Wednesday, October 4, 2023

Charles Michel: EU-Kommission weist Vorwürfe nach SPIEGEL-Interview zurück

DER SPIEGEL Charles Michel: EU-Kommission weist Vorwürfe nach SPIEGEL-Interview zurück Artikel von Anna-Sophie Schneider • 5 Std. Im SPIEGEL-Interview hat Charles Michel die außenpolitischen Vorstöße von Ursula von der Leyen kritisiert. Die Kommission reagiert verärgert – und zeigt sich irritiert über Aussagen zu einem baldigen Beitritt der Ukraine. Charles Michel: EU-Kommission weist Vorwürfe nach SPIEGEL-Interview zurück Die EU-Kommission reagiert verschnupft auf ein SPIEGEL-Interview von Charles Michel. Der EU-Ratspräsident hatte Kommissionschefin Ursula von der Leyen darin vorgeworfen, ihre außenpolitischen Kompetenzen zu überschreiten. Eine Sprecherin der Kommission, Arianna Podestá, wies die Vorwürfe nun zurück. »Diese Äußerungen des Ratspräsidenten sind teilweise unzutreffend«, sagte sie in einer Pressekonferenz am Mittag. Wenige Stunden zuvor hatte der SPIEGEL das Interview mit Michel veröffentlicht. Darin äußerte der Belgier sich unter anderem zur Rollenverteilung innerhalb der EU. Laut Michel habe er als Präsident des Europäischen Rats eine prominente außenpolitische Rolle. »Der Europäische Rat entscheidet über die strategische Ausrichtung, die Kommission kümmert sich um die Umsetzung«, sagte er im SPIEGEL-Interview. Manchmal hake es dabei jedoch. Als Beispiel für die Kompetenzüberschreitung von der Leyens nannte er die Migrationsvereinbarung mit Tunesien, die die Kommissionspräsidentin kürzlich gemeinsam mit dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte und der Italienerin Giorgia Meloni verkündet hat. Der EU-Rat sei bei der Entscheidung außen vor gewesen, so die Kritik Michels. Die Kommissionssprecherin bezeichnete die Äußerung nicht nur als teils falsch, sie sagte auch, dass die Aussage in keiner Weise die Handlungsfähigkeit der EU in der schwierigen Migrationsfrage stärken würde. Die Kommission habe seit Beginn des Sommers über die Absichtserklärung verhandelt und den Botschaftern der Mitgliedstaaten wiederholt über die wichtigsten Punkte und die Fortschritte bei den Verhandlungen berichtet, hieß es von der Sprecherin. »Die Kommission hat die volle politische Unterstützung des Europäischen Rates, auch in seinen Schlussfolgerungen vom Juni 2023, und macht praktische und effektive Fortschritte bei der Bekämpfung der illegalen Migration.« Darüber hinaus stehe es der Kommission rechtlich frei, Abkommen auszuhandeln, die nach internationalem Recht nicht bindend sind, wie das gemeinsame Memorandum mit Tunesien. Nach dem Abschluss der Absichtserklärung mit Tunesien hätten mehrere Regierungschefs das Ergebnis ausdrücklich gelobt und die Kommission ermutigt, weitere Vereinbarungen in diesem Sinne zu schließen. In der Kommission weist man darauf hin, dass selbst der juristische Dienst des EU-Rats keine rechtlichen Probleme mit der Absichtserklärung gesehen habe. In von der Leyens Haus stießen auch andere Aussagen Michels auf Verwunderung – darunter die Darstellung seiner eigenen Rolle bei der Bewältigung der Pandemie und den schnellen Sanktionen gegen Russland. An beidem habe Michel persönlich keinen Anteil gehabt, hieß es. Machtkampf in Brüssel Irritiert sei man zudem darüber, dass Michel der Kommission einerseits eine Überschreitung ihrer Kompetenzen vorwerfe, er aber selbst seine Kompetenzen überschreite, indem er der Ukraine einen Beitritt bis 2030 in Aussicht stelle – was von den Beitrittsregeln in keiner Weise gedeckt sei. Bereits in der Vergangenheit zeigte sich ein teils bizarrer Machtkampf zwischen von der Leyen und Michel. Vor allem in der Außenpolitik wird der Konflikt immer wieder deutlich. 2021 nahm die Auseinandersetzung peinliche Züge an. Damals besuchten beide gemeinsam die Türkei. Während Michel neben Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf einem Stuhl Platz nehmen durfte, verwies man von der Leyen auf die Couch – ebenso wie den damaligen türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Dass von der Leyen als »Nummer zwei« behandelt wurde, sorgte zunächst für Kritik an den türkischen Gastgebern. Diese wiesen die Vorwürfe jedoch zurück: Es sei Michels Protokolldienst, der die Details des Besuchs mit der türkischen Regierung abgesprochen habe. Der Vorfall wurde bekannt als »Sofagate« und dürfte das Verhältnis der beiden EU-Politiker nachhaltig nicht verbessert haben.