Friday, June 23, 2023

Neben der Titan liegen weitere implodierte U-Boote im Meer

WELT Neben der Titan liegen weitere implodierte U-Boote im Meer Artikel von Gerhard Hegmann • Vor 51 Min. Die Ozeane sind der Friedhof einiger bemannter U-Boote. Auch das Unglück mit einem Tauchboot aus deutscher Produktion vor knapp sechs Jahren wurde zuerst akustisch registriert. Bis die Angehörigen Gewissheit hatten, dauerte es damals jedoch viel länger. Die Ara San Juan traf 2017 das gleiche Schicksal wie die Titan: Das U-Boot implodierte mit 44 Menschen an Bord Es ist die größte Gefahr für alle U-Boote, ob im Auftrag für Streitkräfte, die Wissenschaft oder Abenteurer: die schlagartige Zerstörung der schützenden U-Boothülle durch den steigenden Wasserdruck in immer größerer Tauchtiefe. Experten sprechen von Implosion, wenn ein Körper durch Druck nicht nach außen explodiert, sondern nach innen eingedrückt wird. Mit dem privaten Tauchboot Titan ist jetzt erstmals ein kommerzielles U-Boot bei einer Erkundungsmission zum Wrack der Titanic implodiert. Die fünf Männer an Bord starben vermutlich binnen Millisekunden. Die Trümmer der Titan wurden am Meeresgrund unglaublich schnell entdeckt. Bei anderen Implosions-Unglücken mit U-Booten dauerte es Monate bis Jahrzehnte. Das Titan-Unglück ist keineswegs der erste Fall, bei dem ein U-Boot implodiert, weil die schützende Hülle dem Wasserdruck nicht mehr standhält und der Besatzung keine Überlebenschance lässt. So gibt es mehrere Parallelen zur Implosion militärischer U-Boote, deren Wracks teilweise seit Jahrzehnten auf dem Meeresgrund liegen und praktisch nicht gehoben werden können. Ähnlich wie im Fall der Titan wurde die Implosion in der Vergangenheit von Unterwasser-Spezialmikrofonen (Hydrophone) der Militärs und in mindestens einem Fall auch von Mikrofonen der internationalen Organisation CTBTO mit Sitz in Wien zum Aufspüren verbotener Atomwaffentests registriert. Die Mikrofone können über tausende Kilometer Geräusche erfassen. Die Hauptschwierigkeit für die Auswerter von militärischen oder zivilen Unterwasserabhöreinrichtungen ist, außergewöhnliche Schallwellen von sonst üblichen Geräuschen der Tierwelt, Schiffen, Meeresvulkanen oder etwa Bohrinseln herauszufiltern. Auch beim jetzigen Titan-Unglück habe die CTBTO ihre Daten den Mitgliedstaaten sofort zur Verfügung gestellt, heißt es auf WELT-Anfrage. Weitere Details werden nicht genannt. Das letzte große Implosions-Unglück mit einem U-Boot ereignete sich im November 2017 mit dem Untergang des U-Boots „ARA San Juan“ der argentinischen Marine im Südatlantik mit 44 Menschen an Bord. Bei der Implosion des 1983 von Thyssen in Emden gebauten U-Boots gibt es Parallelen zum jetzigen Unglück mit dem Titan-Modell: zuerst der Kontaktverlust, dann eine mehrtägige Phase mit Hoffen und Bangen und einer größeren Suchaktion mit Horchgeräten sowie schließlich die Bestätigung der Katastrophe über die Aufzeichnung eines Implosionsgeräusches. Zwei Wochen nach dem Verschwinden des argentinischen U-Boots wurde die Besatzung für tot erklärt. Es dauerte jedoch rund ein Jahr – und nicht wenige Tage wie jetzt beim Titan-Unglück – bis das Wrack in 907 Meter Tiefe gefunden wurde. Angehörige der Verschollenen forderten die Bergung des Wracks, aber der argentinische Verteidigungsminister verwies darauf, dass dazu die Technik für ein Gewicht von etwa 2300 Tonnen fehlt. Das in Deutschland gebaute U-Boot war vermutlich wegen eines Technikfehlers weit über seine sogenannte Betriebstauchtiefe gesunken, in der ein sicherer Betrieb möglich ist. Zu den Implosions-Wracks am Meeresgrund gibt es mindestens zwei weitere Beispiele der US-Marine. Mögliche Implosions-Unglücke mit russischen U-Booten sind zumindest nicht groß publik geworden. So gab es vor 60 Jahren im April 1963 mit dem US-Atom-U-Boot „Thresher“ ein schweres Unglück. Es sank bei Tieftauchtests mit 129 Menschen an Bord und implodierte. Erst Monate später wurden die Reste in 2560 Meter Tiefe von einem Tauchroboter entdeckt – und nie geborgen. Zu den Implosionskatastrophen gehört auch die Fahrt des US-Atom-U-Bootes „Scorpion“. Um den 22. Mai 1968 sank das etwa 3000 Tonnen schwere U-Boot im Atlantik mit 99 Besatzungsmitgliedern bis auf eine Tiefe von rund 3000 Meter und implodierte. Fünf Monate später wurden Wrackteile