Thursday, February 20, 2025

„Die USA unter Trump sind systemischer Gegner der regelbasierten Weltordnung“

RP ONLINE „Die USA unter Trump sind systemischer Gegner der regelbasierten Weltordnung“ 15 Std. • 6 Minuten Lesezeit Hamburg. Bei „Lanz“ nehmen die Studiogäste das Geschehen auf der Münchner Sicherheitskonferenz auseinander. Sie stellen Trump nicht als tumben Porzellanzerschlager hin, sondern als geopolitischer Taktierer. Am Mittwochabend wird bei „Markus Lanz“ mal nicht gestritten: Zu Gast sind vor allem Experten für internationale Politik. Der Talkverlauf: Zum Einstieg geht es um die Lügen, die US-Präsident Donald Trump zuletzt über die Ukraine und deren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erzählte. „Er hat das Narrativ von Wladimir Putin übernommen“, sagt der Journalist Elmar Theveßen, der aus Washington zugeschaltet ist. Das zeige sehr deutlich, auf welcher Seite Trump stehe, wenn sich die USA und Russland zusammensetzen, um einen Deal auszuhandeln. „Er bewundert Putin, weil er mit autoritärer Kraft dieses Land, Russland, zusammengehalten hat, weil er auftritt wie einer der Mächtigsten dieser Erde, obwohl er von der Wirtschaftskraft her ja gar nicht so viel vorzuweisen hat.“ Die Politikwissenschaftlerin Jana Puglierin weist indes auf das Verhältnis von Trump zu Selenskyj während der ersten Amtszeit des US-Präsidenten hin: Dieses Verhältnis habe wesentlich dazu beigetragen, dass das erste Amtsenthebungsverfahren gegen Trump in Gang gesetzt wurde. Puglierin erinnert an ein Telefonat, bei dem Trump Selenskyj drängte, Beweise gegen Hunter Biden zu finden, den Sohn seines damaligen politischen Rivalen Joe Biden. „Es ging eigentlich darum, die Wahl damals zu beeinflussen“, sagt die Außenpolitikexpertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Selenskyj hatte sich auf Trumps Forderung nicht eingelassen. Der Vorfall war später aber bekanntgeworden und hatte Trump ein Amtsenthebungsverfahren beschert. Deshalb hege Trump noch immer einen Groll gegen Selenskyj, so Puglierin. Moderator Markus Lanz zeigt sich begeistert von der Argumentation: „Es ist nämlich mein Eindruck schon die ganze Zeit, dass es um ganz schlichte, sehr archaische Gefühle wie Rache geht.“ „Natürlich kochen jetzt die Emotionen bei uns zu Hause“, sagt Andrij Melnyk mit Verweis auf Anrufe in die Ukraine und sprach von einer „Kakophonie vom anderen Ende des Atlantik“. Der ukrainische Botschafter in Brasilien war zwischen 2015 und Oktober 2022 Botschafter in Deutschland und hatte sich dort zunächst mit markigen Sprüchen hervorgetan. Seine Verehrung für den Nazi-Kollaborateur Stephan Bandera und eine Rechtfertigung von dessen Taten in einem deutschen Interview zog zunächst eine Distanzierung des ukrainischen Außenministeriums und bald darauf seine Abberufung nach sich. Jetzt sagt er: „Ich würde auch gerne schimpfen wie ein Kesselflicker. Aber wir brauchen die Amerikaner.“ Melnyk warnt davor, eine Spaltung zwischen Europa und den USA zuzulassen und damit, wie der Ukrainer es ausdrückt, ein von Putin aufgezwungenes Spiel zu spielen. Der Diplomat glaubt, Trump ließe sich mit einem Besuch in der Ukraine überzeugen. Mit Blick auf Deutschland spricht sich Melnyk für Verteidigungsausgaben von fünf Prozent aus. Er verweist auf die Gefahr, dass die US-Regierung ihre Soldaten aus Europa abziehen könnte. Ein Thema ist auch Trumps Vorstoß, der Ukraine einen Knebelvertrag vorlegen zu lassen, mit dem das Land Einkünfte aus seinem Rohstoffvorkommen an die USA abgeben und Zugriff auf Infrastruktur gewähren sollte. Damit würde Trump die Ukraine „zu einer Art Kolonie“ machen, weil sie so nicht mehr in der Lage sei, eine eigene Wirtschaftskraft zu entwickeln, urteilt der Journalist Theveßen. Dies würde aber auch bedeuten, dass die USA ein wirtschaftliches Interesse daran hätten, nach einem Waffenstillstand „die Rest-Ukraine“ – ohne etwa 20 Prozent an Russland abgetretene Gebiete – so zu unterstützen, dass Putin nicht wieder angreife. Dieser Plan der Trump-Regierung stelle Europa vor schwierige Fragen, meint Theveßen. „Sind wir bereit, das Signal zu senden in den Rest der Welt, dass die Landnahme, die Putin ja hier vollzogen hat, okay ist? Kann dann Donald Trump auch Landnahme in Panama, in Grönland oder anderswo betreiben und China in Taiwan?