Monday, February 10, 2025

Was hinter Plagiats-Vorwurf gegen Habeck steckt und warum er noch länger dauert

FOCUS online Was hinter Plagiats-Vorwurf gegen Habeck steckt und warum er noch länger dauert Sebastian Scheffel • 9 Std. • 5 Minuten Lesezeit Der Plagiatsjäger Stefan Weber hat Vorwürfe gegen den Grünen-Kanzlerkandidaten Robert Habeck öffentlich gemacht. Die Grünen dürften ohnehin wachsam gewesen sein. Im Wahlkampf 2021 hatten Plagiatsvorwürfe gegen die damalige Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock die Kampagne mächtig durcheinandergebracht. Nun stehen erneut Plagiatsvorwürfe gegen einen Kanzlerkandidaten der Grünen im Raum – diesmal aber von Robert Habeck selbst öffentlich gemacht und von der Partei sorgfältig mit einer Kommunikationsstrategie begleitet. Am Montag um 11.32 Uhr veröffentlichte der Kanzlerkandidat bei X einen langen Post mitsamt Video, in dem er erklärt, mit öffentlichen Vorwürfen gegen seine Doktorarbeit zu rechnen. Er habe diese jedoch bereits prüfen lassen. Dabei seien „keine Zweifel an der Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Arbeit“ aufgetreten. Was steckt hinter den Vorwürfen? Genau lässt sich das zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Es gibt jedoch einige Hinweise, anhand denen sich der Fall rekonstruieren lässt – die aber auch Fragen offenlassen. Schon im August 2024 gab es einen Hinweis Einen ersten öffentlichen Hinweis, dass Habecks Dissertation in den Wahlkampf gezogen werden könnte, gab es bereits im August des vergangenen Jahres. Der Grünen-Politiker war zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell zum Spitzenkandidaten seiner Partei ernannt worden. Der umstrittene österreichische Plagiatsjäger Stefan Weber – der schon die Affäre um Baerbock ins Rollen brachte – veröffentlichte damals einen Blogpost auf seiner Webseite. Der Titel: „Ist die Dissertation des bundesdeutschen Grünen-Vizekanzlers und Schriftstellers Robert Habeck eine Wissenschaftssimulation?“ Weber arbeitet sich dann vor allem am Klappentext des Buches ab. Die Vorwürfe sind eher knapp gehalten. Aufhorchen lässt aber der letzte Satz des Blogbeitrags: „Zum Innenleben der Dissertation wird es in den nächsten Monaten Unangenehmes zu berichten geben.“ Im Januar bekam Habeck einen Hinweis Den Grünen dürfte das früher oder später aufgefallen sein. Habeck sagt in seinem Video, er wisse sogar schon „seit Jahren“ davon, dass Weber sich mit seiner Doktorarbeit beschäftigt. Es ist nicht unüblich, dass Parteien ihr Spitzenpersonal und vor allem ihre Kanzlerkandidaten penibel auf mögliches Skandal-Potenzial hin prüfen. Die Dissertation dürfte dabei sicher eine Rolle gespielt haben. Denn mittlerweile sind schon viele Politiker über Plagiatsvorwürfe gestolpert. Ob die Grünen schon im vergangenen Jahr mögliche Strategien zum Umgang mit potenziellen Vorwürfen entwickelt haben, ist offen. Im Januar spitzte sich die Lage dann zu: „Nun wurden mir im Januar eine Reihe sehr spezifischer Vorwürfe zugetragen“, erklärt Habeck in seinem Video. Auf nicht näher genanntem Weg muss der Kanzlerkandidat also mitbekommen haben, worum es Weber genau geht. „Habeck hat eine Belesenheit vorgetäuscht, die er nicht hat“ Habeck sagt dazu, es gehe „nicht, wie sonst, um Textplagiate, sondern um Ungenauigkeiten in den Fußnoten“. Soll heißen: Schon die Vorwürfe wiegen weniger schwer als zum Beispiel bei der Doktorarbeit der ehemaligen SPD-Ministerin Franziska Giffey. Weber hingegen vermittelt ein anderes Bild. Er schreibt in seinem am Montag veröffentlichten Blogeintrag, es gebe 128 Plagiate beziehungsweise 269 Zitierfehler – das sei durchschnittlich mehr als ein Fehler pro Seite der Dissertation. Weber erklärt: „Habeck hat auf geradezu unglaubliche Weise eine Belesenheit vorgetäuscht, die er nicht hat. Er hat dutzende Werke, die er zitiert hat, aus anderen, an Ort und Stelle ungenannten Quellen abgeschrieben und damit gegen eine wichtige Grundregel der Buchwissenschaften verstoßen.“ Das heißt: Habeck soll die genannten Originalquellen nie selbst gelesen haben, ohne das kenntlich zu machen. Zwei Stellen entlasten Habeck Der Vizekanzler wollte auf solche Anschuldigungen vorbereitet sein und beauftragte im Januar die Ombudsstelle der Universität Hamburg mit der Prüfung seiner Dissertation. An der Uni der Hansestadt hatte Habeck im Jahr 2000 seine Arbeit abgeschlossen. Um noch eine weitere, möglichst unabhängige und honorige Einschätzung zu erhalten, wandte sich Habeck zudem an Gerald Haug, den Präsidenten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Beide Stellen, so schildert es Habeck, hätten ihn entlastet. Haug erklärt auf Nachfrage von FOCUS online, es habe sich auch durch die Vorwürfe nichts daran geändert, „dass es sich bei dieser Dissertation