Thursday, March 17, 2022
„Egal was, Hauptsache, es geschieht etwas“
WELT
„Egal was, Hauptsache, es geschieht etwas“
Olaf Preuß - Gestern um 17:30
Die Hamburger Sparkasse (Haspa) ist die größte Sparkasse in Deutschland und das in der Hansestadt führende Finanzinstitut. Vor dem Hintergrund der Pandemie erweist sich das 1827 gegründete Geldhaus mit seinen derzeit rund 4500 Mitarbeitern als robust: Das Jahresergebnis stieg 2021 auf 20 Millionen Euro, im Jahr zuvor waren es neun Millionen Euro. Die Kreditvergabe der Haspa erreichte im zurückliegenden Jahr den neuen Rekordwert von 8,7 Milliarden Euro, das gesamte Kreditvolumen stieg damit auf 37,2 Milliarden Euro.
Auch andere wichtige Kennziffern stiegen an, etwa die Finanzierung von Start-up-Unternehmen. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine bringt nun allerdings ganz neue Herausforderungen für Deutschland und Europa – auch für das Finanzsystem. Haspa-Vorstandssprecher Harald Vogelsang (63) sagte WELT, wie sein Unternehmen damit umgeht und was Anleger gegen die zunehmende Geldentwertung tun können.
WELT: Herr Vogelsang, durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wird die ohnehin schon hohe Inflation weiter angeheizt. Wie gefährlich ist das für unser Finanzsystem?
Harald Vogelsang: Das hängt sehr davon ab, wie klug die Notenbanken in den westlichen Ländern und insbesondere die Europäische Zentralbank (EZB) damit umgehen. Ich bin zuversichtlich: Denn durch die wirtschaftliche Bewältigung der Finanzmarktkrise und im bisherigen Verlauf der Pandemie haben die Notenbanken enorm viel Erfahrung gewonnen, was sie bei solchen Großereignissen tun müssen und wie sie das Finanzsystem schützen können.
WELT: Welche Auswirkungen haben der Krieg und die Wirtschaftssanktionen für die Haspa ganz direkt?
Vogelsang: Die Sanktionen gegen Russland bedeuten Einbußen, auch für unsere Kunden. Die Finanzinstitute werden obendrein sehr genau darauf achten müssen, nicht gegen Sanktionsvorschriften bei der Finanzierung von Geschäften mit Russland zu verstoßen. Es ist ja nicht der gesamte Zahlungsverkehr mit Russland sanktioniert, vieles aber doch. Bei der Haspa haben wir insgesamt ein verschwindend geringes Russlandgeschäft. Aber auch wir müssen die Sanktionsvorschriften genau beachten und jeden einzelnen relevanten Zahlungseingang sorgfältig prüfen.
WELT: Hamburgs Wirtschaft ist international weit verflochten. Wie robust ist der Standort Hamburg vor dem Hintergrund von Pandemie und Krieg?
Vogelsang: Die Resilienz der Hamburger Wirtschaft ist erstaunlich und erfreulich hoch. Dazu haben natürlich auch die Corona-Hilfen des Staates beigetragen. Wenn die öffentliche Hand den besonders betroffenen Unternehmen auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges hilft, dann wird die Hamburger Wirtschaft auch mit dieser zusätzlichen Krise einigermaßen zurechtkommen. In Hamburg hilft uns auch die breite Streuung der Branchen und der ausgeprägte Mittelstand. Russland ist der elftgrößte Handelspartner der Hamburger Wirtschaft, die Ukraine steht auf Rang 57. Die Risiken sind überschaubar.
WELT: Muss die EZB angesichts der jetzt noch stärker steigenden Inflation nicht bald die Zinsen erhöhen?
Vogelsang: Vor dem Hintergrund des Krieges wird das sicher noch viel schwieriger, als es zuvor schon war. Wir wünschen uns alle, dass die Geldentwertung für die Bevölkerung nicht noch weiter voranschreitet. Derzeit haben wir etwa fünf Prozent Inflation. Ich vermute, bis zum Jahresende wird sie sich auf viereinhalb bis sechs Prozent einpendeln. Auf Dauer ist das viel zu hoch. Aber die EZB fürchtet mindestens so stark die Stagflation, also die wirtschaftliche Stagnation bei zugleich weiter steigenden Preisen. Dieses Szenario wäre noch viel schlimmer als die hohe Inflation. Deshalb muss die EZB sehr behutsam vorgehen. Wir erwarten, dass die Zinsen wegen des Ukraine-Krieges langsamer ansteigen werden, vermutlich erst im kommenden Jahr.
WELT: Was kann der Privatanleger der hohen Inflation entgegensetzen?
