Thursday, March 31, 2022

Im Eskalationskarussell: Putin zieht die Schraube an, Deutschland muss reagieren

Berliner Zeitung Im Eskalationskarussell: Putin zieht die Schraube an, Deutschland muss reagieren Julia Haak - Vor 17 Std. Die Nachrichten aus dem Bundeswirtschaftsministerium blitzen jetzt jeden Tag auf und erschüttern die Gewissheit, dass alles immer so weiter geht im wohlstandsverwöhnten Deutschland. Seit Kurzem geht es dauernd um die Energieversorgung. Sie sei sicher, dieser Hinweis fehlte in den vergangenen Wochen nie. Aber seit einer prägenden Erfahrung mit dem früheren Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm von der CDU hat eine solche Formulierung einen unangenehmen Beiklang bekommen. Blüms „Die Rente ist sicher“ in den 1980er-Jahren mutierte zum Witz. Wann immer man eine Unsicherheit beschreiben will, kann man diesen Satz seitdem benutzen. Blüm lehrte uns unfreiwillig, besser nichts zu glauben und selbst zu denken. Aber so entspannt gibt sich der aktuelle Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen angesichts einer eskalierenden Lage im Energieversorgungsbereich ja auch gar nicht. Er sieht in letzter Zeit ziemlich blass aus. Angesichts des fortdauernden Kriegs in der Ukraine und angesichts der Tatsache, dass dort unter russischem Beschuss täglich Menschen sterben, Deutschland eine moralische Mitverantwortung trägt, weil die deutschen Zahlungen für Gaslieferungen das System Putin stützen und Habeck für die Beschaffung von Alternativen zuständig ist, ist das natürlich auch kein Wunder. Aber Habeck ist auch in der Regierung der beste Gradmesser, wenn es um die Temperatur im aktuellen Russlandkonflikt geht. Während der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) darum bemüht ist, die Gemüter zu beruhigen, und unverdrossen behauptet, Deutschland könne nicht auf russisches Gas verzichten, würzt Habeck seine Formulierungen mit Einschränkungen. Die Versorgungssicherheit mit Gas sieht er nun nur noch aktuell gewährleistet und setzt schon mal die Frühwarnstufe eines Notfallplans in Kraft. Es sieht ein bisschen so aus, als habe sich der Wind gedreht. Aber das, was auf den ersten Blick wie eine Abkehr von der bisherigen Politik aussieht, ist in Wirklichkeit gar keine. Der Warnruf fügt sich ein in eine Kette, in der auf den russischen Überfall auf die Ukraine europäische Sanktionen und Waffenlieferungen folgten. Darauf kamen Putins Rubelforderung für Gaslieferungen. Die haben die G7-Staaten dann zurückgewiesen und seitdem droht Russland mit einem Lieferstopp für Gas, Öl und Kohle. Es fühlt sich mittlerweile nicht nur so an, als ob wir in einer Eskalationsschraube stecken. Es ist auch eine. Es ist daher vollkommen richtig, sich vorzubereiten, einen Krisenstab einzusetzen und schon mal die wahrscheinlich zuerst betroffenen Unternehmen darauf vorzubereiten, dass sie vielleicht für einen gewissen Zeitraum nicht mehr vollständig versorgt werden können. Vielleicht wird dieser Fall nicht eintreten. Das wissen wir nicht. Gegen Mittag hat Russland am Mittwoch immerhin eine leichte Entspannung der Lage signalisiert. Die Rubelforderung soll jetzt nicht mehr gleich, sondern nur schrittweise umgesetzt werden. Das ändert allerdings überhaupt nichts an der bestehenden Situation. Die Bedrohung durch eine Unterbrechung der vertraglich vereinbarten Energielieferungen ist nicht vom Tisch. Wir sollten auf alles gefasst sein.