Monday, September 6, 2021
Krise der Union: Die Problemzwiebel
Krise der Union: Die Problemzwiebel
Ferdinand Otto vor 1 Std.
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Die Union reißt Negativrekorde, sie liegt in vielen Umfragen hinter der SPD. Natürlich trägt der Kandidat Verantwortung – doch hinter der Krise steckt viel mehr.
Jedes Problem der CDU verweist auf ein tieferes. Armin Laschet hat es wirklich nicht leicht im Wahlkampf.© Christian Marquardt/Pool/Getty Images Jedes Problem der CDU verweist auf ein tieferes. Armin Laschet hat es wirklich nicht leicht im Wahlkampf.
Vier Wochen vor der Bundestagswahl ist von der CDU, dieser siegesgewissen Partei, die das Land regiert und geprägt hat wie keine zweite, nicht mehr viel übrig. Zumindest in den Umfragen. 20 Prozent hat Insa zuletzt gemessen, 21 Prozent Forsa, 21 Prozent Kantar, 22 die Forschungsgruppe Wahlen. Teils liegt sie sogar deutlich hinter der SPD. Das gab es lang nicht mehr. Selbst das eher konservative Allensbach-Institut sieht nur nur noch zwei Punkte Vorsprung auf die Sozialdemokraten. Noch sind das nur die Zahlen der Demoskopen. Aber der Trend ist eindeutig, und der geht nach unten. CDU und CSU haben die realistische Chance, die Wahl zu verlieren. Und zwar in einer Größenordnung, die man vor wenigen Jahren, ja Monaten, für unvorstellbar gehalten hätte.
Die Suche nach Gründen ist nicht einfach. Natürlich ist da der Kandidat und Parteichef. Armin Laschet trägt die Verantwortung, so ist das in der Politik. Aber es wäre doch zu kurz gedacht, ihm das drohende Desaster allein umzuhängen. Jedes Problem verweist auf das nächste, tiefer liegende – das Zwiebelprinzip einer politischen Krise. Ein Erklärungsversuch
Die Kandidatenkür
Das ist vielleicht die oberste Hülle der Probleme: Der Bundestagswahlkampf begann für die Union damit, dass die CDU ihren Parteichef zum Kanzlerkandidaten machte, also Ende April. Das Problem: Laschet hatte zu dem Zeitpunkt schon zwei Wahlkämpfe und mehr als ein Jahr Kampagne in eigener Sache hinter sich. Erst rang er mit Friedrich Merz und Norbert Röttgen um den Parteivorsitz – und gewann, weil der alte CDU-Machtproporz noch funktioniert. Und weil er eine mitreißende Rede auf dem Parteitag hielt. Dann das Duell mit Markus Söder um die Kanzlerkandidatur.
Das hat natürlich an Laschet, aber auch der CDU gezehrt und Kapazitäten vom eigentlichen Ziel, der Bundestagswahl, abgezogen. Für die Wählerinnen und Wähler gilt: Nichts ist weniger attraktiv als eine Partei in permanenter Selbstbeschäftigung. Zudem spätestens da jedem klar war, dass die Einigkeit, die die Union ja im Namen trägt, Makulatur ist. Falls jemand noch ein Argument gegen Laschet gesucht hätte, so musste er nur eine beliebige Zeitung der letzten 18 Monate aufschlagen. Röttgen, Merz und Söder haben reichlich geliefert.
Als also SPD und Grüne frisch, energetisch und unverdorben in ihre Wahlkämpfe starteten, hätten der abgekämpfte Laschet und seine zerzauste Union wohl erst mal ein paar Monate zur Regeneration gebraucht. Die gab es aber nicht. Laschet humpelte an den Start – und war von da an eigentlich im Rückstand.
Das Kanzlerinnendilemma
Macht Merkel, wie im Moment, kaum Wahlkampf, heißt es, sie traue Laschet nicht – oder hege gar heimlich Sympathien für Baerbock oder Scholz. Mischte sie sich doch ein, würde Laschet neben ihr verblassen. Der kann's halt nicht allein, hieße es dann. Ein unauflöslicher Konflikt. Das gilt auch inhaltlich. Denjenigen, die Merkel gut finden, muss Laschet ein Versprechen von Kontinuität machen. Den anderen, die einen Neuanfang fordern, eins von Aufbruch. Eine ziemlich komplizierte und in sich widersprüchliche Botschaft und Grund dafür, dass der Union im Wahlkampf der Schmackes fehlt.
Ähnlich ist das mit dem Hinterbänkler-Team, das den Parteichef jetzt einrahmen soll. Ausgerechnet die Regierungspartei CDU verzichtet darauf, ihre Regierenden zu zeigen.
Dafür kann Laschet wirklich nichts. Die Grünen haben sich, wenigstens für den Moment, aus dem Rennen ums Kanzleramt verabschiedet. Schade für die CDU. Die Vorstellung, von Annalena Baerbock regiert zu werden, hätte sicher noch mal unentschlossene aber CDU-Nahe motiviert. Olaf Scholz schreckt an der Unionsbasis niemanden auf. Im Gegenteil, den Merkel-Erbe kann man ihm schon abnehmen. Ob die Kampagne gegen Rot-Rot-Grün da wirklich hilft, ist fraglich.
Der schwache Kandidat
Armin Laschets persönliche Umfragewerte sind schlecht. Im direkten Vergleich liegt er deutlich hinter Olaf Scholz (SPD). Viele wollen ihn einfach nicht als Kanzler. Dabei hat er sich keine großen Pannen, Patzer und Ausfälle geleistet wie seine Konkurrentin von den Grünen. Es ist mehr so ein kumulierter Gesamteindruck.