“ Der Journalist Ulf Röller malt ein Stimmungsbild von europäischen Politikkreisen. Schon im vergangenen Jahr habe er in Brüssel niemanden finden können, der glaubte, dass die Ukraine ohne Gebietsabtretungen aus dem Krieg hervorgehen könnte oder in die Nato oder die EU eintreten würde. „Trotzdem ist das wie eine Monstranz vor sich hergetragen worden und hat die Kraft genommen, sich wirklich mit dem Konflikt auseinanderzusetzen“, sagt der Korrespondent. Er kritisiert etwa, dass europäische Staaten sich jahrelang nicht um einen Aufbau von Verteidigung kümmerten und sich auf die Hilfsbereitschaft der USA verließen. Ein weiteres Aufschieben sei angesichts von Trumps „Verhandlungen mit der Pistole am Kopf“ nun unmöglich. Als bestmögliches Szenario skizziert Röller: „Eine Koalition der Willigen, die sich meiner Meinung nach auch schon formiert.“ EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen führe bereits viele Gespräche. Röller beklagt, dass diese Sicherheitsfrage vor der Bundestagswahl keinen Platz und im Wahlkampf gefunden hat – und auch nicht in Talkshows: „Da war ja nicht das Top-Thema, deutsche Soldaten in den Osten zu schicken“, sagt der Journalist. – „Kannst du auch politisch keinem verkaufen“, entgegnet Lanz. „Gar kein Vorwurf“, beschwichtigt Röller. „Aber das wird die Debatte sein. Das ist schlichtweg eine simple Realität.“ Ein Rückzug der Amerikaner muss nach Ansicht der Politologin Puglierin aber nicht auf ein Nullsummenspiel hinauslaufen. Europa könne ausloten, ob sich die USA zu Unterstützungsleistungen im Hintergrund bewegen ließen. Zum Beispiel bei der Luftraumüberwachung und Aufklärung oder auf diplomatischem Wege, indem die USA Russland signalisieren, dass sie einen ernsthaften Waffenstillstand erwarten. Die USA sagten sehr klar, was sie nicht machen werden, so Puglierin: „Sie werden keine Bodentruppen in die Ukraine schicken, sie werden das nicht im Rahmen einer Nato-Mission ermöglichen, sie sagen, Artikel 5 würde nicht gelten.“ Dies schaffe ein extrem schwieriges Umfeld für die Europäer, um die Einhaltung eines Waffenstillstands abzusichern. Dafür sieht Puglierin noch andere Probleme, etwa: „Es gibt momentan keine stabile Linie in der Ukraine, die man einfrieren könnte.“ Dort werde gekämpft, und die russische Armee rücke insbesondere im Donbass weiter vor. Angesichts dieser Geländegewinne habe Putin gar keinen Anlass, den Krieg zu beenden. Auch sei ungeklärt, welcher Strategie etwaige europäische Bodentruppen in der Ukraine folgen sollten, wo sie stationiert wären und was sie tun sollten im Falle eines russischen Angriffs. „Sollen die dann zurückkämpfen?“, fragt Puglierin. Zudem: Wenn die USA bei einem russischen Angriff auf europäische Soldaten nur zuschauten, „dann können wir die Nato begraben“. Trumps Motive sieht die Politologin etwas anders als der Rest der Runde. Der US-Präsident wolle ein Wahlversprechen einlösen: Raus aus der Ukraine, egal wie. Hinter Trumps Annäherung an Russland vermutet Puglierin einen Plan. „Es geht weniger um die Ukraine als um neue US-russische Beziehungen“, sagt sie. Ziel sei keine tiefe Freundschaft, sondern eine Zweckgemeinschaft. Als einen Hinweis dafür wertet sie, dass es bei den bilateralen Gesprächen in Riad auch um eine Energiekooperation der USA und Russlands in der Arktis gegangen sei. Dahinter sieht sie das geopolitische Motiv, „diese Achse zwischen Russland, China, dem Iran und Nordkorea aufzubrechen“. Theveßen stimmt ihrer Analyse von Trumps geopolitischen Zielen zu. „Er will einen Deal, und zwar einen Atomdeal.“ Ein neues Atomabkommen der USA mit Russland, vielleicht sogar mit China, wäre historisch. „Dann wird die Ukraine geopfert auf dem Altar eines höheren Ziels“, sagt der Journalist. Deshalb müsse man von Gebietsabtretungen ausgehen, wenn die USA und Russland ohne die Ukraine Gespräche führten. Etwas später gibt Theveßen seine Sicht auf die Frage zu Protokoll, ob die USA von Europa noch als Verbündeter betrachtet werden könnten. „Die USA – unter Donald Trump jedenfalls – sind systemischer Gegner der regelbasierten Weltordnung und auch der gemeinsamen Wertegemeinschaft.“ Jedenfalls müsse man große Zweifel haben, ob die USA daran noch teilhätten. Deshalb hätte sich der Journalist gewünscht, auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine Vision der Europäer mit Strategie und Maßnahmen zu hören. „Der Einzige, der dort aufgetreten ist und einen Plan hatte, war Wolodymyr Selenskyj.“ Der ukrainische Präsident hatte eine europäische Armee mit ukrainischer moderner Kriegserfahrung vorgeschlagen. Nach Theveßens Ansicht sollte man darüber ernsthaft nachdenken.