Tuesday, December 26, 2023

„Wird dazu führen, dass Investitionen vorwiegend außerhalb Deutschlands stattfinden“

WELT „Wird dazu führen, dass Investitionen vorwiegend außerhalb Deutschlands stattfinden“ Artikel von Ulrich Exner • Niedersachsens Regierungschef Weil (SPD) erklärt die von der Ampel geplante Erhöhung des CO₂-Preises für nicht „sozial gerecht“. Er rügt: Generell würden bei den vorgesehenen Belastungen keine Unterschiede nach Einkommen gemacht. Und er warnt vor einer weiteren Schwächung des Standorts Deutschland. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), 65 WELT: Herr Weil, pünktlich zum Jahreswechsel hat die Ampel-Koalition auch noch die niedersächsischen Bauern auf die Barrikaden getrieben. Haben Sie Verständnis für deren massiven Protest gegen die Berliner Haushaltspläne? Stephan Weil: Die Streichung der Zuschüsse zum Agrardiesel wird von den Bauern zurecht als ganz gezielte Belastung wahrgenommen. Unsere Landwirte stehen allesamt im internationalen Wettbewerb und die Konkurrenz in vielen Ländern, etwa aus Frankreich, kann zu wesentlich günstigen Bedingungen produzieren als die Bauern hierzulande. Insofern halte ich diese Kürzungspläne auch für falsch. WELT: Wird die Bundesregierung den Protesten der Bauern nachgeben? Weil: Damit rechne ich nicht und setze deshalb eher auf das parlamentarische Verfahren im Bundestag. WELT: Haben Sie eine Idee, an welcher anderen Stelle die Ampel-Koalition Geld einsparen könnte, um einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen? Weil: Christian Lindner (Bundesfinanzminister von der FDP, d. Red.) hat sich leider an einer entscheidenden Stelle und durchgesetzt und eine zusätzliche Kreditaufnahme für das nächste Jahr verhindert. Das führt dann zwangsläufig zu Belastungen von unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft. Und da ist auffällig, dass nicht zwischen breiten und schmaleren Schultern unterschieden wird. Insgesamt sollte es nicht bei den jetzt vorgelegten Plänen bleiben, nicht nur wegen des Agrardiesels. Nehmen Sie zum Beispiel das Thema Mobilität. Wir haben seit Monaten eine harte Nachfrage-Delle bei den Elektrofahrzeugen. Dazu hat bereits die Kürzung der Förderung für den Kauf eines E-Autos beigetragen. Dass diese Förderung jetzt komplett gestrichen wurde, wird sich nicht gerade verkaufsfördernd auswirken. Die ohnehin vorhandene Absatzflaute könnte sich noch einmal vertiefen. Das hat dann auch negative Auswirkungen auf die Klimaschutzpolitik insgesamt und es wird noch einmal schwieriger, deren ehrgeizige Ziele auch tatsächlich zu erreichen. WELT: Was halten Sie von der geplanten Erhöhung des CO₂-Preises? Weil: Ein gutes Beispiel dafür, was ich mit stärkeren und schwächeren Schultern meine. Ein gut verdienender Städter tut sich damit sehr viel leichter als ein Pendler vom Lande mit kleinem Einkommen. Sozial gerecht ist das nicht. WELT: Ist das „Klimageld“ – ein zentrales sozialpolitisches Versprechen der Ampel-Koalition, mit dem der erhöhte CO₂-Preis kompensiert werden sollte – eigentlich schon vom Tisch, oder kommt das noch? Weil: Ich wüsste nicht, wie man das unter den derzeitigen Bedingungen noch finanzieren sollte. Geboten wäre es mehr denn je. Mit dem Klimageld sollten ja genau die Menschen entlastet werden, für die ein erhöhter CO₂-Preis und damit erhöhte Preise für Benzin, Diesel und Heizöl ein großes finanzielles Problem darstellen. WELT: Ihr Bundesparteichef