Thursday, September 21, 2023

Wiesbadener Flüchtlingspolitik: Herunter vom hohen Ross

Frankfurter Allgemeine Zeitung Wiesbadener Flüchtlingspolitik: Herunter vom hohen Ross Artikel von Robert Maus • 15 Min. Neue Flüchtlingsunterkunft: Im Verwaltungsgebäude der ehemaligen Didier-Werke sollen zukünftig Flüchtlinge einquartiert werden. Die Stadt Wiesbaden und auch die Stadtentwicklungsgesellschaft SEG agieren bei der neuen Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Südost ungeschickt. Auch wenn es gesetzlich erlaubt ist, das denkmalgeschützte Ensemble ohne Baugenehmigung umzubauen, so ist es doch die Pflicht der Stadt, die unmittelbar betroffenen Nachbarn ausführlich und frühzeitig zu informieren. Das ist offenkundig nicht geschehen, und es gibt weitere Ungereimtheiten. Aufgrund der aktuellen Flüchtlingssituation ist kaum damit zu rechnen, dass in naher Zukunft weniger Asylbewerber in Wiesbaden ankommen. Warum aber plant die Stadt trotzdem, die große Unterkunft an der Hans-Bredow-Straße zu schließen? Liegt es wirklich nur an den zu erwartenden Kosten, deren Höhe der SEG-Geschäftsführer Roland Stöck­lin den Anwohnern auch auf Nachfrage nicht mitteilen konnte, oder gibt es andere Gründe? Zahlreiche Teilnehmer der Infoveranstaltung am Dienstag mutmaßten, dass die Stadt bestimmte Sachverhalte im Zusammenhang mit der neuen Flüchtlingsunterkunft verschweige. Das ist starker Tobak, aber wenn selbst die städtische Bauaufsicht offenbar nichts von den Arbeiten wusste und die Baustelle vorübergehend stilllegte, ist das Misstrauen der Bürger zumindest erklärbar. In der Summe kann man die städtische Kommunikation auch intern nur als misslungen bezeichnen. Die Bedenken der Anwohner beschränkten sich natürlich nicht auf den Denkmalschutz des Gebäudeensembles. Viele fürchten einen Werteverfall ihrer Häuser, einige Frauen äußerten, sie fürchteten um ihre Sicherheit, und wieder andere mahnten, dass die Lebensqualität im Quartier abzunehmen drohe. Unabhängig davon, ob solche Bedenken gerechtfertigt sind oder nicht, darf die Stadt sich nicht einfach darüber hinwegsetzen. Den Anwohnern, die ihr Misstrauen während der Veranstaltung äußerten, dann auch noch vorzuwerfen, sie hingen Verschwörungstheorien an, ist geradezu kon­traproduktiv. Wer auf einem solch hohen Ross sitzt, braucht sich nicht darüber beschweren, dass die Menschen zunehmend politikverdrossen sind. Es gibt jedoch noch einen weiteren Grund, warum die Stadt stärker um die Kooperation ihrer Bürger werben sollte. Es wird in Wiesbaden wohl weitere Unterkünfte für Asylbewerber geben müssen. Daher erscheint es sinnvoll, künftige Nachbarn von Flüchtlingsheimen frühzeitig ins Boot zu holen, bevor diese ebenfalls auf die Barrikaden gehen.