um eine eigenständige wissenschaftliche Arbeit handelt, die auf Basis eigener Forschung neue Erkenntnisse erzielt“. Der Leopoldina-Präsident hält Habeck außerdem zugute, dass er sich „sofort um maximale Transparenz bemüht“ habe. Die Uni Hamburg will das Gutachten der Ombudsstelle nicht veröffentlichen. Das sei bei solchen Angelegenheiten üblich, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Haug, der aber offenbar in Kenntnis der Prüfungsergebnisse ist, sieht darin keine entscheidenden Fehler aufgelistet. Er nennt allerdings durchaus „bibliografische Unsauberkeiten“ und „inkorrekte Literaturangaben“, die aufgefallen seien. Habecks Wahlkampfmanager spricht von „durchsichtigem Manöver“ Die Grünen wittern nun eine gezielte Kampagne gegen ihren Kanzlerkandidaten. Wahlkampfmanager Andreas Audretsch sagte in einem Statement, es gebe „Akteure und Gruppen, die versuchen, mit Desinformationskampagnen die Bundestagswahl zu beeinflussen“. Er bittet darum, mit „durchsichtigen Manövern“ verantwortlich umzugehen – „gerade wenn Auftraggeber unklar sind“. Audretsch spielt damit auf die Vorgehensweise des umstrittenen Plagiatsjägers Weber an. Er macht in der Regel nicht öffentlich, ob er aus eigenem Antrieb handelt oder mit einer Prüfung beauftragt wird und welche Geldflüsse es dabei gibt. Zumindest in einem Fall gibt es aber Klarheit. Reichelt-Portal „Nius“ steckt hinter der Prüfung In der Affäre um die stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, Alexandra Föderl-Schmid, hatte Weber sich nach eigener Aussage proaktiv an das rechtspopulistische Portal „Nius“ des ehemaligen „Bild“-Chefs Julian Reichelt gewendet. Das Medienunternehmen beauftragte ihn daraufhin mit einem Gutachten. Laut Weber floss „ein vierstelliger Betrag in der unteren Region“. Habeck erwähnt diesen Fall auch in seinem Video. Offenbar vermuteten die Grünen auch diesmal „Nius“ als möglichen Auftraggeber. Damit lagen sie wohl richtig: Bei „Nius“ heißt es am Montagnachmittag, dass ihnen die Untersuchung der Dissertation exklusiv vorliege. Plagiatsjäger Weber widerspricht Vorwürfen Auch Leopoldina-Präsident Haug geht davon aus, dass die Veröffentlichung der Vorwürfe kurz vor der Wahl kein Zufall sind, „sondern politisch motiviert“. Es wäre der eigentliche Skandal, dass eine wissenschaftsinterne Überprüfung einer Doktorarbeit instrumentalisiert werde. Weber widerspricht den Vorwürfen bezüglich des Zeitpunkts der Veröffentlichung. Er bekäme so „Aufmerksamkeit für das immer gleiche Problem bei Qualifikationsschriften“. Allerdings lässt sich aus heutigen und früheren Äußerungen Webers herauslesen, dass er offenbar kein großer Freund der Grünen ist und diese für notorische Lügner hält. Katz-und-Maus-Spiel zwischen Weber und Habeck Auffällig ist, dass Habeck und die Grünen offenbar sehr gut informiert waren über die Veröffentlichung möglicher Vorwürfe. Möglicherweise diente ihnen wieder ein Eintrag auf Webers Blog als Hinweis auf den Tag der Veröffentlichung. Am Sonntagnachmittag kommentierte Weber unter seinem Beitrag aus dem vergangenen August: „Die Zuversicht könnte ihm morgen vergehen…“ Gemeint war offensichtlich die bevorstehende Enthüllung der Vorwürfe. Auch bei X kündigte er am Sonntag eine Enthüllung an, jedoch ohne darauf einzugehen, wenn sie treffen würde. Es wirkt stellenweise wie ein Katz-und-Maus-Spiel, das sich Weber, Habecks Grüne und ein möglicher Auftraggeber über Wochen oder gar Monate geliefert haben. Mit seinem proaktiven Statement und einer vorbereiteten Kommunikationsstrategie hat Habeck diejenigen überrascht, die eigentlich ihn mit den Vorwürfen überraschen wollten. Weber wollte eigentlich zunächst am Vormittag seine Vorwürfe veröffentlichen, dann am Mittag. Schließlich verschob er die Veröffentlichung auf den Nachmittag – möglicherweise, um noch auf Habecks Statement reagieren zu können. Fall ist für Habeck noch nicht abgeschlossen Beendet ist der Fall aber noch nicht: Denn Habeck hat nach eigener Aussage nach Abschluss der Prüfung durch die Uni Hamburg erfahren, dass Weber noch weitere Stellen bemängeln will. Dabei handelt es sich um „ein paar weitere mögliche Ungenauigkeiten bei den Fußnoten“ sowie Tippfehler, die Weber penibel aufliste. Wieder soll die Ombudsstelle der Universität sich dem annehmen. Stimmt es, dass es sich nur um Fußnoten und Tippfehler handelt, dürfte das zweierlei bedeuten: Die weiteren Vorwürfe dürften Habeck wieder nicht gefährlich werden. Und die Prüfung der weiteren Vorwürfe könnte womöglich schon vor der Bundestagswahl abgeschlossen werden. Für Habeck wäre das wichtig, um das fortan schwelende Thema vollständig abzuräumen. Ergäbe die zweite Prüfung hingegen ein bedeutsames Fehlverhalten, würde das die Grünen im Wahlkampf-Endspurt empfindlich treffen.