Saturday, August 31, 2024
Millionenauftrag für Beratungsfirma – Personalie bringt Baerbock in Erklärungsnot
WELT
Millionenauftrag für Beratungsfirma – Personalie bringt Baerbock in Erklärungsnot
Artikel von Ulrich Thiele • 3Tage • 4 Minuten Lesezeit
Das Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock (Grüne) plant die Digitalisierung von Visa-Verfahren durch ein „Auslandsportal“. Für das Millionenprojekt wurde ein Berliner Beratungsunternehmen engagiert. Ausgerechnet dorthin ist kurz vor Auftragsvergabe eine langjährige AA-Mitarbeiterin gewechselt.
Das „Auslandsportal“ hat im Auswärtigen Amt höchste Priorität. Ende Juni ließ sich Annalena Baerbock (Grüne) persönlich vom zuständigen Digital-Referat erklären, wie das Auswärtige Amt in Zukunft Visa-Verfahren an deutschen Botschaften weltweit digitalisieren will. Im Oktober, so heißt es aus Kreisen des Auswärtigen Amts, will Baerbocks Behörde das Leuchtturmprojekt dann angeblich auf dem Digital-Gipfel der Bundesregierung dem Who’s Who aus Wirtschaft und Politik präsentieren.
Die 167 Visastellen der deutschen Auslandsvertretungen bearbeiten im Jahr etwa ein bis zwei Millionen Visumanträge. Bisher werden sie meist in Papierform eingereicht. Um die für Antragsteller enorm langen Wartezeiten zu beschleunigen, sollen mit dem Auslandsportal Visa online beantragt werden können. Priorität haben Fachkräftevisa. Seit Juni 2022 ist eine Beta-Version des Auslandsportals online, erste Visumanträge können bereits online beantragt werden.
Doch hinter den Kulissen sorgt ein fragwürdiger Personalwechsel für Kopfschütteln. Für das Projekt hat sich das Auswärtige Amt nämlich externe Unterstützung geholt: Die Digitalberatung Init AG „unterstützt operativ die Umsetzung der Visadigitalisierung“, wie es aus dem Auswärtigen Amt heißt.
Das Pikante: Im Dezember 2023 ist eine langjährige Mitarbeiterin des Auswärtigen Amts zur Init AG gewechselt. Von 2020 bis 2023 war die Mitarbeiterin als IT-Koordinatorin im Digital-Referat aktiv und hat in dieser Rolle eng mit der Init AG im Rahmen des Auslandsportals zusammengearbeitet.
Dann wechselte sie die Schreibtischseite und ging zu Init, was erst einmal nicht problematisch ist. Seit knapp neun Monaten ist sie nun in leitender Position im Unternehmen – arbeitet aber im Rahmen der Weiterkonzeption des Auslandsportals wieder eng mit ihrem ehemaligen Referat zusammen. Und kurz nachdem die frühere Amtsmitarbeiterin zu Init wechselte, wurden dem Beratungsunternehmen im Frühjahr Aufträge vom Auswärtigen Amt in Höhe von knapp sechs Millionen Euro zugesprochen.
Verdacht von Klüngel mit einer Spitzfindigkeit abgewehrt
Alles Zufall? Auf Anfrage will sich das Auswärtige Amt zu dem Fall nicht offiziell äußern. „Bei der Auftragsvergabe wurden alle einschlägigen vergaberechtlichen Regeln eingehalten“, heißt es nur. Aus Regierungskreisen heißt es, das Auswärtige Amt sehe kein Problem, weil die Mitarbeiterin des gehobenen Diensts nicht entscheidungsbefugt gewesen sei. Gemeint ist damit wohl, dass sie nicht in die Entscheidung involviert gewesen soll, die Aufträge an Init zu vergeben.
Seltsam nur: Welche konkreten, möglichen Interessenkonflikte man geprüft hat und von wann bis wann diese angebliche Prüfung stattgefunden hat, will das Auswärtige Amt trotz mehrfacher Nachfragen nicht beantworten. Auch zu dem Geld, das an Init geflossen ist, äußert man sich nur hinter vorgehaltener Hand. Im Juli war bei Journalisten noch von zwei Millionen Euro die Rede, inzwischen heißt es, Init habe fünf Millionen Euro erhalten. Nach Informationen von Business Insider erhält Init für das Projekt jedoch insgesamt rund zehn Millionen Euro. Allein sechs Millionen davon ab Frühjahr 2024 – also nach dem Wechsel der Mitarbeiterin. Unsere Frage, ob die Summe die ursprüngliche Budgetplanung überschreitet, lässt das Auswärtige Amt ebenfalls wiederholt unbeantwortet.
Skurril: Das Auswärtige Amt beteuert vehement, dass Init im Rahmen des Auslandsportals gar keine Beratungsleistungen liefere. Intern sind die Aufgaben hingegen explizit als Beratungsleistungen festgehalten. So ist etwa von „strategischer Beratung und Umsetzungsbegleitung“ die Rede.
Auf Anfrage bringt das Auswärtige Amt plötzlich einen neuen Begriff ins Spiel, der einen Unterschied machen soll. Bei den Aufgaben der Init AG handele es sich nicht um eine „externe Beratung“, wie man unter Verweis auf eine „Definition auf Basis des Beschlusses des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags vom 28. Juni 2006“ mitteilt. Demnach fielen technische Fragestellungen nicht unter die Begriffsbestimmung „externe Beratung“. Das Beratungsunternehmen Init, dass das Auswärtige Amt strategisch berät, liefere deswegen keine Beratungsleistungen, sondern unterstütze nur „operativ die Umsetzung der Visadigitalisierung“, meint die Behörde.
Den Verdacht von Klüngel oder gar einer Nähe zur Berateraffäre im Bundesinnenministerium, bei der Init nach bisherigen Kenntnissen der BMI-Prüfer involviert ist (Business Insider berichtete), will man im Auswärtigen Amt offenbar unter allen Umständen vermeiden. Init selbst betont, dass die Mitarbeiterin nichts mit der Auftragsvergabe an das Unternehmen zu tun gehabt habe, nennt aber keine Details.
Init ist auf öffentliche Aufträge angewiesen
Die Init AG war in den vergangenen Jahren einer der Aufsteiger unter den Digitalberatungen in Deutschland. Doch inzwischen hat der einstige Branchen-Star mit Umsatzeinbrüchen zu kämpfen. Dem Vernehmen nach hat Init daher eine Charmeoffensive bei öffentlichen Auftraggebern gestartet, darunter auch bei Regierungsbehörden.
So berichtete Business Insider bereits über interne Folien, in denen besonders das Gewinnen lukrativer Aufträge für Digitalprojekte des Bundesinnenministeriums (BMI) zum Ziel gesetzt wurde. Darunter befanden sich etwa Dienstleistungen im Bereich Cloud-Computing oder KI-Entwicklung im Wert von jeweils über 50 Millionen Euro. Init ist auch in ein anderes Prestigeprojekt von Annalena Baerbock involviert: Die AG ist im Rahmen des umstrittenen Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan, das im Oktober 2022 von BMI und Auswärtigem Amt gestartet wurde, in den Aufbau einer IT-Anwendung zur Koordinierung der Anträge involviert. Laut BMI hat Init dafür seit 2022 bisher etwa 6,6 Millionen Euro erhalten.
Die ehemalige Mitarbeiterin des Auswärtigen Amts arbeitet für Init im Rahmen solcher Projekte auch mit dem BMI zusammen, etwa bei der Digitalisierung der Migrationsverwaltung.