Vogelsang: Das Rezept ist nicht neu – man sollte in ausreichendem Maße Aktien besitzen, denn sie haben gewissermaßen einen eingebauten Inflationsschutz, weil die Unternehmen danach streben, höhere Preise für ihre Waren und Dienstleistungen durchzusetzen. Immer mehr Anleger tun das auch bereits. So stieg die Zahl unserer Aktiensparpläne 2021 für unsere Kunden gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent. Man sollte am besten monatlich und über einen längeren Zeitraum in den Aktienmarkt investieren. So können auch größere Kursschwankungen ausgeglichen werden. Dafür bieten sich Indizes an, Käufe von Einzeltiteln würde ich vermeiden.
WELT: Welchen Stellenwert hat Gold?
Vogelsang: Es hat nach wie vor einen hohen Stellenwert, besonders auch in Krisenzeiten wie diesen. Das sehen wir ganz aktuell. Vor einigen Tagen hatten wir einen Run auf unseren Goldhandel und mussten ihn kurzzeitig aussetzen. Wir können aber alle Nachfragen bedienen, wenn auch mal mit einer kurzen Wartezeit. Die Haspa ist ja unter anderem auch der größte Goldhändler in Hamburg.
WELT: Wie kann der Staat bei den hohen Energiepreisen sinnvoll eingreifen?
Vogelsang: Angesichts der drastischen Steigerungen bei den Energiepreisen: Egal was, Hauptsache, es geschieht etwas. Die Politik wird entscheiden, wie sie das dann in ihre Handlungslogik einpasst, das liegt nicht in der Hand der Wirtschaft. Es sollte vor allem schnell wirken und einfach sein. Mir scheint das Rabattsystem für das Tanken etwas komplizierter zu sein, als bestimmte Steuern etwa auf Energie zu senken.
WELT: Die Haspa hat 2021 so viel Kredite wie nie vergeben. Steigen damit in dieser wirtschaftlich allgemein unsicheren Lage Ihre Risiken nicht deutlich an?
Vogelsang: Wir haben rund 700 Millionen Euro an Corona-Hilfen der öffentlichen Hand durchgeleitet, allerdings betreffen diese Mittel nicht unsere Bilanz. An Krediten haben wir im vergangenen Jahr insgesamt ein Volumen von 8,7 Milliarden Euro vergeben, das ist der höchste Wert in unserer Geschichte und rund eine Milliarde Euro mehr als 2020. Dieses starke Kreditwachstum wird vor allem durch die ungebrochene Nachfrage nach Baufinanzierungen getrieben. Sehr viele Hamburgerinnen und Hamburger wünschen sich nach wie vor eine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus. Und es gibt eine weiterhin hohe Nachfrage gewerblicher Investoren nach Finanzierungen, die Wohngeschosse sanieren oder Immobilien neu bauen.
WELT: Über eine mögliche Immobilienblase in der Metropolregion Hamburg wird angesichts der immer weiter steigenden Preise seit Jahren spekuliert. Ist das für die Haspa kein reales Risiko?
Vogelsang: Natürlich steigt das Risiko einer Blasenbildung mit immer höheren Preisen am Immobilienmarkt an. Aber wir gehen nicht von einem Zusammenbruch des Immobilienmarktes aus. Abgesehen von einigen Einzellagen, die sehr sportliche Preise aufweisen, sehen wir über ganz Hamburg hinweg keinen übermäßigen Preisanstieg am Immobilienmarkt. Es gibt nach wie vor ja sehr innenstadtnahe Stadtteile in Hamburg, in denen man den Quadratmeter Wohnungsfläche für 4000 Euro kaufen kann, zum Beispiel Hamm oder Horn. Auch in Rönneburg südlich der Elbe gibt es moderate Immobilienpreise. Natürlich ist ein Teil von Eimsbüttel überverkauft, und an der Alster zahlt man Liebhaberpreise. Aber das sind keine generellen Blaseneffekte. Deshalb glauben wir, dass sich das in einem vertretbaren Rahmen bewegt, verglichen etwa mit den Preisentwicklungen in München oder in Berlin. Aber es wäre auch gesund, wenn die Immobilienpreise einmal stagnieren oder etwas zurückgehen.
WELT: Hinzu kommen aktuell auch am Immobilienmarkt die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine.
Vogelsang: Der Krieg in der Ukraine ist die Katastrophe schlechthin. Sowohl geopolitisch als auch humanitär. Wir sind alle gefordert, wo wir nur mithelfen können, den Geflüchteten erst einmal ein sicheres Dach über dem Kopf zu bieten. Vorübergehend wird dies den Druck auf Wohnraum in Hamburg natürlich noch erhöhen.