Die mediale Dauerbeobachtung bekomme Laschet einfach schlecht, glaubt Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. "Seine Art, Politik zu machen, passt einfach nicht ins digitale Zeitalter." Was im direkten, zwischenmenschlichen Kontakt sympathisch, jovial und nahbar wirke, wirke im Netz leicht peinlich.
Fakt ist: Laschet gibt oft unfreiwillig Futter für seine eigene Überzeichnung in den sozialen Medien. Laschet tropfnass im Flutgebiet. Laschet ohne Gummistiefel im Matsch. Laschet vor einem riesigen Schuttberg. Laschet lacht, während der Bundespräsident spricht. Laschet wird ausgelacht von Elon Musk. Der Kandidat produziert die Bilder, die, oft aus dem Zusammenhang gerissen, sein Looserimage festigen. Den "Vernetzten vielen", wie der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen das genannt hat, mache Laschet es zu einfach, findet Ursula Münch.
Olaf Scholz, der sein Mimenspiel auf ein Minimum reduziert hat, passiert das nicht. Die Kunst, Fehler zu vermeiden, beherrscht er ungleich besser. Und Markus Söder, der im Gegenteil jede Kamera sucht, hätte womöglich auch eine wuchtigere Außenwirkung.
Die Krisenkompetenz ist weg
Natürlich gibt es strukturelle Gründe für die Krise der Union, die tiefer reichen als die traurigen Twitter-Bilder, die Armin Laschet hervorbringt. Bis Anfang März lag die Union in Umfragen stabil über 30 Prozent. Zwischenzeitlich kratzte sie an der 40-Prozent-Marke. Das waren gedopte Werte, vielleicht hat man sich in der Union zu lange von ihnen täuschen lassen. Mit der Corona-Krise, dem Moment der maximalen Unsicherheit, flohen die Menschen ins Vertraute. Klopapier hamstern und Merkel wählen.
Spätestens seit der Euro-Krise und Angela Merkels Wahlversprechen, dass die Deutschen davon nichts mitbekommen würden, zehrt die Union vom Nimbus der Krisenkompetenz. Das wird nun zum Problem.
Inzwischen hat sich erstens das Verhältnis der Menschen zum Virus normalisiert. Und zweitens hat das Virus Politik und Verwaltung an die Grenzen der Überforderung gebracht – und wohl manchmal darüber hinaus. Übernächtigte Ministerpräsidenten, die über die Osterruhe, Beherbergungsverbote und Ausgangssperren streiten. Dazu Gesundheitsämter, die per Fax laufen. Schulen im Offline-Zeitalter.
Drittens war dieser Nimbus immer stark verbunden mit der Person Merkel. Die ist bald weg, und mit ihr die (zugeschriebene) Kompetenz. "Wenn man dann trotzdem auf diese Karte alleine setzt, ohne Inhalte, wird es riskant", sagt der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher. "Da ist ein Vakuum entstanden, in dem die Strategiefähigkeit der Partei gelitten hat." Er hat schon 2018 eine Art Standardwerk zur Krise der C-Parteien geschrieben: Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus.
Inhaltlich leer, methodisch am Ende
Inhaltlich sei die Union inzwischen "sehr leer", sagt Biebricher. Spätestens seit die Schwarze Null gefallen ist. Die war bis zuletzt ein identitätsstiftender Markenkern. Inhaltlich war die Entscheidung, die Corona-Krise mit vielen Schuldenmilliarden zu bekämpfen, sicher richtig. Auch auf methodischer Ebene gibt es bei dem Beispiel nichts zu beanstanden. Der Konservative kennt schließlich keine ewigen Wahrheiten. Er verlangsamt den Wandel, statt ihn zu blockieren, findet heute gut, was er gestern bekämpfte. Biebricher nennt das "erfahrungsbasierten Inkrementalismus".
Zum Problem für die Union wird dieses Sichlösen von alten Gewissheiten aber dann, wenn keine neuen nachwachsen. "Der veränderte Status quo bietet immer wieder neue Möglichkeiten, sich konservativ zu positionieren", sagt Biebricher. Nur kommt da zu wenig für die Union, um sich selbst zu stabilisieren. Aus Sicht der Union, so Biebricher, wäre es etwa eine gute Möglichkeit gewesen, das bewährte konservative Narrativ "Wir müssen den Gürtel enger schnallen" auf die Klimapolitik übertragen. Zu zeigen, dass es ohne Entbehrungen und Disziplin nicht geht – immerhin Tugenden, die Konservative für sich reklamieren.
Verändern und bewahren, in dieser Dichotomie hat die Union gut gelebt, das war ihre Grundcodierung. Inzwischen weiß sie nicht mehr, was sie noch bewahren wollen soll. Und auch der Veränderungspragmatismus stößt an Grenzen. "Viele fanden das zwar vielleicht nicht richtig, sind aber der Person Merkel und schließlich dem Erfolg gefolgt", sagt Ursula Münch. "Aber diese Traditionslinie ist mit der Person unterbrochen."
Ausblick: Das Schreckensszenario Opposition
Sollte die Union die Regierungsführung verlieren, stünde sie vor extrem harten Jahren. Regierungsämter binden die Parteiströmungen zusammen. Regierungshandeln diszipliniert. Ein Blick in die Länder zeigt: Selbst dort, wo die CDU mal stark war, wird sie ohne die Staatskanzlei nach unten durchgereicht. In Thüringen etwa, Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg. In Mecklenburg-Vorpommern, wo ebenfalls im September gewählt wird, fällt sie derzeit deutlich unter 20 Prozent. Auf dem Niveau verharrt sie in Brandenburg schon länger. Ohne Merkel droht die Union nur noch eine Partei von vielen zu werden.