Saturday, August 31, 2024
Wiedersehen tut weh: Fritz Umgelters Dreiteiler „Der Winter, der ein Sommer war“
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Wiedersehen tut weh: Fritz Umgelters Dreiteiler „Der Winter, der ein Sommer war“
Artikel von Andreas Kilb • 15 Std. • 5 Minuten Lesezeit
Quadflieg. Strack. Frank. Solbach. Weiss. Baumann. Caninenberg. Uhlig. Frank. Heesters. Schöne. Fitzek. Braun. Dumont. Damals waren sie die Könige des Fernsehens (mit Solbach als Kronprinzen). Und das Fernsehen war die Königin der audiovisuellen Medien. Es gab drei Programme, kein Internet, keinen PC, kein Smartphone, und wenn das Erste vor Weihnachten oder zu Ostern einen Mehrteiler zur besten Sendezeit ausstrahlte, lag der Marktanteil bei fünfzig, sechzig Prozent. Und der König der Mehrteiler hieß Fritz Umgelter.
Umgelter hatte als Schauspieler und Theaterregisseur angefangen, 1953 ging er zum Hessischen Rundfunk, und eine Zeit lang drehte er auch Kinofilme („Wenn die Conny mit dem Peter“). Aber sein Durchbruch war der Fernseh-Sechsteiler „So weit die Füße tragen“, die Geschichte eines deutschen Kriegsgefangenen, der sich quer durch Sibirien bis in den Iran durchschlägt. Der Straßenfeger des Jahres 1959, Einschaltquoten wie beim WM-Endspiel. Und Umgelters Schlüsselerlebnis.
Maßlose Unterhaltung, hätte Kafka gesagt
Es folgten „Am grünen Strand der Spree“, „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ und „Rebellion der Verlorenen“, Panoramen der deutschen Vorkriegs- und Nachkriegsseele, und die große, zu Unrecht vergessene Manès-Sperber-Verfilmung „Wie eine Träne im Ozean“. Dann kamen die Siebzigerjahre, und die Stimmung in den Sendern und bei den Zuschauern drehte sich. Neben dem Sozialkritischen wollte man Historisches sehen, Abenteuer in Uniform, Menuette und Pulverdampf. Sein Meisterstück in diesem Genre drehte Umgelter schon 1973: die „Merkwürdige Lebensgeschichte des Friedrich Freiherrn von der Trenck“ mit Matthias Habich als Trenck. Eine Liebesgeschichte im Siebenjährigen Krieg, Musketen und Perücken, Preußen gegen Österreicher, der Alte Fritz, seine Schwester und der junge Friedrich. Maßlose Unterhaltung, hätte Kafka gesagt.
Der Zwölfjährige aber las keine Abspänne, und so fiel ihm der Name Umgelter erst auf, als er ihn später immer wieder las, bei den „Unfreiwilligen Reisen des Moritz August Benjowski“ ebenso wie bei der Adaption von Christoph von Grimmelshausens „Simplizissimus“, wieder mit Habich in der Titelrolle. Hier achtzehntes, dort siebzehntes Jahrhundert, aber allemal Barock: Umgelters Berichtsgebiet. Zuletzt, als Schlussakkord, „Der Winter, der ein Sommer war“ nach dem Roman von Sandra Paretti: knapp sechs Stunden Fernsehen, ausgestrahlt in drei Teilen zu Weihnachten 1976.
Das Erste, was man sieht, ist ein Bühnenbild, bemalte Leinwand. Ein Orchester spielt, eine weiß geschminkte Sopranistin singt, und Günter Strack als Landgraf von Hessen-Kassel schimpft wie ein Rohrspatz. Die Sängerin ist zweite Liga, eine bessere aus Paris kann sich die gräfliche Schatulle jedoch nicht leisten – jedenfalls meint das Minister Schlieffen (gespielt von Pinkas Braun, einem weiteren vergessenen Fernsehstar). Es geht, in Parettis Roman wie in der Verfilmung, um den Verkauf hessischer Soldaten an die Briten für den Einsatz im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, aber es geht auch um die Kosten des absolutistischen Staates, moralische wie soziale.
