Monday, March 14, 2022
Kämpfer der Internationalen Truppen in der Ukraine: "Wir werden Putin nur stoppen, wenn wir furchtlos sind"
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Kämpfer der Internationalen Truppen in der Ukraine: "Wir werden Putin nur stoppen, wenn wir furchtlos sind"
Kai Lange - Vor 43 Min.
Der Unternehmer David Katsarava hat seine Familie in Georgien verlassen und kämpft nun bei Kiew als Freiwilliger gegen die russische Armee. Er erklärt, warum viele Georgier sich jetzt der "Internationalen Legion" anschließen – und wie der Westen wirksam helfen könnte.
Kämpfer der Internationalen Truppen in der Ukraine: "Wir werden Putin nur stoppen, wenn wir furchtlos sind"
Herr Katsarava, Sie sind rund 2000 Kilometer von Tiflis in Georgien nach Kiew gereist, um jetzt als Teil der "Internationalen Legion" die ukrainische Hauptstadt zu verteidigen. Warum riskieren Sie ihr Leben?
David Katsarava: Ich habe mich in dem Moment entschieden, als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj um Unterstützung durch freiwillige ausländische Kämpfer bat. Vor zehn Tagen bin ich dann aufgebrochen und habe mich rekrutieren lassen. Seit einigen Tagen hat unsere Gruppe – darunter Georgier, Norweger und Finnen – ihr Einsatzgebiet in einem Vorort von Kiew. Von hier aus starten wir unsere Einsätze. Die meisten Kämpfe finden derzeit vor Kiew statt, nicht in Kiew selbst.
Was haben Sie in den vergangenen Tagen erlebt?
Wir haben täglich klar definierte Missionen. Gestern haben wir etwa ein russisches Militärfahrzeug zerstört. Die Kommunikation und Vernetzung der Gruppen funktioniert gut. Wir werden von der ukrainischen Armee ausgerüstet und stehen unter ihrem Kommando. Georgier und Ukrainer verständigen sich ironischerweise meist auf Russisch. Mit den Mitkämpfern aus Europa sprechen wir Englisch. Wir sind mobil und viel unterwegs: Über einzelne Missionen sprechen wir erst dann, wenn sie abgeschlossen sind. Was ich in den vergangenen zehn Tagen an Leid und Elend gesehen und erlebt habe, darüber möchte ich lieber nicht sprechen.
Sie haben in Tiflis ein erfolgreiches Touristik-Unternehmen geführt. Dort leben auch ihre Frau und ihre 3 Kinder. Wie schwer ist Ihnen die Entscheidung gefallen, in ein anderes Land in den Krieg zu ziehen?
Natürlich war die Entscheidung schwer. Aber sie war vom ersten Moment an ganz klar. Außerdem sehe ich die Ukraine nicht als "ein anderes Land". Georgien und die Ukraine, wir sind eins. Es ist unser gemeinsamer Kampf.
Woher diese Einigkeit?
Georgien wurde bereits 2008 in Teilen von russischen Truppen besetzt. 2014 hat Putin dann die Krim annektiert und jetzt die gesamte Ukraine angegriffen – eben weil es seit 2008 keinen geschlossenen internationalen Widerstand gegen seine Politik gab.
Ich habe mich seit 2017 als Aktivist gegen die russische Besatzung in Georgien eingesetzt – und jetzt ist mein Platz hier, in der Ukraine, vor Kiew. Ich weiß: Wenn wir jetzt nicht gemeinsam die Freiheit der Ukraine verteidigen, dann sind Georgien und Moldawien als Nächstes dran.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, schon bald ihr altes Leben zurückzubekommen?
Wissen Sie, ich habe mein altes Leben schon einmal komplett aufgegeben. Ich habe ein erfolgreiches Touristik-Unternehmen geführt, Kanu- und Rafting-Touren angeboten – es war ein angenehmes, sicheres Leben. Aber 2017 habe ich es einfach nicht mehr ertragen, dass russische Soldaten die Grenzlinien zu den besetzten Gebieten in Georgien permanent verschieben – und auf diese Weise immer größere Teile meiner Heimat okkupieren.
Sie sprechen von den Konflikten in den selbst ernannten Republiken Südossetien und Abchasien, die völkerrechtlich zu Georgien gehören, aber von Russland kontrolliert werden.
Putin verfolgt dort die gleiche Strategie wie im Donbass. Erst russische Pässe verteilen und dann den Bewohnern der sogenannten Republiken "zu Hilfe eilen". Georgische Dörfer, die in der Nähe der Okkupationslinien liegen, heißen bei uns "Dörfer der Angst".
