Thursday, September 26, 2024
„Was die grün geführte Regierung fabriziert, gleicht fast Sterbehilfe für Automobil-Industrie“
WELT
„Was die grün geführte Regierung fabriziert, gleicht fast Sterbehilfe für Automobil-Industrie“
Artikel von Hannelore Crolly • 10 Std. • 6 Minuten Lesezeit
Für die grün-schwarze Regierung im Autoland Baden-Württemberg steht fest: Wer jetzt nicht auf „Transformation“ zur E-Mobilität setzt, werde „untergehen“. Doch das Interesse der Kunden ist verhalten, bei Autobauern geht die Angst um. Rufe nach einem Kursschwenk beim geplanten Verbrenner-Aus werden laut.
Die Liebe der Schwaben und Badener zum Auto ist ungebrochen – kein Wunder, schließlich ist Baden-Württemberg ja das Geburtsland des Automobils. Anfang des Jahres waren im Ländle gut 6,9 Millionen Personenkraftwagen zugelassen, mehr als je zuvor. Auch die Gesamtzahl aller Fahrzeuge, also Lastwagen, Busse, Traktoren oder Motorräder eingerechnet, erreichte mit knapp 8,6 Millionen einen neuen Rekord.
Doch was sich unter der Motorhaube abspielt, ist auch dort, wo rund ein Drittel der teils höchst innovativen Unternehmen der deutschen Automobilindustrie ansässig sind, weiterhin konventionell. Ausschließlich mit Strom fahren lediglich 3,4 Prozent aller Pkw in Baden-Württemberg. Hinzu kommen 6,7 Prozent Hybride, doch auch für diese Antriebsart waren die Erwartungen eigentlich höher. Selbst in urban und studentisch geprägten Gebieten wie Heidelberg oder Freiburg blieb der erhoffte Schub bisher aus, auch wenn der Anteil an Elektrofahrzeugen dort etwas schneller steigt. Selbst in fortschrittlicheren Regionen zögern die Fahrer also noch, vollständig auf alternative Antriebe umzusteigen.
Die fehlende Begeisterung der Kundschaft fürs Elektroauto bereitet zwischen Mannheim und Friedrichshafen große Sorgen, zumal von andernorts – derzeit vor allem aus Niedersachsen – kaum ermunternden Nachrichten kommen. Die Angst um Arbeitsplätze geht im Ländle um, wo nicht nur Mercedes und Porsche ihren Hauptsitz haben, sondern mit Bosch auch der weltgrößte Automobilzulieferer. Neben weiteren weltweit agierenden Systemlieferanten produzieren zudem 1000 kleine und mittelständische Zulieferunternehmen für die Auto-Branche.
Viele richten sich derzeit, wenn auch in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß, auf die Elektromobilität ein. Doch Kritiker sehen immense Risiken in der Transformation und fordern ein rasches Umsteuern von der Politik.
„Drohende Entlassungen und Werkschließungen bei Automobilherstellern und Zulieferern zeigen: Was die grün geführte Landesregierung fabriziert, gleicht fast schon aktiver Sterbehilfe für unsere Automobilindustrie“, schimpft der Verkehrsexperte und liberale Landtagsabgeordnete Friedrich Haag. „Klimaschutz funktioniert nur gemeinsam mit den Menschen und der Industrie, nicht gegen sie, und das auch nur global.“ Der alleinige Fokus auf elektrische Antriebe sei ein grüner Wunschtraum, der mit der Realität der Wirtschaft und Kundenwünsche nichts zu tun habe.
Bei einer Landtagsdebatte, die auf Antrag der AfD im Plenum angesetzt war, forderte die FDP daher von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), sich in Brüssel für einen Abschied von den „völlig verfehlten Vorgaben zum Verbrenner-Verbot und Flottengrenzwerten“ einzusetzen.
Auch die CDU, Koalitionspartner der Grünen in der Landesregierung, verlangte ein Umsteuern. „Ohne den Verbrenner gibt es keine Elektromobilität“, sagte Fraktions-Vize Thomas Dörflinger. „Die Gewinne, die heute mit Verbrennern erwirtschaftet werden, sind entscheidend, um die Investitionen in neue Technologien wie Elektroautos und Ladeinfrastruktur zu finanzieren.“ Daher seien flexiblere Fristen für die CO₂-Flottenziele notwendig, wie sie auch die USA und China hätten.
FDP warnt, dass China in die Verbrennerlücke stößt
Vor wenigen Tagen hatten Vertreter der Auto-Branche bei einem Gespräch mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ähnliche Wünsche formuliert. Der Minister sagte daraufhin bei den Flottengrenzwerten, also Vorgaben zum CO₂-Ausstoß der Fahrzeuge eines Herstellers, Unterstützung auf EU-Ebene zu. Diese Grenzwerte, die schrittweise verschärft werden sollen, werden nach derzeitigem Plan 2026 einer Revision unterzogen. Die Hersteller-Runde habe sich gewünscht, sich dafür einzusetzen, dass das schon im kommenden Jahr passiere.
„Dem will ich gerne folgen“, sagte Habeck nach dem digital geführten Gespräch. Der Grünen-Politiker dämpfte zugleich die Erwartungen: Es handele sich dabei nun einmal ein europäisches Vorhaben – und viele andere EU-Mitglieder hätten nicht dieselben Herausforderungen wie Deutschland.
