Tuesday, February 6, 2024
Jetzt lässt die Union die Ampel auflaufen
WELT
Jetzt lässt die Union die Ampel auflaufen
von Karsten Seibel • 1 Std.
Eigentlich war das Ende der Diesel-Subventionen für Landwirte beschlossene Sache. Nun aber geht der Streit in eine neue Runde. Die Union will einem anderen wichtigen Gesetz nur zustimmen, wenn die geplante Steuererhöhung zurückgenommen wird. Die FDP spricht von „Geiselhaft“.
Seit Wochen protestieren Landwirte, wie hier vor der Siegessäule in Berlin, gegen die Erhöhung der Steuer auf Agrardiesel
Der Plan der Ampel-Regierung, dass Landwirte für ihre Maschinen Kfz-Steuer zahlen müssen, ist bereits seit Anfang des Jahres wieder vom Tisch. Nun wollen CDU und CSU dafür sorgen, dass auch der zweite Teil des ursprünglich auf knapp eine Milliarde Euro veranschlagten Beitrags der Bauern zum Schließen von Haushaltslücken zurückgenommen wird.
Die Union will ihre Zustimmung zum sogenannten Wachstumschancengesetz im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat davon abhängig machen, dass die geplante Steuererhöhung beim Agrardiesel zurückgenommen wird. „Es kann nicht sein, dass Entlastungen für Wirtschaft und Mittelstand insgesamt durch Belastung einzelner Branchen, konkret die Landwirtschaft, gegenfinanziert werden“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Mathias Middelberg, WELT.
Deshalb müsse die Steuerrückerstattung beim Agrardiesel bleiben. In diesem Anliegen sehe die Union die beiden SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil und Manuela Schwesig, sowie den Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann an ihrer Seite, sagte der CDU-Politiker.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) äußerte sich reserviert über die Verbindung beider Themen. „Na ja, das ist so ein Kuhhandel“, sagte der SPD-Politiker in einem Radio-Interview des Deutschlandfunks. Er wisse nicht, ob diese Verbindung vernünftig sei. Allerdings lehne auch er die Kürzungen beim Agrardiesel ab.
SPD-Bundestagsfraktion zeigte sich fassungslos
Bei den Ampel-Parteien zeigte man sich erbost über den Versuch der Unions-Seite, die Zustimmung zum Wachstumschancengesetz, in dem es um steuerliche Entlastungen für die Wirtschaft geht, mit dem Thema Agrardiesel zu verknüpfen. Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, forderte die Union auf, zur Ernsthaftigkeit zurückzufinden. „Alles nur als taktisches Spiel zu betrachten schadet der Wirtschaft und Deutschland insgesamt“, sagte er.
Unternehmen drängten zu Recht darauf, dass das Wachstumschancengesetz nun zügig beschlossen werde. „Leider betreibt Friedrich Merz erneut seine Blockade-Politik gegen die deutsche Wirtschaft“, sagte Audretsch und bezeichnete die Änderungen für Landwirte als maßvoll und planbar. „Die Befreiung von der Kfz-Steuer bleibt bestehen, die Agrardiesel-Subventionen werden schrittweise reduziert“, sagte er.
Auch aus den Reihen der FDP kam deutliche Kritik am Verhalten der Union. „Der Eindruck verfestigt sich, dass CDU und CSU das Wachstumschancengesetz absichtlich immer weiter verzögern“, sagte Christoph Meyer, stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender.
Sollten CDU und CSU die Beibehaltung der Agrardieselsubvention über die Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsinvestitionen von Industrie und Betrieben stellen, ist dies aus seiner Sicht eine Abfuhr der Union an die Nöte der Wirtschaft. „Schlimmer noch: CDU und CSU würden die gesamte Wirtschaft in Geiselhaft nehmen, nur um die Subventionen für eine einzelne Branche zu erhalten“, sagte der FDP-Politiker.
