Tuesday, September 26, 2023

Gastbeitrag von Gabor Steingart - Fünf goldene Regeln der Führung werden von Olaf Scholz hartnäckig ignoriert

FOCUS online Gastbeitrag von Gabor Steingart - Fünf goldene Regeln der Führung werden von Olaf Scholz hartnäckig ignoriert Artikel von Von Gastautor Gabor Steingart (Berlin) • 2 Std. Bundeskanzler Scholz kämpft gegen sinkende Umfragewerte und innerparteiliche Kritik. Welche grundlegenden Führungsregeln er ignoriert und wie er das Ruder noch herumreißen könnte. Warum seine Kanzlerschaft auf der Kippe steht und was er von politischen Giganten lernen kann. Das Positive vorweg: Unser Bundeskanzler ist kein unrechter Kerl. Er ist gebildet, hat seine Abschlussarbeit an der Universität Hamburg ehrlich absolviert, nicht von anderen kopiert. Er kann charmant sein und beherrscht eine feine Ironie. Die Extreme von rechts und links sind seiner Wesensart fremd. Er ist ein Kind aus der Mitte der Mittelstandsgesellschaft Bundesrepublik. Und trotzdem will es mit seiner Kanzlerschaft nicht so recht klappen. Die Stimmung in der SPD und seine persönlichen Umfragewerte sind seit der Bundestagswahl wie ein erkaltendes Soufflee zusammengesackt. In Bayern steht seine SPD bei acht Prozent, in Hessen bei 19 Prozent und im Bund läuft er hinter CDU und AfD auf Position drei. Die Kanzler-Krise ist hausgemacht Diese Kanzler-Krise ist hausgemacht. Es sind vor allem die folgenden fünf allgemeingültigen Regeln der Führung, die Olaf Scholz auf geradezu hartnäckige, man könnte auch sagen auf sträfliche Art ignoriert. 1. First be clear, then be clever. Die Tatsache, dass gute Führung in allererster Linie aus Klarheit besteht, mag er für sich nicht akzeptieren. Mal sagt er, „wir können zuversichtlich bleiben“ und Deutschland sei „hocherfolgreich als Exportnation”, um dann festzustellen: Über uns liegt ein „Mehltau aus Bürokratismus, Risikoscheu und Verzagtheit“. Mit großem Tamtam ruft er einen Wohnungsbaugipfel ein, bei dem es darum gehen soll, dass wieder mehr gebaut wird. Dann erklärt er kurz vorher den Bauherren, die aufgrund der Zinsentwicklung jetzt keine Bauherren sein können, dass sie nicht rechnen können. „Vier Prozent Zinsen, Leute, im Westen sind 1972 700.000 Wohnungen gebaut worden, wisst ihr, wie hoch die Zinsen waren?“ Steve Jobs, der legendäre Gründer von Apple, hat dazu das Notwendige gesagt: „Man muss hart dafür arbeiten, sein Denken zu bereinigen und es einfach zu machen“. Fazit: Diese Bereinigungssitzung mit sich selbst steht dem Bundeskanzler noch bevor. Wenn er klug ist, beraumt er sie vor seiner Abwahl an. 2. Der Reiter formt das Pferd. Diese Erkenntnis aus der Pferde-Dressur fand deshalb ihren Weg in die Managementlehre, weil es auch hier darum geht, komplexe Gebilde zu beherrschen, deren körperlichen Kräfte und widerstreitenden Interessen stärker sind als man selbst. Es geht – beim Menschen und beim Pferd – nicht um die Anwendung von Gewalt, sondern um das Praktizieren von Führungskunst. Doch die einzelnen Teile dieser Drei-Parteien-Koalition kümmern sich nicht viel um das, was der Reiter denkt und sagt. Seine Hilfen sind zu indirekt. Seine Autorität wird nicht akzeptiert. Grüne und FDP streiten sich über die Atomlaufzeit, über das Heizungsgesetz, über die Kindergrundsicherung und über neue Schulden sowieso. Der Kanzler wird, ausweislich aller demoskopischen Befragungen, nicht als das prägende Element seiner Regierung