Ab 2035 sollen in der EU keine Neuwagen mehr zugelassen werden, die CO₂ ausstoßen. Dass nun immer hitziger darüber debattiert wird, ob das Verbrenner-Aus bleibt, erregt den Unmut des baden-württembergischen Regierungschefs Kretschmann. Die Diskussion über eine Rückabwicklung der EU-Pläne habe „einen erheblichen Kollateralschaden“, betonte der Ministerpräsident vor Kurzem. „Das führt zur Verunsicherung der Leute, zur Verunsicherung der Unternehmen, die da investieren, und mindert deren Planungssicherheit“, so Kretschmann. Er habe auch mit vielen Chefs von Automobilkonzernen und Zulieferern darüber gesprochen. „Die waren nicht erfreut.“
Doch die FDP hält es für brandgefährlich, angesichts des dramatisch verschärften Wettbewerbs vor allem mit China „Milliardensummen aus unserer Fahrzeugindustrie abzugreifen“, wie der liberale Landtagsabgeordnete Haag sagte. „Jeder einzelne Euro fehlt dann für Zukunftsinvestitionen. Das gefährdet Wohlstand und Arbeitsplätze und stärkt extremistische Parteien.“ Die Gefahr sei groß, dass China in die europäische Verbrenner-Lücke vorstoße, denn dort würden weiter Zünder verkauft, während die Stuttgarter Landesregierung versuche, die Zukunft des Autos rein elektrisch zu gestalten.
Regierung Kretschmann hält Umstellung für „zwingend“
Die AfD hatte schon im vergangenen Jahr in einer Großen Anfrage von der Landesregierung wissen wollen, wie sie die Herausforderungen der Transformation zu meistern gedenke – und mit welchen Folgen sie rechne. In fast zwei Dutzend Fragen hatte die Partei unter anderem Auskunft darüber verlangt, wie viele Arbeitsplätze voraussichtlich bis 2035 verloren gingen. Und ob das angestrebte Verbot von Verbrenner-Zulassungen aus Sicht der Regierung zu einer Senkung des Wohlstands und zu sozialen Verwerfungen führen werde. Auch ob es für Parkhäuser E-Auto-Verbote oder größere Umbauten geben werde, um zu befürchtende Brände zu verhindern oder schnell löschen zu können, wollte die AfD wissen.
Für die Landesregierung hatte das Verkehrsministerium unter Leitung von Winfried Hermann (Grüne) ausführlich geantwortet. Dieser ließ weder in seinem Schriftsatz noch bei der Landtagsdebatte keinen Zweifel daran, dass er die Transformation „hin zu einer nachhaltigen und intelligenten Mobilität“ für alternativlos hält.
Für alle Akteure gebe es große Herausforderungen bis hin zum Umbau der gesamten Wertschöpfungskette, heißt es in dem Papier aus seinem Haus. Das Produkt Auto müsse daher ebenso wie seine Entwicklung, Produktion oder sein Vertrieb „konsequent hinterfragt und angepasst werden“. Das biete aber auch große Chancen, beispielsweise könnten sich neue Geschäftsmodelle etablieren. „Die größte Herausforderung liegt nicht allein in der Einführung neuer Technologien, Produkte und Services, sondern in der zeitlichen Parallelität der Veränderungsanforderungen sowie der Vielschichtigkeit und Dynamik des Transformationsprozesses“, so Hermann.
Voraussichtlich werde es daher zu einem „moderaten Rückgang des Beschäftigungspotenzials“ kommen, das aber auf dem Niveau des demografischen Wandels liege. Dramatischer allerdings könnten die Auswirkungen für das Kfz-Gewerbe sein, in dem allein in Baden-Württemberg 80.000 Menschen beschäftigt seien. Möglich sei bis 2040 ein kumulierter Wegfall von bis zu 47 Prozent der „Beschäftigungsumfänge“ im Kfz-Gewerbe gegenüber heute. Dafür könnten aber „in anderen Bereichen“ Arbeitsplätze entstehen.
Insgesamt sei die Automobilwirtschaft „umfangreich im Transformationsprozess angekommen“, die Unternehmen im Land „für eine sinkende Nachfrage nach Verbrennungsmotoren gut aufgestellt“. Bisherige Studien und Simulationen würden daher allenfalls „moderate Auswirkungen“ auf den Automobilstandort haben, auch was die sozialen Folgen betreffe. Auf die Frage, ob sie einen rückläufigen Individualverkehr erwarte, weil sich Menschen künftig kein Auto mehr leisten könnten, lautet die Antwort: „Mobilität bedeutet Teilhabe. Deshalb investiert das Land in den Ausbau von Rad- und Fußwegen sowie den weiteren Ausbau des ÖPNV.“
Außerdem würden Elektroautos in den kommenden Jahren bestimmt erschwinglicher. Einen Bann von Stecker-Autos in Parkhäusern hält die Landesregierung auch nicht für notwendig: Es gebe keinen Hinweis darauf, dass E-Fahrzeuge häufiger in Brand gerieten als Verbrenner. Zudem könnten solche Brände mit Wasser hinreichend bekämpft werden.
„Wer die Veränderung nicht mitmachen kann, wird tendenziell untergehen“, mahnte der Verkehrsminister im Landtag. „Die Abkehr von alten Technologien ist zwingend. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass das viele noch nicht erkennen können.“ Hermann forderte daher eine „klimafreundliche Transformation“ der Besteuerung von Diesel-Fahrzeugen und Dienstwagen. Auch die Pendlerpauschale müsse neu ausgestaltet werden. „Wir brauchen ein Bonus-Malus-System mit Vorteilen für alle, die einen klimafreundlichen Antrieb haben, und mehr Zahlungen für alle, die den Klimaschutz schädigen.“ Das sei ein selbstfinanzierter Kreislauf. „Die Politik sollte an den Klimazielen festhalten. Sie wurden bewusst gesetzt. Und es gibt keine Alternative, wie wir diese Ziele erreichen können.“
Politikredakteurin Hannelore Crolly ist bei WELT zuständig für landespolitische Themen, vor allem in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Zuvor war sie Wirtschaftskorrespondentin in Frankfurt, San Francisco und Brüssel.