Monday, September 25, 2023
Kampfflugzeug: Eurofighter für Saudi-Arabien: Briten setzen Deutschland unter Druck
Handelsblatt
Kampfflugzeug: Eurofighter für Saudi-Arabien: Briten setzen Deutschland unter Druck
Artikel von Greive, Martin Murphy, Martin Olk, Julian Specht, Frank Riecke, Torsten •
1 Std.
Der saudische Regierungschef und Kronprinz Mohammed bin Salman will neue Eurofighter-Jets.
Saudi-Arabien will erneut europäische Kampfjets kaufen. Kanzler Scholz hat das ausgeschlossen. Doch Großbritannien will das Geschäft unbedingt – und droht Deutschland aus dem Projekt hinauszudrängen.
Großbritannien will nach Handelsblatt-Informationen gegen den Willen Deutschlands eine erneute Lieferung von Eurofighter-Kampfjets an Saudi-Arabien erzwingen. Die Briten setzen die Bundesregierung unter anderem mit einer Klausel unter Druck, durch die Deutschland nach Auffassung Londons aus dem Projekt herausgedrängt werden kann. Das erfuhr das Handelsblatt aus Industrie- und aus Regierungskreisen.
Saudi-Arabien hatte vor gut sechs Jahren 48 neue Eurofighter bestellt. Gefertigt wird das europäische Gemeinschaftsprojekt in Großbritannien, beteiligt sind außerdem Spanien und Italien. Deutschland baut bei Airbus in Augsburg und in Manching einen Teil des Flugzeugrumpfes, MTU Aero Engines fertigt Teile des Triebwerks. Insgesamt hat Deutschland einen Anteil von knapp 30 Prozent am Eurofighter-Projekt.
Eurofighter-Lieferungen an Saudi-Arabien hatten in der Bundesregierung schon mehrfach für erhebliche Diskussionen gesorgt. Der erneute Konflikt ist ein weiterer Ausdruck der Grundsatzdiskussion um die neue deutsche Rüstungspolitik nach der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen „Zeitenwende“.
In Konkurrenz mit Russland und China will der Westen neue Partner auf seine Seite ziehen. Rüstungsgeschäfte sind dafür ein gutes Vehikel. Und das saudische Königreich wird zunehmend wichtiger im globalen Spiel der Mächte.
Doch ist es vereinbar, einem Staat militärische Mittel an die Hand zu geben, der Krieg im Jemen führt und dessen Regierungschef, Kronprinz Mohammed bin Salman, mutmaßlich den Mord am regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi beauftragt hat?
Eurofighter für Saudi-Arabien: Zentrale Frage deutscher Rüstungspolitik
Scholz hatte dazu im Sommer eine vermeintlich klare Antwort gegeben. „Irgendeine Entscheidung zu Eurofighter-Lieferungen in Richtung Saudi-Arabien steht absehbar nicht an“, sagte der Kanzler im Juli am Rande des Nato-Gipfels im litauischen Vilnius. Später hieß es, die Vereinbarung gelte bis zum Ende der Legislaturperiode.
Doch damit hat Deutschland seine europäischen Partner noch weiter gegen sich aufgebracht. Die Bundesrepublik steht in anderen europäischen Ländern in der Kritik. Berlin wird eine zu restriktive Rüstungspolitik vorgeworfen.
London wolle den Deal mit dem saudischen Königreich unbedingt, heißt es aus Kreisen der Bundesregierung. „Der Druck ist immens.“ Auf Handelsblatt-Anfrage antwortete die britische Regierung: „Das Vereinigte Königreich bleibt in seinem Engagement für unsere strategischen Verteidigungsbeziehungen mit dem Königreich Saudi-Arabien standhaft.“
Richten soll es für die Briten nun die besagte Vertragsklausel. Als Großbritannien, Deutschland, Spanien und Italien vor einigen Jahren die gemeinsame Produktion des Eurofighters abgemacht haben, ist der Passus demnach verankert worden, berichten Insider aus Regierung und Industrie.
