Thursday, September 29, 2022

EU-Beitritts-Kandidat Ukraine: Bereits klagen europäische Bauern über die Konkurrenz aus dem Osten

Neue Zürcher Zeitung Deutschland EU-Beitritts-Kandidat Ukraine: Bereits klagen europäische Bauern über die Konkurrenz aus dem Osten Daniel Imwinkelried, Wien - Vor 16 Std. | Seit dem 1. August führt die Ukraine wieder Agrarprodukte und andere Güter über Häfen am Schwarzen Meer aus – Uno-Generalsekretär António Guterres feierte das als grossen diplomatischen Erfolg. Das Exportgeschäft bringt dem kriegsversehrten Land dringend benötigte Devisen. Die Ausfuhr von Agrargütern über das Schwarze Meer funktioniert wieder einigermassen, in der Ukraine kämpfen die Bauern aber mit vielen Problemen. Chris Mcgrath / Getty ; Eher gemischt sind dagegen die Gefühle der ukrainischen Agrarunternehmen und Bauern. «Wir sind glücklich, dass es die Korridore gibt», sagt zwar Alex Lissitsa, der Chef der kotierten Agrarfirma IMC. «Im Land selber ist die Logistik allerdings chaotisch.» Ukrainische Agrarbetriebe leiden unter hohen Logistikkosten In den ersten zwei Monaten sind laut seinen Aussagen in erster Linie Agrargüter ausgeführt worden, die sich bereits seit dem Spätwinter und dem Frühjahr in Abnahmestationen befanden. Diese Ware ist nun ausser Landes, und die Agrarunternehmen stehen jetzt vor einer neuen grossen Herausforderung: Sie müssen ihre Produkte nun unter kriegswirtschaftlichen Bedingungen in die Abnahmestationen befördern, etwa im Hafen von Odessa. Die Organisation dieser Logistik sei schwierig und der Transport kostspielig, sagt Lissitsa. Ein Grund dafür ist die Preiserhöhung der ukrainischen Eisenbahngesellschaft für Gütertransporte. Die russische Armee bombardiert Gleisanlagen, die dann für viel Geld repariert werden müssen. Im Passagierverkehr will die Bahngesellschaft die Preise verständlicherweise nicht anheben, so dass die Anpassungen im Logistikbereich erfolgen. Auch wegen der hohen Logistikkosten sei es aber, so sagt Lissitsa, derzeit sehr schwierig, mit dem Getreideexport Geld zu verdienen. «Wir verkaufen derzeit unter den Kosten.» Gleichzeitig seien viele Landwirte dringend darauf angewiesen, möglichst rasch grosse Mengen abzustossen. «Nur so gelangen sie an Liquidität, die für sie die grösste Herausforderung ist», so der Agrarmanager. Pathetische Politiker Gleichzeitig führen die ukrainischen Getreideausfuhren in den Nachbarländern zu Verwerfungen. Um die auch wirtschaftlich taumelnde Ukraine zu stützen, sind seit dem 4. Juni alle Einfuhrzölle auf ukrainische Importe in die EU für ein Jahr ausgesetzt. In Brüssel haben die Politiker die Übereinkunft mit pathetischen Worten gefeiert. Die Massnahmen zur Liberalisierung des Handels seien beispiellos, sagte etwa Sandra Kalniete, eine lettische EU-Parlamentarierin und die ständige Berichterstatterin für die Ukraine. Man müsse zeigen, dass die Unterstützung für die Ukraine uneingeschränkt, unerschütterlich und unumkehrbar sei. Gar nicht euphorisch gestimmt sind dagegen osteuropäische Bauern, denen mit den ukrainischen Agrarunternehmen ein Konkurrent erwachsen ist. Bulgarische Landwirte beklagten sich etwa, die Einfuhren aus der Ukraine hätten den heimischen Markt für Getreide und Sonnenblumenöl durcheinandergebracht. Zu Protesten kam es auch in Polen, wobei sich die Bauern dort nicht nur vor der ukrainischen Konkurrenz, sondern auch vor den stark gestiegenen Zinsen fürchten. Anders sieht die Lage in Ungarn aus: Das Land ist auf Getreideimporte angewiesen. Die Fleischproduktion hat ein grosses Gewicht, den Bauern fehlen nach einem heissen und trockenen Sommer aber Mais und Futterweizen. Getreide aus der Ukraine, wo der Sommer eher regnerisch war, ist hochwillkommen. Unterschiedliche Geschäftsphilosophien prallen aufeinander Lissitsa von IMC sagt, die beiden Seiten, die Ukraine und die EU, verstünden sich bei Agrarthemen noch nicht. «In der Ukraine ist die Landwirtschaft ‹Business›, in der EU auch Lifestyle und hoch subventioniert», sagt der Agrarökonom. In Europa herrsche das Urteil vor, dass die Ukraine Billigware ausführe, dabei produziere das Land auch hochwertige Güter. Anfang November wollen ukrainische Vertreter deshalb mit der EU-Kommission Landwirtschaftsthemen besprechen. Im Juni hat die Ukraine den Status des EU-Beitritts-Kandidaten erhalten. Es handelte sich dabei zwar um eine eher symbolische Geste; allen Parteien war klar, dass die Aufnahme eines derart riesigen Landes ein komplexes Verfahren ist und auf vielfältigen Widerstand stossen wird. Rascher als erwartet hat sich nun aber eine Berufsgruppe zu Wort gemeldet, die in der Ukraine eine wirtschaftliche Bedrohung sieht – allen pathetischen Wortmeldungen in Brüssel zum Trotz.