Tuesday, March 15, 2022

Technologie: Platzt die Fintech-Blase? Ukrainekrieg und wackelige Börsen setzen den Bewertungen der Finanz-Start-ups zu

Handelsblatt Technologie: Platzt die Fintech-Blase? Ukrainekrieg und wackelige Börsen setzen den Bewertungen der Finanz-Start-ups zu Schwarz, Dennis Holzki, Larissa Schütze, Arno - Gestern um 17:00 Zahlungsdienstleister, Neobroker und Neobanken haben zuletzt alle Bewertungsmaßstäbe gesprengt. Vielen Profiteuren des Booms stehen nun aber schwierige Monate bevor. Der Online-Broker will perspektivisch an die Börse. Die Neobank Penta braucht wieder Geld. 40 Millionen Euro will die Berliner Firma einsammeln. Doch sie könnte als eines der ersten Finanztechnologie-Start-ups zu spüren bekommen, dass das Geld bei Investoren nicht mehr so lockersitzt. Aus dem Umfeld möglicher Interessenten ist zu hören, die Preisvorstellungen seien sehr ambitioniert. Wie viele andere Start-ups auch will Penta Firmenanteile an Wagniskapitalgeber verkaufen. Dabei hoffen die Beteiligten nach Handelsblatt-Informationen auf eine Bewertung von 350 bis 500 Millionen Euro. Für die junge Geschäftskunden-Bank wäre das im besten Fall eine Verfünffachung der jüngsten Bewertung aus dem August. Doch die Zeit für solche Sprünge scheint für viele Firmen vorbei. Die Investoren sind vorsichtiger geworden, was maßgeblich am Ukraine-Krieg und an den unsicheren Konjunkturaussichten liegt. Aber nicht nur. Im vergangenen Jahr war die Welt noch in Ordnung. Es gab keinen Krieg in Europa, die Aktienmärkte kletterten von Rekord zu Rekord, es war sehr viel Liquidität im Umlauf, das Geld wollte angelegt werden. Da konnte sich auch die Fintech-Branche an sich selbst berauschen: Laut der Unternehmensberatung EY hat sich die Anzahl der Finanzierungsrunden 2021 im Vorjahresvergleich mehr als verdoppelt. Insgesamt haben Investoren 4,6 Milliarden Euro in Fintechs in Deutschland gesteckt. Das ist fast 2,6-mal so viel wie im bisherigen Rekordjahr 2019, wie Comdirect und Barkow Consulting ermittelt haben. Auch die Bewertungen sind immer weiter gestiegen. Doch seit Jahresbeginn ist der KBW Nasdaq Fintech Index um 17 Prozent gefallen. Aushängeschilder wie das US-Trading-Unternehmen Robinhood haben 41 Prozent an Wert verloren. Das sind Kennzahlen, an denen sich Wagniskapitalgeber bei Start-up-Bewertungen orientieren müssen. Und es könnte noch weiter abwärtsgehen. Kommen die angekündigten Zinserhöhungen durch die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank, werden manche Investoren ihr Geld wieder in solche Unternehmen stecken, die schon heute ein verlässliches Geschäftsmodell haben - und weniger von der Hoffnung auf morgen leben. Eine neue Realität hat begonnen Fusionen, Börsengänge, Finanzierungsrunden: Bewertungen müssen auf den Prüfstand. „Es gibt nicht mehr automatisch einen Aufschlag auf die vorherige Runde“, sagt Mark Miller, Managing Partner der Tech-Investmentbank Carlsquare. „Auch viele Fintechs wurden zuletzt sehr optimistisch bewertet, da stellt sich jetzt eine neue Realität ein, die auch die Entwicklung an den Börsen widerspiegelt.“ Dabei hat sich an den grundlegenden Hypothesen der Investoren nicht viel geändert. Ob Bezahldienstleister, Neobanken, Versicherungen oder Trading-Plattformen: Sie greifen Segmente an, die als analog und ineffizient gelten. Deshalb besteht die Chance, Finanzdienstleistungen durch Digitalisierung deutlich günstiger anzubieten. Zwar ist die hochkomplexe Regulierung eine Hürde für junge Unternehmen. Aber sie macht das Geschäft für Investoren noch attraktiver: Hat sich eine Firma einmal durchgesetzt, ist die Marktmacht relativ sicher. Börsengänge: Vorzeichen sind schlecht Doch an den Börsen präferieren Anleger jetzt Sicherheit vor Wachstum. Der Markt ist volatil. Für Start-ups und ihre Investoren heißt das: Börsengänge und schnelle Gewinne sind vorerst so gut wie ausgeschlossen. Das könnte einige der wertvollsten Start-ups Deutschlands treffen. So hatte die mit 1,4 Milliarden Euro bewertete Solarisbank ursprünglich angekündigt, ab dem dritten Quartal 2022 bereit für den Börsengang zu sein. Die Neobank N26, die mit 7,8 Milliarden Euro bewertet wird, hatte die erstmalige Ausgabe von Aktien bis zum Jahresende anvisiert. Perspektivisch streben auch Digital-Versicherer WeFox und Online-Broker Trade Republic an die Börse. Doch wer Geld braucht, wird jetzt zunächst Alternativen prüfen: Wagniskapitalrunden, Fremdkapital oder Wandeldarlehen. Im derzeitigen Kapitalmarktumfeld sind Börsengänge nach Einschätzung von Investmentbankern