Thursday, February 20, 2025
Jörg Krämer - Top-Ökonom erklärt, woher die Milliarden für unsere Aufrüstung kommen können
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Jörg Krämer - Top-Ökonom erklärt, woher die Milliarden für unsere Aufrüstung kommen können
Artikel von Von Gastautor Jörg Krämer • 5 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Rheinmetall liefert in großem Stil digitale Ausrüstung für Infanteriesoldaten der Bundeswehr.
Die europäischen NATO-Länder müssen nach dem Rückzug der Amerikaner militärisch stark genug sein, um einen konventionellen Angriff Russlands abschrecken zu können. Woher könnte das Geld dafür kommen?
Die Rede des US-Verteidigungsministers Pete Hegseth vor europäischen NATO-Mitgliedern war ein Wake Up Call für die Politiker in der EU. Die USA blieben laut Hegseth der NATO verpflichtet, aber seien in Zukunft nicht mehr in erster Linie auf die Sicherheit Europas fokussiert. Entsprechend müssten die Europäer künftig selbst die Verantwortung für ihre konventionelle Sicherheit übernehmen.
Das heißt: In ein paar Jahren müssen die konventionellen Streitkräfte der europäischen NATO-Mitglieder stark genug sein, um einen möglichen konventionellen Angriff Russlands etwa auf die baltischen Länder ohne amerikanische Hilfe glaubhaft abschrecken zu können. Da die meisten NATO-Länder über diese Fähigkeit derzeit nicht verfügen – man denke nur an den Zustand der Bundeswehr –, sind massive Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit notwendig. Die US-Regierung hat in diesem Zusammenhang gefordert, dass in Zukunft fünf Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung fließen müssten. Am Ende könnte es auf vier Prozent hinauslaufen – doppelt so viel wie gegenwärtig in den meisten Ländern (siehe Grafik).
Um die Lücke zu schließen, müsste beispielsweise Deutschland die zivilen Ausgaben des Bundes um ein Viertel kürzen. Das wäre politisch kaum durchsetzbar, auch wenn es mit Blick auf das Bürgergeld oder die häufig ineffiziente Klimapolitik beträchtliche Einsparmöglichkeiten gibt. Am Ende dürften die meisten europäische NATO-Mitglieder ihre Haushaltsdefizite deutlich erhöhen, um sich verteidigungsfähig zu machen. Im Folgenden stellen wir dar, wie das realisiert werden könnte.
Keine kurzfristige Neuauflage des Corona-Wiederaufbaufonds, ...
Die für viele südeuropäischen Länder und Frankreich verlockendste Lösung wäre eine Finanzierung der Aufrüstung über gemeinsame europäische Schulden. Ein Vorbild hierfür wäre der Corona-Wiederaufbaufonds mit seinem Volumen von ursprünglich mehr als 800 Milliarden Euro, die den Mitgliedsstaaten in Form von nicht rückzahlbaren Zuweisungen (Geldgeschenke) und Krediten zur Verfügung gestellt wurden. Aber mit Blick auf die Zuweisungen ist er bereits ausgeschöpft. Außerdem sieht er keine Mittel für militärische Aufgaben vor.
Insofern verwundert es nicht, dass einige Länder eine erneute gemeinsame Schuldenaufnahme verlangen – diesmal für die Aufrüstung. Zwar sehen wir den Euroraum seit Ausbruch der Staatsschuldenkrise im Jahr 2010 auf dem Weg in eine Schuldenunion, sodass der Wiederaufbaufonds keine Ausnahme bleiben dürfte. Allerdings verwässerte eine Vergemeinschaftung der Schulden die hohe Bonität der nördlichen Länder der Währungsunion, weshalb sie dort äußerst unbeliebt ist. Um dennoch ein ausreichendes politisches Momentum für eine erneute gemeinsame Schuldenaufnahme zu schaffen, bedarf es einer wesentlich tieferen Krise, als wir sie zurzeit erleben.
... aber eine weitere Lockerung der EU-Fiskalregeln
Auf wenig politischen Widerstand dürfte dagegen eine weitere Lockerung der EU-Fiskalregeln stoßen. So hat EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen auf der Münchener Sicherheitskonferenz am Wochenende gesagt, dass höhere Verteidigungsausgaben nicht an den Fiskalregeln scheitern werden. Sie werde vorschlagen, nationale Ausweichklauseln für Verteidigungsausgaben zu aktivieren. Das ist möglich beim Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände“, die sich der Kontrolle eines Mitgliedstaats entziehen und die erhebliche Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte des Staates haben. Das Vorliegen dieser Bedingungen dürfte die EU-Kommission mit Blick auf die Aggressivität Russlands und den Rückzug der Amerikaner bejahen.
Wir halten eine entsprechende Lockerung der EU-Fiskalregeln faktisch für eine beschlossene Sache, zumal das Regelwerk nach zahlreichen Änderungen ohnehin löchrig wie ein Schweizer Käse ist.
Neues „Sondervermögen“ wahrscheinlicher als Änderung der Schuldenbremse
In Deutschland wäre eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben ausschließlich auf Pump aktuell wegen der Schuldenbremse des Grundgesetzes nicht möglich. Allerdings könnten Bundestag und Bundesrat die entsprechenden Passagen im Grundgesetz dahingehend ändern, dass Investitionen von den Regeln der Schuldenbremse ausgenommen werden. Dort oder in einem Ausführungsgesetz könnte bestimmt werden, dass es sich im Sinne der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen um Investitionen handelt, zu denen die meisten Rüstungsgüter gehören. Bei einer entsprechenden Änderung der Schuldenbremse könnte der Bund seine Rüstungsausgaben massiv erhöhen.
Allerdings hält die Union bisher offiziell an der Schuldenbremse fest. Das gilt auch für ihren Kanzlerkandidaten Merz, der zunächst alle anderen Einsparpotenziale im Bundehaushalt nutzen will, um Steuersenkungen und zusätzliche Verteidigungsausgaben zu finanzieren. Darum ist es fraglich, ob er so schnell einer spürbaren Lockerung der Schuldenbremse zustimmen wird. Wahrscheinlicher ist, dass als Ad-hoc-Lösung zunächst ein neuer Sonderhaushalt eingerichtet wird, auch Sondervermögen genannt. Damit dessen Ausgaben nicht auf die Schuldenbremse angerechnet würden, müsste auch für ihn das Grundgesetz geändert werden, wofür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat notwendig wäre.
Was heißt das für den Markt?
Letztlich läuft es es in den meisten europäischen Nato-Staaten auf deutlich höhere Haushaltsdefizite hinaus, obwohl sie mit Blick auf das ursprüngliche 60%-Kriterium der europäischen Verträge bereits viel zu hoch verschuldet sind und politische Mehrheiten für eine durchgreifende Haushaltskonsolidierung meist fehlen. Das stützt unsere Prognose, dass wir das Hoch bei der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen noch nicht gesehen haben, zumal die EZB ihre Zinssenkungen Mitte des Jahres bei einem Einlagensatz von 2,0 Prozent beenden sollte.