Gemäß einer Absichtserklärung aus dem Jahr 1986 „unterbindet keine der Partnernationen den Verkauf oder die Genehmigung des Verkaufs von Produkten oder Systemen des Programms an Dritte“, antwortete die Bundesregierung schon 2018 auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion.
Doch nach Aussagen der Insider ist die Klausel noch weitreichender: Wenn ein Partner eine Exportgenehmigung verweigert, kann ein anderer Partner die benötigten Teile selbst produzieren, die bislang aus dem Land mit der Verweigerungshaltung gekommen wären. Der Verweigerer könne damit aus der Eurofighter-Fertigung hinausgedrängt werden.
International und innerdeutsches Konfliktpotenzial
Das Konfliktpotenzial ist nicht nur international, sondern auch in der Bundesregierung groß. SPD, Grüne und FDP hatten 2021 in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, keine Rüstungsexporte an Staaten zu erlauben, „solange diese nachweislich unmittelbar am Jemenkrieg beteiligt sind“. Saudi-Arabien führte zu dem Zeitpunkt die Allianz zur Unterstützung der jemenitischen Regierung gegen die Huthi-Rebellen an.
Als die Saudis erneut um Ersatzteile für ihre 72 vorhandenen Eurofighter baten, drängten vor allem die Grünen und Teile der SPD darauf, die Lieferung zu verwehren. Allerdings erlaubte die Regierung im September 2022 – kurz vor der Reise von Kanzler Scholz nach Riad – trotz großer Proteste der jeweiligen Parteibasis den Export, weil entsprechende vertragliche Verpflichtungen bestanden.
Die diskutierte Lieferung 48 neuer Eurofighter an Saudi-Arabien hatte schon im Sommer in der Bundesregierung für intensive Diskussionen gesorgt. Im Jemen besteht seit April 2022 ein Waffenstillstand. Nach Auffassung von Kanzler Scholz gilt der Exportstopp an Saudi-Arabien deshalb nicht mehr. Dennoch hatte er den Grünen und den Kritikern in der SPD die Absage an die erneute Eurofighter-Lieferung zugestanden.
Und so antworten die Verantwortlichen in Berlin auf den Druck der Briten mit dem Verweis auf die Aussagen des Kanzlers, die Vertragsklausel gelte weiterhin. Man versucht jedoch, ihre Rolle kleinzureden. Sie stehe nur in Absichtserklärungen, nicht im eigentlichen Vertragswerk. Der Passus sei daher nach Auffassung von Juristen rechtlich nicht bindend. „So einfach, wie die Briten es darstellen, ist es also nicht“, sagt ein Regierungsinsider.
Ein anderer erzählt, dass die Briten zwar enormen Druck machten, sich aber über die möglichen Schäden für die europäische Solidarität bewusst seien. „Vertragskonstellationen von vor Jahrzehnten sind nicht entscheidend.“ London hatte sich nach dem Austritt aus der Europäischen Union 2020 zuletzt wieder angenähert.
Neue Produktionen müssten aufgebaut werden
Auch wäre die Verdrängung der Deutschen aus dem Projekt nicht trivial, weil dann unter Umständen erst neue Produktionslinien für die benötigten Teile aufgebaut werden müssten, was bei einem deutschen Anteil von knapp 30 Prozent sehr aufwendig wäre. Auch müssten neue Komponenten zunächst wieder ein Zertifizierungsverfahren durchlaufen, hieß es in Berlin. Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium antwortete auf eine offizielle Anfrage, zum Inhalt interner Unterlagen äußere man sich nicht.
Doch vollkommen entspannt schaut in der Bundesregierung keiner der Beteiligten auf die Debatte. Auch deshalb, weil Deutschland mit mehreren europäischen Ländern allgemeine Absprachen zur Vereinfachung von gemeinsamen Rüstungsexporten getroffen hat.
Großbritannien wolle dieser Runde beitreten, berichtet ein Regierungsinsider. Das könne allerdings bedeuten, dass Deutschland die Eurofighter-Lieferung an Saudi-Arabien nicht mehr blockieren dürfe. Die Bundesregierung arbeite deshalb intensiv daran, eine Ausnahmeregelung für den Eurofighter zu finden, um ihn aus der Regelung herauszuhalten.