wahrgenommen. Fazit: Wenn das Pferd den Reiter formt, ist das kein schöner Anblick. Früher oder später macht der Reiter plumps. Lesen Sie auch: Gastbeitrag von Gabor Steingart - Herr Scholz, mit vier Maßnahmen kommen Sie aus Ihrem Wohnungsbau-Debakel raus! 3. Die Hand, die du nicht abhacken kannst, sollst du schütteln. Dieses chinesische Sprichwort wirbt dafür, es auch mit dem erbitterten Rivalen auszuhalten. Zumal dann, wenn man den Rivalen nicht ein für alle Mal beseitigen kann. So gesehen hätte Olaf Scholz allen Grund, sich mit den Länderfürsten der Union und auch mit Friedrich Merz auf die Grundzüge einer neuen Migrationspolitik zu verständigen. Ohne die ganz große Koalition, das zeigt der Asylkompromiss von 1993, wird hier kein Durchbruch gelingen. Aber er muss gelingen, wenn Olaf Scholz nicht bei der kommenden Bundestagswahl hinter der AfD aus dem Rennen gehen möchte. Die Rechtspopulisten leben davon, dass der Kanzler das Thema schleifen lässt. Seine Passivität in diesem Zentralbereich der Politik ist ihr Lebenselixier. Fazit: Olaf Scholz muss die Hand der Opposition schütteln, damit er seine nicht verliert. 4. Man kann nicht nicht kommunizieren. Diese Grundregel aller Marketing-Fachleute und PR-Experten ist an Schlichtheit kaum zu überbieten. Aber sie stimmt. Ein Regierungschef, der in die Kameras beredt schweigt oder vor dem Bundestag seine Wähler mit Worthülsen überschüttet, wird niemals als Führungsfigur wahrgenommen. Er ist ein Amtsinhaber, das schon. Aber er ist kein politischer Führer. Er will sich nicht zu erkennen geben, weshalb er das Undeutliche und das Vielschichtige liebt und die Festlegung meidet. Fazit: Die Wähler wählen einen Anführer, kein Orakel. Wer Rätsel lösen will, kauft die Freizeitrevue. 5. Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen, aber nicht die Förderrechte. Dieser Satz stammt von dem amerikanischen Öl-Milliardär Paul Getty. Er weist darauf hin, dass die Gründerzeit des Kapitalismus auch mit einer unerhörten Dreistheit verknüpft war. Das Abstecken der Öl-Claims und die Schaffung eines Bodenrechts machte den Bodenraub zur Voraussetzung der dann legalen und vom Staat geschützten privatwirtschaftlichen Ölförderung. Diese Dreistigkeit muss auch der Staatsmann besitzen, wenn er sich im Poker der Mächtigen durchsetzen will. Die Mächtigen spielen nicht nach den Regeln, sondern mit den Regeln, wie Peter Sloterdijk zurecht einmal anmerkte. Helmut Kohl hat seinen Zehn-Punkte-Plan zur Deutschen Einheit alleine geschmiedet, ohne Rückkopplung mit Washington, London, Paris. Erst kurz vor der Verkündung im Deutschen Bundestag verschickte er ein Fax. Willy Brandt hat seine Entspannungspolitik gegen den Willen der Kalten Krieger in Washington konzipiert – und sie dann bei Kennedy durchgesetzt. Auf dieses Meisterstück der Außenpolitik warten wir bei Olaf Scholz bisher noch vergeblich. Man wäre ja schon froh, wenn man von den Vorarbeiten etwas mitbekäme. Fazit: Olaf Scholz muss – erst recht angesichts der sich ankündigenden Wahlniederlagen in Bayern, Hessen und später dann auch in Ostdeutschland – tapfer sein und eine Wende vollziehen, ohne dass es nach Wende aussieht. Und falls es einen Anflug von Bitterkeit bei ihm gibt, darf er sich genau diesen nicht anmerken lassen. Oder um es mit Winston Churchill zu sagen: „Erfolg besteht darin, von Misserfolg zu Misserfolg zu gelangen, ohne die Begeisterung zu verlieren.“