entdeckt, die weiterhin auf dem Meeresgrund liegen. Zum Teil kann es sehr lange dauern, bis U-Boot-Wracks gefunden werden. So wurden erst 2019 die Überreste des französischen U-Boots Minerve lokalisiert, das 1968 mit 52 Personen an Bord auf der Rückfahrt zu seinem Heimathafen in Toulon im Mittelmeer verschwand. Gefunden wurden schließlich drei große Wrackteile in 2350 Meter Tiefe. Auch beim Verlust der Minerve zeichneten Unterwassermikrofone Schallwellen auf, die eine Implosion vermuten lassen. Zu den Besonderheiten der Implosion des kommerziellen Modells Titan bei der Tauschfahrt zur Titanic gehört, dass dessen Hülle nicht aus Stahl bestand, wie bei militärischen U-Booten, sondern aus Kohlenstofffasern. Hier könnten Mikrorisse fatale Folgen haben, heißt es bei Experten. Zudem verfügte das Titan-Modell offensichtlich auch nicht über die sonst bei U-Booten übliche Sicherheitstechnik. Dieses Modell wäre für einen deutschen Betreiber nie zugelassen worden, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Der große europäische Sicherheitsprüfkonzern Bureau Veritas, der auch in der Schiffssicherheit tätig ist, lehnte zu diesem Fragenkomplex eine Stellungnahme ab. Fest steht, dass militärische U-Boote bessere Sicherheitseinrichtungen für Notfälle haben, als das kleine, nur knapp sieben Meter lange Titan-U-Boot. Beim Bundesamt für Schifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg gibt es bislang keine Anmeldung für ein deutsches ziviles U-Boot und daher könnten auch keine Angaben gemacht werden, welche Sicherheitstechnik für eine Zulassung gefordert wäre. „Es wäre eine Einzelfallprüfung, bei der die Sicherheit im Vordergrund steht“, sagt Jörg Kaufmann, Abteilungsleiter Schifffahrt der Behörde. U-Boote der Marine haben einen Plan B und C Kaufmann ist als ehemaliger U-Boot-Kommandant Experte in der Materie. Er verweist darauf, dass die deutschen U-Boote der Marine zahlreiche Möglichkeiten hätten, im Notfall auf sich aufmerksam zu machen. Auf der einen Seite sollen U-Boote für ihre Missionen möglichst unentdeckt operieren. Auf der anderen Seite kann im Notfall, gerade in Friedenszeiten, aber die Tarnung aufgehoben werden. „Ein U-Boot kann dann ein aktives Sonar einschalten“, sagt Experte Kaufmann. Vereinfacht ausgedrückt sendet dann das U-Boot selbst Schallwellen aus, die von Suchschiffen, Bojen oder Unterwassermikrofone geortet werden. Soweit bekannt, verfügte das verschollene Tauchboot Titan jedoch über kein aktives Sonar. Die deutschen U-Boote hätten im Notfall noch weitere Möglichkeiten, sich bemerkbar zu machen. So kann ein Unterwasser-Signalkörper ausgestoßen werden. Er steigt an die Wasseroberfläche auf. Dort entzündet sich dann eine aufsteigende rote Leuchtkugel als internationales Seenotsignal. „Die U-Boot-Besatzung muss hoffen, dass dieses Zeichen gesehen wird“, sagt Kaufmann. Der Experte räumt ein, dass nur bis zu einer bestimmten – geheimen – Tauchtiefe der Ausstoß von Unterwasserseenotkörper möglich ist. In größeren Tiefen, wie etwa der Meeresbodentiefe beim Titanic-Wrack, sei dies angesichts des enormen Wasserdrucks selbst für Spezialtauchboote kaum noch möglich. Und es gibt noch weitere gravierende Unterschiede in der Sicherheitsphilosophie. Nach übereinstimmenden Berichten ließ sich beim Titanic-Tauchboot die Einstiegsluke nicht von innen öffnen. Bei militärischen U-Booten und wohl auch bei einer Anmeldung für ein deutsches ziviles U-Boot ein niemals genehmigungsfähiges Konzept. So gibt es bei deutschen U-Booten eine Ausstiegsluke für den Ernstfall. Allerdings ist der Notaufstieg nur in geringer Tauchtiefe möglich und nicht mehrere Hundert Meter tief. Während das zivile Titan-Tauchboot seinen Auftrieb durch den Abwurf von Gewichten und über Elektropropeller bewerkstelligte, gibt es bei deutschen U-Booten ausgeklügelte Technik. Im Normalbetrieb kann ein U-Boot durch das Fluten und „Ausblasen“ von Ballasttanks seine Tauchtiefe steuern. Im Notfall kommt das Resus-System (Rescue Systems for Submarines) zum Einsatz. Dabei werden Gasgeneratoren mit Raketentechnik in den Wasser-Ballasttanks gezündet, die vom Unternehmen Bayern-Chemie des Rüstungskonzerns MBDA geliefert werden. Wie es in der Branche heißt, kann in rund einer halben Minute ein U-Boot damit aus mehreren Hundert Metern Tiefe auftauchen.