Monday, September 6, 2021

Ein- und Ausfuhren brechen ein – jetzt spüren die Briten den Brexit wie nie

Ein- und Ausfuhren brechen ein – jetzt spüren die Briten den Brexit wie nie Claudia Wanner vor 30 Min. | Eine gute Nachricht gibt es für britische Nahrungsmittelhersteller. Die Ausfuhren von schottischem Whisky, walisischem Lamm und englischem Cheddar in Nicht-EU-Staaten haben im ersten Halbjahr mit 4,3 Milliarden Pfund (5 Milliarden Euro) wieder das Niveau von 2019 erreicht, bevor die Covid-Pandemie die Lieferungen weltweit durcheinander brachte. In britischen Supermärkten sind viele Regale schon seit Wochen ziemlich leer. Vor allem, Fleisch, Wasser und Milchprodukte sind knapp. In britischen Supermärkten sind viele Regale schon seit Wochen ziemlich leer. Dafür schmerzt die schlechte Nachricht umso mehr: Exporte in die Nachbarländer der Europäischen Union, der Großbritannien seit dem Jahresanfang nicht mehr angehört, sind in dem Zeitraum um 27 Prozent eingebrochen. Spirituosen, Milchprodukte, Fleisch, Snacks im Wert von 6,7 Milliarden Pfund hatten britische Hersteller von Januar bis Ende Juni 2019 in die EU geschickt. Zwei Jahre später waren es nur noch 4,9 Milliarden. „Das neuerliche Wachstum der Exporte in Märkte außerhalb der EU ist eine willkommene Nachricht. Aber es macht den verheerenden Verlust von Umsätzen im Wert von 2 Milliarden Pfund in die EU nicht wett“, sagte Dominic Goudie, beim Branchenverband Food & Drink Federation (FDF) für internationalen Handel zuständig. Die Entwicklung „verdeutlicht die ernsthaften Schwierigkeiten, denen die Hersteller in unserer Branche gegenüberstehen, und den dringenden Bedarf für Unterstützung.“ Lebensmittelhandel besonders betroffen Großbritanniens Fisch-, Milch- und Fleischverarbeiter, die Whiskey-Brennereien und Gin-Destillerien haben wie ihre Wettbewerber in anderen Ländern mit einer Vielzahl von Problemen rings um die Pandemie zu kämpfen. Lange geschlossene Restaurants, verändertes Kaufverhalten und fehlende Zutaten wegen unterbrochener Lieferketten sind einige davon. Hinzu kommen die Sonderfaktoren des Brexit. Traditionell gingen fast zwei Drittel der Ausfuhren in die Nachbarmärkte in der EU. Seit dem Jahresanfang ist der Warenverkehr jedoch durch Verwaltungsaufwand und Kontrollen erschwert, genau wie der Handel mit anderen Drittstaaten. Lebensmittel sind von den zusätzlichen Auflagen wegen der dafür erforderlichen Gesundheitschecks besonders betroffen. Auch in der anderen Handelsrichtung ist die Lage nicht einfach. Die Einfuhren aus der EU sind im Vergleich zu 2019 um 15 Prozent auf 13,4 Milliarden geschrumpft. Fleisch, Obst und Gemüse waren besonders betroffen. Aus Deutschland kamen mehr als ein Drittel weniger Waren. Der Handel mit Nicht-EU-Staaten hat dagegen um drei Prozent zugelegt. Die nächsten Monate dürften hier zusätzliche Schwierigkeiten bringen. „Das Vereinigte Königreich führt ab 1. Oktober neue Checks für Lebensmittel und Agrarprodukte ein“, erinnerte der irische Landwirtschaftsminister Martin Heydon diese Woche die Unternehmen im Nachbarland. Produkte werden zurückgeschickt Während die EU alle neuen Regeln und Checks an der Grenze direkt zum Jahresanfang eingeführt hat, hat sich die britische Regierung für ein gestaffeltes Vorgehen entschieden. Ab Oktober gelten zusätzliche Kontrollen der Zoll- und Einfuhrunterlagen, zum Jahreswechsel kommen umfangreichere Anforderungen für Gesundheitsprüfungen. Es sei entscheidend, dass alle Handelspartner die neuen Anforderungen, von Vorabmeldungen bis zu den bald nötigen Gesundheitszeugnissen, verstehen, mahnte Haydon. Doch trotz der regelmäßigen Erinnerungen fürchten Handelsexperten und Supermärkte eine weitere Welle von festgehaltenen Lkw und zurückgeschickten Produkte. Auch ohne diese absehbare Zusatzbelastung drückt ein weiteres Problem die Agrarindustrie. „Gleichzeitig verzeichnen wir einen Mangel an Arbeitskräften in der gesamten Verarbeitungskette, von den Bauernhöfen bis zum Handel. Das führt zu leeren Regalen in den Supermärkten, Verzögerungen der Lieferungen und verminderter Produktion“, sagte Goudie. Bei McDonald’s gab es zeitweise keine Milchshakes. Eine Kette von Hühnchen-Restaurants hat Standorte geschlossen, da kein Fleisch geliefert wurde. Supermarktketten warnen schon vor drohender Knappheit im Weihnachtsgeschäft. Den Pubs geht das Bier aus Selbst die Pubs sind von den zahlreichen Lieferproblemen inzwischen in Mitleidenschaft gezogen. Die Pub-Kette Wetherspoons hat sich in der vergangenen Woche bei Gästen entschuldigt, dass eine Reihe von Bieren derzeit nicht lieferbar seien. Auch die Brauerei Greene King berichtete von Schwierigkeiten, Kneipen mit bestellten Bier zu versorgen. Auch dass geschätzt 100.000 Lkw-Fahrer fehlen, ist auf eine Mischung aus Covid- und Brexit-Folgen zurückzuführen. Wegen der Pandemie wurden monatelang keine Führerscheinprüfungen abgenommen. Zudem sind viele Fahrer aus EU-Staaten in dieser Zeit in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Einige haben dort ein Auskommen gefunden, andere können wegen der sehr viel strikteren Zuwanderungsregeln nicht zurückkommen. Es werde dauern, bis genug Fahrer ausgebildet und geprüft seien, sagte Alex Veitch vom Verband UK Logistics. Aber er bleibt zuversichtlich. „Diese Jobs sind attraktiv, weil die Löhne wesentlich anziehen. Wir schätzen, dass die Einstiegsgehälter um mindestens 5000 Pfund zugelegt haben, vom bisherigen Niveau von 25.000 Pfund.“ Mehr Sorgen machen sich die zahlreichen Verarbeiter von Lebensmitteln. Wegen des Mangels an Personal würden Unternehmen darüber nachdenken, einen Teil ihrer Produktion zu verlagern, sagte Andrew Opie vom Branchenverband British Retail Consortium vergangene Woche vor einem Handelsausschuss des Parlaments. Trotz aller Anstrengungen der Betriebe gelinge es nicht, genug Einheimische anzuheuern. „Wir sind am Kämpfen“, sagte er. Auch die Schwierigkeiten beim Außenhandel würden Firmen dazu bewegen, über Produktion in der EU nachzudenken, um den Markt einfacher bedienen zu können. Auf eine rasche Lösung können die Unternehmen nicht hoffen. Erst Ende August hatte sich Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng gegen eine zeitweise Lockerung der Zuwanderungsregeln ausgesprochen. Ausländische Arbeitskräfte würden nur eine „kurzfristige Übergangslösung“ darstellen.