Monday, February 5, 2024

TV-Kritik Caren Miosga: „Wir haben die Schnauze voll, Herr Habeck“

Frankfurter Allgemeine Zeitung TV-Kritik Caren Miosga: „Wir haben die Schnauze voll, Herr Habeck“ von Simon Strauß • 3 Std. Eine zähe halbe Stunde dauert es, bis der Bundeswirtschaftsminister eine Antwort gibt auf die Leitfrage der Sendung: „Überfordert die Ampel, Deutschland?“ Nicht die Ampel überfordere die Menschen, so Robert Habeck, sondern die Zeiten, in denen sie leben. Denn die sind extrem fordernd und schwierig. Voller Unsicherheit und Unfairness. Als „Bürger dieses Landes“ fühle er, dass sich die Welt dramatisch verändert habe, so der aus Schleswig-Holstein stammende Vizekanzler. Deshalb müsse man doch anerkennen, dass es keine einfachen Lösungen für die vielen Probleme in Deutschland gebe. Und auch, dass die Ampel „unter großem Zeitdruck“ durchaus versuche, Lösungen zu finden. Nur leider die ganz falschen – werden nicht wenige der zahlreichen Zuschauer des neuen ARD-Primetime-Talks von Caren Miosga gedacht haben. Die erschöpfende Debatte um ein praxisfernes Heizungsgesetz, ein Klimageld, das angekündigt wird und dann nicht kommt, ein Strompreis, der durch die Decke geht – alles falsche Lösungen für ernsthafte Probleme. Nicht nur die Verbraucher (und darunter vor allem die Wärmepumpenbesitzer) ächzen unter den hohen Energiekosten, auch der deutsche Mittelstand ist überfordert und sorgt sich um seine internationale Wettbewerbsfähigkeit. Weniger Bürokratie wagen Die Forderungen lauten seit einiger Zeit: weniger Bürokratie, weniger Verunsicherung. Ein mittelständischer Stahlhersteller aus NRW wird als Kronzeuge bemüht, um jemanden zu zeigen, der Habecks grüne Transformationssehnsucht durchaus teilt, aber momentan vom viel zu hohen Strompreis und der im internationalen Vergleich enorm hohen Steuerlast in seiner Existenz bedroht ist. Im ARD-Talk am Sonntag - Mit süffisantem Konter bringt Habeck Miosga in Verlegenheit Weiß Herr Habeck eigentlich, was ein mittelständischer Unternehmer für seinen Strom zahlt? Miosga wiederholt, was ZDF-Kollege Lanz vor einigen Wochen bei Habecks Parteifreundin Riccarda Lang gekonnt vorgeführt hat, als er sie fragte, ob sie wisse, wie hoch die durchschnittliche Rente in Deutschland sei. Miosga fragt Habeck mit demselben hinterlistigen Augenaufschlag: was seiner Meinung nach ein Mittelständler für den Strom zahlen müsse? Kurz zeigt sich der Medienprofi Habeck verunsichert, dann verweist er sinnigerweise auf unterschiedliche Verträge und Wechselmöglichkeiten und springt vom Glatteis zurück ans feste Ufer. Das Klimageld kommt – irgendwann 125 Euro pro Megawattstunde zahlt der Stahlhersteller übrigens. Dass grüner Strom hierzulande ein so knappes Gut ist, dass die Infrastrukturkosten hoch sind und auf absehbare Zeit wegen des fehlenden Netzausbaus in der Vergangenheit auch bleiben werden – alles keine Gründe für Habeck, nicht doch ein paar populistische Versprechungen zu machen: „Die Preise werden runtergehen“, verspricht er und das klingt in etwa so glaubhaft wie seine etwas später in der Sendung untermauerte Aussicht, dass das Klimageld auf jeden Fall kommen werde – wenn nicht in dieser, dann in der nächsten Legislatur. Wobei Habeck sich im Moment nicht so richtig viel Hoffnung auf eine weitere Legislaturperiode machen sollte. „Die Stimmung in Deutschland ist moll“, gesteht auch der Minister zu und hofft, mit seinem Auftritt an diesem Abend wieder „ein bisschen Dur“ reinzubringen. Aber für etwaige Tonwechselübungen bleibt ihm bei Miosgas angenehm konzentrierter Frageintensität nicht viel Zeit. Im Gegenteil erweist sich Habecks Versuch, an den Gemeinschaftssinn zu appellieren, das Land direkt anzusprechen als aussichtslose Kommunikationstaktik. Ihm, der selbst ziemlich angeschlagen auf der Regierungsbank sitzt, nimmt man die Rolle des Chefmotivators nicht mehr ab. Verflogen ist all die Bewunderung für sein emotional-ehrliches Auftreten, das Vorschussvertrauen in einen, der nicht nur anständig aussieht, sondern auch angemessen verständlich reden kann. Sie haben die Schnauze voll Wenn Habeck jetzt sagt: „wir dürfen nicht in Bräsigkeit zurückfallen“, dann klingt das falsch und hochmütig. Dann wirkt das, als wolle er seine vielen Kritiker beleidigt zu wohlstandsverwöhnten Klagemäulern erklären, die einfach nicht in die Gänge kommen. Dabei zeugen ja etwa die Bauernproteste vom ganzen Gegenteil. An sie hat Habeck verständlicherweise keine besonders guten Erinnerungen – der sogenannte „Fährenzwischenfall“ in Schlüttsiel sitzt ihm noch spürbar in den Knochen. Eine Situation, in der es nicht mehr möglich war, Argumente auszutauschen, weil die Gegenseite nur noch skandierte: „Wir haben die Schnauze voll“. Vielleicht hätte die Sendung etwas mehr Spannung aufbauen können, wenn zumindest ein paar O-Töne von Habeck-Kritikern eingespielt worden wären. So aber vergingen die sechzig Minuten routiniert und ohne berichtenswerte