nicht möglich, die Volatilität ist viel zu hoch. Unternehmerin Miriam Wohlfarth erlebt Aufschwung und Atempause der Fintechs unmittelbar mit. Seit über 20 Jahren ist sie Teil der Branche, hat den Zahlungsdienstleister Ratepay und das Kredit-Start-up Banxware gegründet. Noch vor zwei Jahren hätten Gründer um Investoren buhlen müssen. Dann habe sich die Marktmacht „komplett gedreht“ und Investoren hätten „um Fintechs werben“ müssen. Und nun? Übernahmen: Die Preise sinken Während sich Wohlfarth jetzt auf Banxware fokussiert, steht ihre erste Fintech-Gründung zum Verkauf. Ratepay gehört inzwischen zur italienischen Bank Nexi. Die sucht mithilfe der Investmentbank Goldman Sachs einen Käufer: Zuerst wollte sie 1,4 Milliarden Euro für Ratepay haben. Dann hätte man die Erwartungen auf eine Milliarde Euro gesenkt, sagten mit der Angelegenheit vertraute Personen. Doch derzeit sei unklar, ob Interessenten wesentlich mehr als 500 Millionen Euro zahlen wollen. Auf dem Markt ist auch Coeo Inkasso, Ende Februar wurde ein Informationspaket verschickt. Die Firma hilft mit Künstlicher Intelligenz beim Eintreiben von Zahlungen. Finanzinvestor Waterland soll sich eine Bewertung von rund 800 Millionen erhoffen, sagen informierte Personen. Das entspräche in etwa dem Sieben- bis Achtfachen des für 2022 anvisierten speziellen Betriebsergebnisses „cash Ebitda“ von 110 Millionen. Im vergangenen Jahr hätten potenzielle Käufer wohl problemlos diesen Preis geschluckt, sagt ein M&A-Berater. Jetzt hält er die Vorstellung für ambitioniert. Schon in den vergangenen Monaten hatte der Boom bei manchen Firmen zu überzogenen Erwartungen geführt. Wikifolio wurde Finanzkreisen zufolge 2021 für 120 Millionen Euro zum Verkauf angeboten. Die Handelsplattform für Privatanleger fand aber auch zu 80 Millionen Euro keinen Käufer. (Transparenzhinweis der Redaktion: An Wikifolio ist auch DvH Ventures beteiligt, eine Schwestergesellschaft der DvH Medien, zu der die Handelsblatt Media Group gehört.) Das ähnlich große Fintech Pair Finance, zu dessen Geldgebern Zalando gehört, fand vor Kurzem trotz intensiver Suche ebenfalls keinen Käufer. Der Finanzinvestor Marlin Equity konnte den Forderungsmanager Collenda Anfang des Jahres nach anderthalbjährigen Gesprächen zwar doch noch verkaufen. Beim Preis, der Kreisen zufolge oberhalb von 200 Millionen Euro lag, musste er aber wohl einen deutlichen Abschlag hinnehmen. Das Feld lichtet sich Das heißt nicht, dass nichts mehr geht: Start-ups im Finanz- und Versicherungsbereich im deutschsprachigen Raum planten auch für das laufende Jahr „großvolumige Finanzierungsrunden“, sagt Sebastian Pitz, Partner der Wirtschaftskanzlei White & Case. „Allerdings sind Investoren selektiver und warten im derzeitigen Umfeld lieber etwas ab.“ Investor Christian Nagel von Earlybird beobachtet, dass die Börsenkorrektur bei reiferen Start-ups aller Segmente schon durchgeschlagen ist. „Firmen ab der Series C müssen sich benchmarken lassen mit den börsennotierten Unternehmen“, sagt er. Gemeint ist die dritte große Finanzierungsrunde. Je größer der Optimismus bei früheren Bewertungen war, desto härter wird es jetzt. Im vergangenen Jahr hätten sich die Bewertungen immer mehr von fundamentalen Kriterien entfernt, sagt Heiko Schwender von Commerz Ventures, der Wagniskapital-Tochter der Commerzbank. Unternehmensbewertungen seien branchenweit also deutlich schneller gestiegen als die Umsätze. Ähnlich beschreibt es Ella Rabener von BCG Digital Ventures: „Es steckt viel Wohlwollen in den hohen Bewertungen, in der Hoffnung auf künftige Erträge“. Es gibt aber auch Grund zur Zuversicht: Im Vergleich zu den Vorjahren hätten viele der Fintechs, die hohe Finanzierungsrunden erhalten, deutlich mehr vorzuweisen, sagt Rabener. Ihre digitalen Geschäftsmodelle hätten ihnen den Markteintritt in teils Dutzende von Ländern ermöglicht. So ergibt sich ein differenziertes Bild. Gute, wachstumsstarke Unternehmen bekommen weiterhin problemlos Geld und hohe Bewertungen. Vor allem bei profitablen Firmen sind die Experten optimistisch. Diese Schwelle haben viele allerdings noch nicht erreicht oder noch gar nicht anvisiert. N26 etwa gab Anfang Februar bekannt, 2020 einen Verlust von knapp 151 Millionen Euro eingefahren zu haben. Zahlen für 2021 sind noch nicht bekannt. Firmen aus der zweiten Reihe tun sich ohnehin schwerer und müssen ihre Pläne besser erklären. Gründerin Wohlfarth erwartet deshalb eine Konsolidierungswelle: „Einige werden es schaffen, andere werden sich hingegen als Luftnummer herausstellen.“