte im Schnitt 1200 Dollar im Jahr verlören. Der absolute Rückgang des Handels werde hingegen vermutlich relativ gering ausfallen, glaubt Hinz.
Und wenn die Zölle doch höher werden und die Europäer diskriminieren? Es gäbe einige Alternativen zur Revanche mit eigenen Zöllen auf amerikanische Güter. Eine, die Handelsexperte Julian Hinz nennt, scheint auf den ersten Blick paradox: Die EU könnte Exportzölle einführen, also die eigenen Güter, die aus Europa nach Amerika exportiert werden, noch stärker verteuern. Die Exporteure müssten dann doppelt zahlen, die Preise in Amerika würden noch einmal stärker steigen – was den politischen Druck erhöhen würde. Den Schaden hätten wiederum vor allem die Amerikaner, die Zolleinnahmen blieben in Europa und könnten an die Unternehmen zurückverteilt werden.
Die trügerische Handelsbilanz
Trumps Argument für die Zölle ist in erster Linie die negative Handelsbilanz der USA mit Staaten wie Deutschland. „Wie viele Chevrolets oder Fords sehen Sie im Zentrum von München?“, fragte er vor Kurzem. Dabei ist diese Bilanz ein irreführendes Maß. Der Handel mit der gesamten EU ist deutlich ausgeglichener, insbesondere wenn man nicht nur auf Waren, sondern auch auf Dienstleistungen blickt. Während das Handelsdefizit der USA mit Europa im Jahr 2023 gut 150 Milliarden Euro betrug, steht auf der Dienstleistungsseite ein Überschuss von 100 Milliarden zu Buche, nicht zuletzt wegen der großen amerikanischen Techkonzerne. Dass gerade die deutsche Handelsbilanz unausgeglichener aussieht, als sie ist, liegt auch daran, dass US-Exporte zum Beispiel erst in den Niederlanden landen, bevor sie ihren Weg nach Deutschland finden. „Die EU sollte eigentlich aufhören, überhaupt bilaterale Handelszahlen für die Mitgliedstaaten zu publizieren“, sagt Ökonom Gabriel Felbermayr. „Damit öffnet man der ‚divide et impera‘-Strategie ausländischer Handelskrieger Tür und Tor. Die USA weisen auch keine Handelsbilanzen der einzelnen Bundesstaaten aus.“
Die EU könnte auch ein gemeinsames Interesse mit den USA in die Verhandlungen einbringen: die Verringerung der Abhängigkeit von China. Die schnellen Einigungen mit Kanada und Mexiko haben gezeigt, dass es Trump vorwiegend darum geht, einen Verhandlungssieg verkünden zu können, egal wie substanziell die Zugeständnisse der anderen Seite wirklich sind. Wenn Trump verlangen sollte, dass Europa stärker auf Abstand zu China geht, könne das „durchaus zu unserem eigenen Vorteil sein“, sagt Felbermayr.
Schließlich könnte man sich Trumps Vorliebe für persönliche Deals zunutze machen. Felbermayr schlägt vor, die EU solle ausgerechnet den ungarischen Premier Viktor Orbán nach Washington schicken. Denn der habe ein gutes Verhältnis zu Trump und könne ihn vielleicht eher überzeugen als Kommissionspräsidentin von der Leyen. Auch Italiens Ministerpräsidentin Meloni könnte bessere Chancen haben. Die wissenschaftliche Literatur zeige, so Felbermayr, dass es durchaus sehr vernünftig sein könne, „eine zunächst als verrückt erscheinende Auswahl vorzunehmen“.