Zwischenfälle. Um der wirtschaftlichen Moll-Stimmung im Land etwas entgegenzusetzen hat Robert Habeck unlängst ein kleines Feuerwerkt gezündet. Im Deutschen Bundestag schlug er – ohne Rücksprache mit seinen Koalitionspartnern – ein Sondervermögen für Unternehmer vor. Woher das kommen, wie es verteilt werden soll – egal, Hauptsache erst einmal wieder einen Vorstoß gemacht. Das gibt Habeck auch ganz unumwunden zu. Alle gewählten Politiker sagten im Moment, was alles nicht geht und „verstellten damit den politischen Raum“, so der Vizekanzler geradezu beleidigt. Daher müsse man „alles Mögliche ausprobieren“ und auch „die Quadratur des Kreises versuchen“. Daran, dass seine Initiative wirklich Erfolg haben wird, glaubt er offensichtlich selbst nicht, aber dass sich daraus ein Stimmungswechsel ergeben könnte, das hofft er schon. Dazu müsse man sich mitunter auch abseits der parteipolitisch festgelegten Denkkorridore bewegen, müsse er als Grüner zum Beispiel auch eingestehen, dass Vorschriften zum Emissionshaushalt angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise noch einmal hinterfragt werden müssten. Gegenüber Christian Lindner, den er nach eigenen Angaben häufiger sieht als manchen Teil seiner Familie, hat Habeck sich trotz angespannter Haushaltslage nicht aufs Sparen, sondern aufs Investieren versteift. Der Spagat bedeutet: Investitionen im Land ermöglichen, aber gleichzeitig den Haushalt innerhalb der gesetzten Spielregeln halten. Dafür ist er bereit, über Steuersenkungen nachzudenken, etwa die Unternehmenssteuer zu reduzieren, und darüber hinaus weitere finanzielle Anreize zu schaffen. Die Frage ist nur, wer von solchen Anreizen jenseits der großen Konzerne profitiert. Intel bekommt 9,9 Millionen Euro SubventionEN, damit sich die weltweit produzierende Chip-Firma in Sachsen-Anhalt ansiedelt, aber der Stahlmittelständler aus NRW sieht keinen Cent. Dadurch wächst vielleicht das Sicherheitsgefühl, aber es schwindet der Wohlstand. Keine Fröhlichkeit im Lande Das ist auch Habecks Erklärung für den Umfrageboom der AfD trotz – oder gerade wegen – der landesweiten Demonstrationen. Alle schwierigen politischen Entscheidungen, von denen die AfD jetzt profitiert, mussten im Licht des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine getroffen werden. Dass der Wohlstand schwindet, trägt „nicht zur Fröhlichkeit im Land bei“, wie Habeck leicht süffisant anmerkt. In Wahrheit aber weiß auch er keine Antwort auf die Frage: Wie umgehen mit der AfD? Mit seiner Politik hat ihr Umfrageerfolg jedenfalls nichts zu tun: Rechtspopulismus gebe es derzeit überall in Europa und der Welt, „ohne Ampelregierung, ohne Heizungsgesetz“. Hier lässt die Moderatorin Habeck zu leicht vom Haken, denn natürlich haben die blaue Erfolgswelle und die unsichere Wirtschaftspolitik im Land etwas miteinander zu tun. Alles muss jetzt gleich passieren Nein, nein, so Habeck, die Stimmung kühle sich gerade jetzt wieder merklich ab. Das Land stehe bei weitem nicht nur ökonomisch, sondern auch demokratisch unter Druck. Amerika und China geben Milliarden aus, um ihre Unternehmen am Standort zu halten und hier streiten wir uns um ein paar Milliarden mehr für den Netzausbau. Das Problem ist, so Habeck, alles muss jetzt gleich passieren, denn die Vorgängerregierung hat (natürlich!) versäumt, Dinge früher richtig zu machen. „Ein Deutschland ohne den Netzausbau ist auch keine Lösung“, so Habeck. Noch einmal versucht der Minister angestrengt, etwas Optimismus zu versprühen. Erinnert daran, was dieses Land in den vergangenen Jahren alles geleistet und überstanden habe: eine Pandemie, eine Energiekrise, politische Querelen rund um die AfD. Dann ist die Talkstunde auch schon rum. Sie wirkt wie ein symbolträchtiges Kennzeichen einer sich ankündigenden Erschlaffung dieser Bundesregierung. Habeck, einst der charismatische Anführer der Fortschrittskoalition, wirkt ernst, konzentriert, aber gleichzeitig auch ohne jegliche politische Fortune. Seine Begründungen, wo es solche sein wollen, sind nachvollziehbar, aber die Konsequenzen daraus lassen sich meist nicht einfach tragen. Seltsam abgekämpft Und so wirkt der Vizekanzler an diesem Abend seltsam abgekämpft und dissoziiert. Als wäre ein Bann über ihn gekommen, ein Fluch, der fortan alles, was er politisch in die Hand nehmen will, von vornherein zerstört. Auf diese Rolle aber will Habeck sich auf keinen Fall festlegen lassen – er argumentiert so nachvollziehbar wie irgend möglich. Und doch bedeutet jedes zweite Wort ein Ärgernis. In der Abschiedsrunde geht es nochmal um die Frage, warum Habeck das Klimageld im Wahlkampf versprochen, aber dann nicht eingeführt habe. Und wieder kann Habeck sich mit einem Verweis auf den leeren Haushalt nur knapp aus der Bredouille retten. Man schaut seiner leicht abgenutzten taktischen Kommunikation noch eine Weile zu und denkt irgendwann: Man möchte in diesen Tagen wirklich nicht gern in seiner Haut stecken.