Monday, February 10, 2025

Als es um die Migrationspolitik geht, bricht es aus dem SPD-Landrat heraus

WELT Als es um die Migrationspolitik geht, bricht es aus dem SPD-Landrat heraus Ulrich Kraetzer • 3Tage • 3 Minuten Lesezeit In einem Flüchtlingsheim in Brandenburg lebt ein verurteilter IS-Anhänger aus Syrien. Doch er kann nicht abgeschoben werden – sehr zum Ärger des zuständigen Landrats. Seine Kritik an der deutschen Migrationspolitik zeigt im Kleinen, woran diese im Großen jeden Tag scheitert. Landrat Gernot Schmidt (SPD) in seinem Büro in Seelow David Heerde Gernot Schmidt ist Sozialdemokrat vom alten Schlag, keiner der Hipster-Klamotten trägt oder in den sozialen Medien übers Gendern diskutiert. Einer mit Krawatte und grauem Sakko, der sich, so beschreibt er sich selbst, „in die tausend Aufgaben der täglichen Arbeit“ stürzt. Schmidts Wirkungsstätte liegt im äußersten Osten der Republik. Hier in Brandenburg agiert der gelernte Meliorationsfacharbeiter als Landrat im Kreis Märkisch-Oderland, und das schon seit fast zwei Jahrzehnten. Der 62-Jährige hat noch drei Jahre, dann kann er in Ruhestand gehen. Was soll er sich da aufregen? Manchmal bricht es aber doch aus Schmidt heraus. Zum Beispiel, wenn es um die Migrationspolitik geht. Und wenn er den Eindruck hat, dass der Staat sich an der Nase herumführen lässt. Er sei kein Scharfmacher, sagt Schmidt, bestimmt nicht. „Aber bei manchen Fällen muss man sich fragen, ob die Dinge nicht in eine grundsätzliche falsche Richtung gehen.“ Der Fall, über den Schmidt spricht, betrifft einen 28 Jahre alten Syrer, der im Jahr 2015 nach Deutschland kam – und hinnehmen muss, als IS-Terrorist bezeichnet zu werden. Das Berliner Kammergericht verurteilte ihn im Mai 2017 zu einer mehrjährigen Jugendstrafe. Aus der Haft wurde er inzwischen entlassen. Er lebt nicht mehr hinter Gittern, sondern in einer Flüchtlingsunterkunft in einer Kleinstadt in Schmidts Landkreis Märkisch-Oderland. Shaas al-M., so der Name des Syrers, hatte sich in seinem Geburtsland bereits mit 16 Jahren einer islamistischen Terrorgruppe angeschlossen, die später im sogenannten Islamischen Staat (IS) aufging. Seine Eltern schickten ihn im August 2015 über die Balkanroute nach Deutschland. Shaas al-M. beantragte Asyl. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erkannte ihn drei Monate nach seiner Einreise als Flüchtling an. Doch in dem Flüchtlingsheim in Bad Belzig, in dem er zunächst untergebracht wurde, fühlte sich Shaas al-M. offenbar nicht wohl. Den Deutschkurs brach er ab. Stattdessen wollte er zurück nach Syrien: zum IS. Der Plan für eine Ausreise in die Kampfgebiete misslang. Doch M. half der Terrormiliz auf andere Weise. Er spähte den Berliner Alexanderplatz aus, übermittelte dem IS Informationen zum Reichstag und zum Brandenburger Tor – zur Vorbereitung eines Terroranschlags. Die Polizei bereitete dem Treiben ein Ende. Shaas al-M. wurde im März 2016 festgenommen. Ein gutes Jahr später verurteilte ihn das Kammergericht in Berlin zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren Haft. Am 19. März 2021 kam Shaas al-M. wieder auf freien Fuß. Die Versuche, ihn außer Landes zu bringen, scheiterten. Denn zum einen legte der Syrer gegen die diversen Entscheidungen zur Aberkennung seines Flüchtlingsstatus und zur Ausweisung Widerspruch ein. Vor allem aber hatte die Bundesrepublik aufgrund der Verbrechen des Assad-Regimes bereits im Jahr 2012 einen generellen Abschiebestopp erlassen. Nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember kündigte die Bundesregierung zwar an, die Sicherheitslage in Syrien neu bewerten zu wollen. Doch der angekündigte Lagebericht ist bis heute nicht fertiggestellt. Shaas al-M. darf also bis auf Weiteres in Deutschland bleiben. Sein Anwalt hat gerade beantragt, die ihm auferlegten räumlichen Beschränkungen zu lockern, damit er nach Berlin fahren darf. Landrat Schmidt ringt nach Worten, wenn er über den Fall spricht. Er könne nicht entscheiden, ob die Lage in Syrien eine Abschiebung rechtlich unmöglich mache, sagt der Landrat. Er wisse auch nicht, ob der junge Mann seinen radikalen Ideen abgeschworen habe. Eines aber könne er sagen: „Ich finde, dass solche Menschen abgeschoben werden sollten.“ Er habe in seiner Verwaltung kürzlich erfragt, wie viele Bewohner der Flüchtlingsunterkünfte seines Landkreises als islamistische Gefährder eingestuft sind. „Es sind 22“, sagt Schmidt.