Ein neues Instrument
Bisher bewegt sich die EU weitgehend, anders als manche dieser unkonventionellen Vorschläge, weiter im klassischen Rahmen der Handelspolitik. Den hat Trump schon lange verlassen. Zölle sind für ihn nicht nur ein Mittel, um die eigene Wirtschaft zu schützen, sondern um politisch Druck auszuüben. Das ist nicht neu. Auch in seiner ersten Amtszeit hat er etwa versucht, mit der Drohung von Zöllen die französische Digitalsteuer zu verhindern. Die Dimension und Wucht jedoch hat eine andere Qualität, wenn er Mexiko und Kanada mit Zöllen belegt, um Drogenschmuggel und die Migration einzudämmen.
Deshalb ist zuletzt ein Instrument ins Zentrum des Interesses gerückt, das die EU in der ersten Amtszeit von Trump noch gar nicht hatte: das „Anti-Erpressungs-Instrument“. Das ermöglicht der EU, gezielt zu reagieren, wenn andere Staaten versuchen, die Handelspolitik als politische Waffe einzusetzen. Das war zunächst einmal gegen China gerichtet, das 2021 kurzerhand die Einfuhr von Waren aus Litauen blockierte, nachdem es die Eröffnung eines „taiwanischen“ Repräsentationsbüros in Vilnius erlaubt hatte. Es lässt sich aber genauso gegen Russland oder eben auch die USA einsetzen. Der Vorteil ist, dass der Einsatz dieser handelspolitischen Waffe anders als Sanktionen nicht einstimmig beschlossen werden muss. Er erlaubt der EU also eine schnelle Reaktion.
Der Link muss allerdings klar sein: Es geht nicht um eine Antwort auf Schutzzölle, die Trump etwa gegen europäische Autos verhängen könnte. Greifen würde das Instrument, wenn er versuchen würde, mit Zöllen die Einführung einer Digitalsteuer oder die Verhängung von Strafen für die Digitalkonzerne wegen Verstößen gegen die EU-Digitalgesetze zu verhindern. Ist das der Fall, hat die EU eine Reihe von Optionen: Sie kann die Einfuhr und Ausfuhr einzelner Produkte und Dienstleistungen verbieten, ausländische Direktinvestitionen einschränken, den Zugang zum europäischen Markt, allen voran öffentliche Ausschreibungen, generell beschränken oder das Recht am geistigen Eigentum aussetzen.
Die Kommission ist zurückhaltend im Umgang mit Musk
Die Kommission hat dabei relativ freie Hand. Grundsätzlich gilt zwar, dass das Instrument nur eingesetzt werden soll, wenn es keine andere Lösung gibt. Es ist an eine Reihe von Bedingungen geknüpft, kann zur Not aber schnell von der Kommission aktiviert werden.
Die EU hat darüber hinaus auch noch einen anderen Hebel, um Trump und die ihn umgebende Tech-Konzern-Clique unter Druck zu setzen: ihre Digitalgesetze und das Wettbewerbsrecht. Die Kommission betont zwar stets, dass sie diese Regeln ohne Ansehen des Heimatlandes und jedweder politischer Umstände anwendet. Es ist aber auffällig, wie zurückhaltend sie in den vergangenen Wochen reagiert hat, als sich X-Chef Elon Musk in den deutschen Bundestagswahlkampf einmischte oder Meta-Chef Mark Zuckerberg die Aussetzung des Faktencheckens auf seinen Plattformen Instagram und Facebook ankündigte.
Das lasse sich jederzeit ändern, unken Diplomaten in Brüssel. Sie entwerfen ein Szenario, in der die EU im Konfliktfall nicht nur den Marktzugang für Digitalkonzerne in der EU einschränkt, sondern das zugleich mit drastischen Strafen wegen Verstößen gegen die beiden EU-Gesetze für digitale Dienste und digitale Märkte oder das EU-Wettbewerbsrecht kombiniert. Ob die Kommission tatsächlich bereit ist, so weit zu gehen, ist indes fraglich. Es würde ihre Glaubwürdigkeit als Wahrer der Rechtsstaatlichkeit beschädigen. Aber es mag der Punkt kommen, wo sie keine andere Wahl hat, wie es in Brüssel heißt.
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