Ein Offizier ist aus dem Heer des Landgrafen desertiert und wird von berittenen Bauernaufgeboten gejagt. Ein Großgrundbesitzer wird geadelt und bezahlt dafür in harter Währung. Eine Adelstochter hat die landgräfliche Lust geweckt; um ihren Mätressenstatus zu legitimieren, soll Claus von Haynau (Christian Quadflieg) mit ihr eine „Situationsehe“ schließen. Sein Halbbruder Robert (Sigmar Solbach) will nach Amerika, um seinen wahren Vater zu suchen, aber erst eine Kette aus Verwechslung, Gaunerei und Verrat verschafft ihm die Gelegenheit, sich in Bad Karlshafen als einfacher Söldner einzuschiffen. Beim Hoffest vor Schloss Wilhelmshöhe drehen die Bauern im Keller das Karussell des Landgrafen, während sich oben die Noblesse vergnügt. Die Maschinerie des Ständestaats funktioniert noch, aber sie knirscht in allen Fugen. Die gefilmte Schlösserpracht dient dem Zweck, die Überflüssigkeit des Überflusses auszustellen. „Der Winter, der ein Sommer war“ war der Beitrag des HR zum zweihundertsten Jahrestag der amerikanischen Revolution.
Auch das Karussell der Umgelter’schen Fernseh-Epik dreht sich wie am Schnürchen. Der Dreiteiler entstand in acht Wochen in Oberhessen und in einem Naturschutzgebiet an der österreichischen Donau. Die Schlösser in Kassel und Weilburg, die Altstadt von Melsungen und das Weserufer in Karlshafen dienten als Kulissen, sogar die Bundeswehr stellte Statisten in Gestalt eines Jägerbataillons. Dennoch tut das Wiedersehen mit „Der Winter, der ein Sommer war“ weh.
Zu abgenutzt wirkt, besonders im Vergleich mit Umgelters „Trenck“, das immergleiche Schnittmuster aus Großaufnahme, Halbtotale, Nahaufnahme, zu augenfällig sind die Unsauberkeiten in Ton und Beleuchtung, die aufgesagten Dialoge, das wilde Chargieren in Kampf- und Liebesszenen, der albumhafte, abspulende Erzählstil. Nur die großartig leidende Anneliese Uhlig, deren Biographie einen eigenen Film verdiente, und der mit buddhistischem Gleichmut agierende Hans Caninenberg bilden als Ehepaar Haynau eine löbliche Ausnahme.
Gegen Kubrick hatte Umgelter keine Chance
Der Fünfzehnjährige hat von alldem kaum etwas wahrgenommen oder besser: wahrnehmen wollen. Denn es ging damals (wie auch heute) zur Hauptsendezeit ja nicht um Kunst (dafür waren Fassbinder, Kluge & Co. zuständig), sondern um Quote. Nur Umgelter schielte, wie man an seinen Schlachtbildern und Rokokofesten sieht, beständig nach Höherem, und es muss ihm ein ewiges Ärgernis gewesen sein, dass er gegen Kubrick – dessen „Barry Lyndon“ heute ein Klassiker ist, aber damals ein Flop war – nur die production values des Hessischen Rundfunks aufbieten konnte.
Es hilft nichts: Die Nostalgie, die die ersten Bilder aus dem Barocktheater auslösen, schlägt im Lauf der sechs Stunden in Ernüchterung um. Den wackeren Sigmar Solbach, der als „Dr. Stefan Frank“ zum Fernsehfrauenarzt vom Dienst werden sollte, hatte man pfiffiger und weniger hölzern in Erinnerung, und Christian Quadfliegs böser Bruder Klaus wirkt auf den zweiten Blick nicht halb so dämonisch wie einst. Eine Schau sind dagegen die Altvorderen, die hemmungslos dem Affen Zucker geben: Günther Strack als aufgeschwemmter Landgraf („Sie wissen gar nicht, wie das ist: sich vollfressen, bis man nicht mehr kann!“), Heinz Baumann als ruhmsüchtiger Regimentskommandeur Rall, Werner Kreindl als amerikanischer Kleinstadtarzt, der die Verwundeten beider Seiten versorgt und mit Freund und Feind Schach spielt.
Fast alle sind tot. Umgelter starb im Mai 1981 mit nur neunundfünfzig Jahren, nachdem er noch die erste Staffel des „Traumschiffs“ vom Stapel gelassen hatte, Anneliese Uhlig 2017 mit fast hundert in Santa Cruz, Kalifornien, Christian Quadflieg im vergangenen Sommer in Hamburg. In „Der Winter, der ein Sommer war“ kreuzten sich ihre Wege vor hessischen Fachwerkhäusern, und wie die Zuschauer vor dem Bildschirm dachten sie womöglich, es ginge immer so weiter. Doch die Zeit der vorweihnachtlichen Mehrteiler, der Segelschiffe und Dreispitze war vorbei. Das Fernsehen der Achtzigerjahre wurde schneller, schriller und kitschiger, die Krimis und Familienserien breiteten sich aus. Die Privatsender standen vor der Tür. Umgelters Paretti-Verfilmung war ein Epilog. Der Fünfzehnjährige ahnte davon nichts. Heute weiß er es.