Wenn Deine Kuh über die Linie zum nächsten Wasserloch läuft und du sie zurückholst, riskierst du, festgenommen und tagelang verhört zu werden. Über Nacht ziehen russische Soldaten neue Brandschneisen über die Äcker und verschieben auf diese Weise die Grenzlinie erneut. Es ist wie eine Berliner Mauer – allerdings eine bewegliche, die immer weiter in Dein Land vordringt. Und wehe, du landest auf der falschen Seite im besetzten Sektor.
Und was haben Sie dagegen unternommen? Damals, als Zivilist?
Wir haben die Aktionsgruppe "Power is in Unity" gegründet, eine Art Bürgerwehr. Wir laufen regelmäßig entlang der Okkupationslinien Patrouille. Wir dokumentieren neue Brandschneisen, den neu gezogenen Stacheldraht und unterstützen die Menschen, die sich noch nicht haben vertreiben lassen. Das wäre eigentlich Aufgabe unserer georgischen Regierung, aber die haben jahrelang die Konfrontation mit dem großen Nachbarn Russland gescheut. Wir Aktivisten haben uns 2018 im Grenzgebiet vor russische Soldaten gestellt und ihnen gesagt, dass sie uns schon erschießen müssen, wenn sie jetzt noch weiter vordringen. Unsere Gruppe ist daheim immer noch aktiv. Aber mein Platz ist jetzt in Kiew.
Der Aufbruch gen Kiew ist die zweite grundlegende Veränderung in ihrem Leben. Vom Unternehmer zum Aktivisten. Und vom Aktivisten zum Soldaten in einer Kampfeinheit. Haben Sie Angst?
Ich habe keine Angst, sondern eine feste Überzeugung: Wir müssen uns wehren. Putin muss wissen, dass wir entschlossen sind, uns mit aller Macht und mit allen Mitteln zu verteidigen. Das ist leider die einzige Sprache, die er versteht und die er ernst nimmt. Diplomatie und Verhandlungen sind für ihn Zeichen von Schwäche. Unsere stärkste Waffe ist unsere Einheit: Wir müssen uns ihm gemeinsam entgegenstellen.
Wie sehen Sie, als Kämpfer im Kriegsgebiet, die Sanktionen des Westens gegen Russland?
Die Sanktionen sind wichtig. Aber das Problem ist: Die Ukraine hat nicht mehr viel Zeit. Hier sterben täglich Menschen, Zivilisten, Frauen, Kinder. Ich sehe hier jeden Tag schreckliche Dinge. Wirtschaftssanktionen werden über Wochen und Monate sicherlich eine Wirkung bringen, aber so viel Zeit haben wir nicht mehr. Wirksamer wäre, wenn die Nato endlich den Luftraum über der Ukraine sperren würde. Wir brauchen eine Flugverbotszone.
Mit einer Sperrung des Luftraums würde die Nato als Kriegspartei in den Krieg eingreifen. Eine direkte Konfrontation zwischen USA und Russland könnte katastrophale Folgen haben – womöglich gar zu einer atomaren Konfrontation führen. Der Westen hat also gute Gründe, zu zögern.
Dieses Argument habe ich schon oft gehört. Aber die Stärke der russischen Streitkräfte wird vom Westen überschätzt – und dieser Fehler ist tragisch für die Ukraine. Schauen Sie: Bereits wir, ein zusammengewürfelter Haufen mit ein paar tausend Kämpfern, viele mit begrenzter militärischer Erfahrung, sind in der Lage, den russischen Vormarsch zu verlangsamen. Wir beweisen jeden Tag in Kiew, Mariupol und Charkiw: Die Erzählung von der totalen militärischen Überlegenheit Russlands ist ein Mythos. Wir verteidigen hier auch eure Freiheit. Und wenn bereits wir schon stark genug sind, den russischen Angriff zu bremsen, wozu wäre dann erst die Nato in der Lage? Ich bin überzeugt: Wenn die Nato ein Zeichen echter Stärke senden und den Luftraum über der Ukraine sperren würde, dann würde Putin den Angriff stoppen.
Aber die Ukraine ist kein Nato-Mitglied. Und niemand kann mit Sicherheit sagen, wie Putin auf einen solchen Schritt reagieren würde.
Korrekt. Aber solange wir uns Furcht gegenüber Putin erlauben, solange kann Putin seine Politik der Furcht fortsetzten. Politik, die auf Einschüchterung und Terror basiert. Wir werden Putin nur stoppen, wenn wir furchtlos sind. Wir dürfen uns nicht von Putins Russland einschüchtern und terrorisieren lassen. Das gilt für die westlichen Nato-Partner genauso wie für uns Kämpfer hier in Kiew.