In der SPD-Bundestagsfraktion sparte man ebenfalls nicht mit Kritik. „Es verfestigt sich der Eindruck, dass bei der Union nicht Wirtschaftswachstum und die notwendigen Impulse im Vordergrund stehen, sondern parteitaktische Manöver“, sagte der finanzpolitische Sprecher Michael Schrodi. Die CDU/CSU provoziere bewusst das Scheitern des Wachstumschancengesetzes. „Das irritiert mich sehr und ist völlig unverantwortlich, denn unsere Wirtschaft braucht jetzt ganz konkret Wachstumsimpulse“, sagte er.
Der Streit zwischen den Koalitionsparteien im Bund und der Union kommt in eine Phase, in der auch zwischen SPD; Grünen und FDP eine neue Debatte über steuerliche Entlastungen der Wirtschaft durch Äußerungen von Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der WELT AM SONNTAG losgetreten wurde.
Im Kern geht es dort darum, wie deutsche Unternehmen international wettbewerbsfähiger werden können. Zu den Vorschlägen gehören die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags und eine Senkung der Körperschaftsteuer für Unternehmen.
Kanzler Scholz fordert Einigung
Am Montagabend verwies Kanzler Olaf Scholz (SPD) in dem Zusammenhang auf das vom Bundestag bereits verabschiedete Wachstumschancengesetz. „Ich hoffe, dass dieses sehr konkrete und sehr praktische Projekt, das die Investitionsfähigkeit von Unternehmen erleichtern soll, auch mit der Zustimmung der Länder etwas werden wird“, sagte Scholz. Darauf sollte man sich konzentrieren. „Das ist praktisch, anfassbar und wirkt schnell“, sagte er.
Die Verknüpfung mit dem Thema Agrardiesel wurde erst möglich, nachdem der Bundesrat sich in der Vorwoche aus formalen Gründen geweigert hatte, jenes Gesetz abschließend zu beraten, in dem der umstrittene Abbau der Agrardiesel-Subventionen festgeschrieben ist: das sogenannte Haushaltsfinanzierungsgesetz. Diesem Gesetz muss der Bundesrat zwar nicht zustimmen, er könnte aber Einspruch einlegen und auch hierfür den Vermittlungsausschuss anrufen.
An der Stelle steht das Wachstumschancengesetz bereits. Am Montagabend tagte dazu eine informelle Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat.
Der Bundesrat hatte das Gesetz vor Weihnachten zunächst blockiert, weil die geplanten besseren Möglichkeiten bei Abschreibungen und Verlustverrechnungen nicht nur zu Einnahmeausfällen beim Bund, sondern auch bei den Ländern führen. Wurden den Unternehmen zunächst Entlastungen in Höhe von sieben Milliarden Euro in Aussicht gestellt, reduzierte sich diese Summe deshalb bei den ersten Gesprächen im Dezember bereits auf 2,935 Milliarden Euro.
Union sieht bürokratische Lasten für Unternehmen
Neben dem Thema Agrardiesel, das nun erstmals auf den Verhandlungstisch gelegt wurde, gibt es aus Sicht der Union auch am eigentlichen Gesetz Punkte, die geändert werden müssen. So wollen einige Länder verhindern, dass die Investitionsprämie für Klimaschutzausgaben von ihren Finanzämtern ausgezahlt werden muss. Diese Aufgabe soll aus CDU-Sicht eine Bundesbehörde übernehmen, etwa das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, kurz BAFA.
Zudem sieht die Union mit dem Gesetz unnötige bürokratische Lasten auf Unternehmen zukommen. „Wir brauchen dringend Wachstumsimpulse für Wirtschaft und Mittelstand. Zusätzliche bürokratische Lasten, wie Mitteilungspflichten zu inländischen steuerlichen Gestaltungen und deren Überprüfung, würden die Zielsetzung des Gesetzes aber konterkarieren“, sagte CDU-Politiker Middelberg.
Am kommenden Freitag soll die Arbeitsgruppe zu ihrer nächsten Sitzung zusammenkommen. Dem Vernehmen nach ist weiterhin angestrebt, dass die Entscheidung im Vermittlungsausschuss am 21. Februar fällt. Zwei Wochen bleiben also noch für eine Einigung.