„Wir sind dem Gedanken des nachhaltigen Investments zutiefst verbunden“
WELT: Wie sieht das Umfeld Ihres Wettbewerbs im Finanzgeschäft in Hamburg derzeit aus? Gewinnen oder verlieren Sie Marktanteile?
Vogelsang: Wir sehen unsere Rolle in Hamburg sehr positiv, weil wir die digitale Bank mit den besten Filialen sein und das Beste aus beiden Welten kombinieren wollen. Und das funktioniert. Hinzu kommt: Die Haspa ist in ihrem innersten Kern seit ihrer Gründung 1827 per se nachhaltig, weil sie als freie Sparkasse und sich selbst gehörende Einheit alles, was sie erwirtschaftet, nach Steuern ins eigene Kapital gibt und in der Region wieder investiert. Das bedeutet auch, dass wir dem Gedanken des nachhaltigen Investments im Sinne des Klimaschutzes zutiefst verbunden sind. Wir finanzieren zum Beispiel erheblich ein weniger klimabelastendes Bauen in der Stadt. Die Hälfte der Anlagen legen unsere Kunden bereits in nachhaltigen Fonds an. Und auch wir selbst wollen bis 2025 im Geschäftsbetrieb klimaneutral arbeiten. Deshalb fühlen wir uns als logischer Begleiter für alle Hamburger in dieser Transformation.
WELT: Wie entwickelt sich das Filialnetz der Haspa?
Vogelsang: Wir haben derzeit 108 Filialen. Zwei werden in den kommenden Tagen geschlossen, zwei weitere voraussichtlich bis zum Jahresende. Unserem Ziel von 100 Filialen bis zum Jahr 2024 kommen wir damit schon sehr nah. 90 Filialen haben wir bereits hin zu Nachbarschaftsfilialen in den jeweiligen Stadtteilen modernisiert. Unser Nachbarschaftskonzept, als Treffpunkt im Viertel die Menschen zu vernetzen, wird nach dem Ende der Pandemie voll zur Geltung kommen. Natürlich haben auch wir unser Filialnetz reduziert – zwischen 2008 und 2021 um etwa 40 Prozent. Die Commerzbank hat im selben Zeitraum hingegen mehr als 80 Prozent ihrer Filialen in Hamburg geschlossen, die Deutsche Bank 72 Prozent und die Volksbank 66 Prozent. Damit haben wir eine doppelt so große Präsenz wie die genannten Institute zusammen. Dabei ist jede unserer Filialen in den positiven Zahlen, im Durchschnitt betreut jede 15.000 Kunden, bei den Wettbewerbern ist es teils weniger als die Hälfte.
WELT: Erleben wir eigentlich gerade den schleichenden Abschied vom Bargeld?
Vogelsang: Durch Corona wurde dieser Trend deutlich beschleunigt. In Dänemark und Schweden kann man vielerorts schon gar nicht mehr mit Bargeld bezahlen. Das wird bei uns auch irgendwann kommen, nur später.
WELT: Werden Sie die Gebühren für die Kontoführung weiter erhöhen?
Vogelsang: Durch den hohen Wettbewerb am Finanzmarkt in Deutschland haben wir innerhalb der Europäischen Union die geringsten Gebühren für die Kontoführung. Mit dem – durch Fusionen von Geldinstituten – weiter abnehmenden Wettbewerbsdruck auch am deutschen Markt wird sich das Niveau bei den Gebühren für die Kontoführung auf das europäische Maß hin angleichen. Wir haben aktuell keine Pläne, Gebühren zu erhöhen. Ich kann Ihnen aber nicht versprechen, dass das angesichts der hohen Inflationsraten so bleiben kann. Irgendwann werden angesichts der steigenden Kosten auch wir unsere Preise weiter anheben müssen.
WELT: Wenn wir auf die Konkurrenz im Firmenkundengeschäft blicken – die Hamburg Commercial Bank, die aus der HSH Nordbank hervorgegangen ist, behauptet sich mittlerweile wohl recht gut am Markt. Spüren Sie das?
Vogelsang: Das kann ich nicht bestätigen. Wir sind in unterschiedlichen Marktsegmenten aktiv. Im Wettbewerb stehen wir in Hamburg vor allem mit der Deutschen Bank, der Commerzbank und den verschiedenen Landesbanken.
Der gebürtige Hamburger und promovierte Jurist Harald Vogelsang (63) arbeitet seit dem Jahr 1991 für die Hamburger Sparkasse. Seit 2007 ist er Vorstandssprecher der größten deutschen Sparkasse.