Friday, December 1, 2023
"Dann steh doch dazu!" ZDF-Satirikerin kritisiert "vergifteten" Gottschalk-Abgang scharf
teleschau
"Dann steh doch dazu!" ZDF-Satirikerin kritisiert "vergifteten" Gottschalk-Abgang scharf
Artikel von teleschau •
59 Min.
Darf man im Fernsehen nicht mehr sprechen wie zu Hause? Thomas Gottschalks Abschiedsworte bei "Wetten, dass ..?" lösten eine Diskussion aus.
Hat Thomas Gottschalk mit seinen Abschiedsworten bei "Wetten, dass ..?" eine bittere Wahrheit über die "Cancel Culture" ausgesprochen? Nein, meint Sarah Bosetti. Die ZDF-Satirikerin wirft dem Star-Moderator nicht nur gekränkte Eitelkeit, sondern auch ein "gefährliches" Opfernarrativ vor.
Eine Trennung in bestem beiderseitigem Einvernehmen scheint Thomas Gottschalks Abgang von der größtmöglichen ZDF-Bühne nur bedingt zu sein. Schon vor seiner letzten "Wetten, dass ..?"-Ausgabe wetterte der Star-Unterhalter in einem Interview über die angeblichen "Schnarchnasen" beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Während der live aus Offenburg übertragenen Show warb der 73-Jährige nicht nur für eine neue RTL-Show und seinen RTL-Podcast, sondern lästerte in einer anschließenden Interview-Schalte für die Spätnachrichten auch über die anstehende Aftershow-Party: "ZDF-typisch gibt's sicher Bier und Currywurst. Sicher keinen Champagner."
Da passt es ins zerrüttete Bild, dass einige Tage nach dem von gut zwölf Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern verfolgten "Wetten, dass ..?"-Finale ausgerechnet eine ZDF-Satirikerin gegen den Moderator energisch nachtritt. In ihrem Mediathek-Format "Bosetti will reden" nimmt Sarah Bosetti vor allem daran Anstoß, dass es Gottschalk nicht gelungen sei, "sich unvergiftet von seinen 'Wetten, dass ..?'-Fans zu verabschieden".
Lob von rechten Accounts: "Ganz ehrlich, das hat Thommy nicht verdient"
In seiner Abmoderation hatte Gottschalk geklagt, er müsse sich wegen der allgegenwärtigen Shitstormgefahr vor laufender Kamera selbst zensieren: "Inzwischen rede ich zu Hause anders als im Fernsehen, das ist auch nicht schön." Bosetti hält dies in letzter gesellschaftlicher Konsequenz für eine "gefährliche" Aussage, wenngleich sie einräumt, dass sich "die Öffentlichkeit, vor allem die internetaffine, tatsächlich manchmal etwas übereifrig empört".
Ihr gehe ihr keineswegs um das "gekränkte Ego von Thomas Gottschalk" ("Nach Jahrzehnten der Huldigung ist jede Kritik ein Affront"), fährt sie fort. Problematisch sei vielmehr, dass Gottschalks Statement gesellschaftlich mehrheitsfähig sei. Bei einem so berühmten Sprecher entspreche die öffentliche Wirkung der Wahrnehmung: "Ja, genau, nichts darf man mehr sagen!" Dabei sei es "völlig egal, dass das objektiv unwahr ist". Zensurgleiche Redeverbote gebe es nicht. Lediglich der bisweilen laute Widerspruch sei im Vergleich zu früher neu.
Sarah Bosetti: "Nichts ist so sehr Ausdruck der eigenen Privilegiertheit wie der Schock darüber, nicht mehr in einer widerspruchsfreien Welt zu leben. Und nichts hilft besser dagegen, als sich selbst als Opfer zu sehen. Die Alternative wäre ja zu sehen, dass es andere Opfer gibt, die man in seiner Bequemlichkeit übersehen hat."
Daher rührten auch Schlagworte wie "Sprechverbot", "Cancel Culture" und "Meinungsdiktatur". Der Satz "Man darf ja heutzutage gar nichts mehr sagen" sei mehr als jeder andere "ein Grund dafür, dass uns in vier bis acht Jahren die AfD regieren könnte", schlägt die Satirikerin einen gewagten Bogen. So sei es kein Zufall, dass Gottschalk "für seine vermutlich gar nicht mal so politisch gemeinten Worte" vor allem von rechten Accounts gefeiert werde. "Ganz ehrlich, das hat Thommy nicht verdient."
Sarah Bosetti kritisiert Gottschalk-Satz zu Jungen im Rollstuhl
Kritik übt Bosetti auch an einem Satz, den Gottschalk an seinen Kinderkandidaten der letzten Sendung gerichtet hatte. "Wenn Thomas Gottschalk sich einem Jungen im Rollstuhl gegenüber wundert, dass der trotzdem lachen kann, dann mag das für diesen Jungen sogar okay sein", sagt Bosetti. "Aber es hören ja noch ein paar Millionen Leute mehr zu, von denen rein statistisch gesehen auch ein paar im Rollstuhl sitzen dürften, die implizit gesagt bekommen, dass trotz Behinderung lustig zu sein, als etwas Erstaunenswertes zu gelten hat."
Sie habe sich von Thomas Gottschalk "zum Abschied etwas mehr Güte", "mehr ehrliche Selbstironie" sowie "mehr Stärke" gewünscht, schließt die ZDF-Satirikerin ihren gut achtminütigen Beitrag. Shitstorms könne man schließlich aushalten oder sogar kontern, wenn sie unberechtigt seien. Ihr Appell: "Wenn das, was du zu Hause oder im Fernsehen sagst, nicht verwerflich ist, lieber Thomas, dann steh doch dazu!"