Lars Klingbeil hat alternativ eine Erhöhung der Pendlerpauschale ins Gespräch gebracht. Gute Idee? Weil: Das wäre mit Sicherheit ein richtiger Schritt. In Flächenländern wie Niedersachsen gibt es sehr viele Menschen, die auf absehbare Zeit weiterhin mit ihrem Verbrenner-Auto zur Arbeit fahren müssen und ihre noch nicht sanierten Häuser mit Öl oder Gas beheizen. Genau solche Menschen muss man im Auge haben, wenn man beurteilen will, ob bestimmte politische Maßnahmen für alle gesellschaftlichen Gruppen verkraftbar sind. Was die aktuellen Beschlüsse der Bundesregierung angeht, habe ich da meine Zweifel. WELT: Wie passt die von Ihnen skizzierte soziale Unwucht der Sparbeschlüsse eigentlich zu den Versprechungen des Bundeskanzlers beim SPD-Parteitag, der ja den Menschen mit geringeren Einkommen zugesichert hat: „You’ll never walk alone“? Weil: An einem entscheidenden Punkt hat Olaf Scholz Wort gehalten. Christian Lindner wollte ran an die Sozialleistungen, und einen Sozialabbau wird es nicht geben. Der Webfehler ist aus meiner Sicht, dass bei den vorgesehenen Belastungen kein Unterschied gemacht wird zwischen denjenigen, die ein gutes Einkommen haben, und denjenigen, die ein niedriges Einkommen haben. WELT: Wird die SPD versuchen, diesen Fehler noch zu beheben? Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich hat ja bereits angekündigt, dass die Vorschläge der Bundesregierung im Bundestag korrigiert werden sollen. Weil: Rolf Mützenich hat jedenfalls mit seiner Analyse völlig recht, dass es zu erheblichen Verteilungskämpfen kommen dürfte, wenn es so weitergeht. Die einzige Partei, die sich dabei die Hände reiben kann, ist die AfD. Auch deshalb wünsche ich mir sehr, dass die Sparbeschlüsse im Bundestag noch einmal gründlich überprüft werden. Mir ist klar, dass die Bundesregierung bei ihrer Beschlussfassung unter erheblichem Druck gestanden hat. Und ich bin auch heilfroh, dass es am Ende einen Kompromiss gegeben hat, der in vielen Bereichen die grassierende Unsicherheit beendet hat. Aber insgesamt ist das Ergebnis eben noch nicht überzeugend. WELT: Sie selbst haben in diesem Jahr massiv für einen niedrigeren Industriestrompreis für energieintensive Betriebe geworben. Reicht Ihnen die von der Ampel-Koalition beschlossene Senkung der Stromsteuer? Weil: Die nutzt vorwiegend Unternehmen, die nicht sonderlich energieabhängig sind. Andere Vorschläge dürften allenfalls der sehr kleinen Gruppe von Unternehmen mit maximalem Strombedarf helfen. Für die meisten anderen energieintensiven Unternehmen aber ergibt sich keine spürbare Entlastung. Im Gegenteil: Durch den geplanten Wegfall des Bundes-Zuschusses zu den Netz-Nutzungsentgelten wird sich auch der Strompreis für die Mehrzahl dieser Unternehmen weiter verteuern. Und das wird dazu führen, dass Investitionen vorwiegend außerhalb Deutschlands stattfinden. Keine guten Aussichten für unsere Standorte. WELT: Unterm Strich macht die Ampel-Koalition die Gesellschaft gerade ziemlich fertig, oder? Weil: Nein, das wird der Lage nicht gerecht. Diese Bundesregierung hat es von Anfang mit Problemen zu tun, die es in sich haben. Es gibt multiple internationale Krisen und zahlreiche nationale Baustellen, die viel älter sind als die Ampel-Koalition selbst. Insofern hat sie es deutlich schwerer als ihre Vorgängerinnen. Dass sie es sich im Laufe dieses Jahres aber obendrein auch noch des Öfteren selbst schwer gemacht hat, ist offenkundig.