Saturday, September 28, 2024

Sven Regener von Element of Crime im Interview: Auf Berlin kann man sich kein Ei backen

Berliner Zeitung Sven Regener von Element of Crime im Interview: Auf Berlin kann man sich kein Ei backen Artikel von Timo Feldhaus • 6 Std. • 6 Minuten Lesezeit Sven Regner: „Man ist versucht, die Vergangenheit zu verklären und zu verbittern.“ Sven Regener, Frontmann und Sänger, Trompeter und Bestsellerautor, 61 Jahre alt, ein Mann mit Humor, ein Original. Jeder kennt ihn, er gehört zu den beliebtesten Berlinern, weil er das hiesige Lebensgefühl so genau auf den Punkt bringt. In seinen Liedern, als Autor der „Herr Lehmann“-Romane. Eine einzige Frage habe ich aktuell an diesen vor mir sitzenden Sven Regener, in seinem schwarzen Hemd, mit seiner schwarzen Brille, dahinter die Augen, die ganz schön viel zu verstehen scheinen. Es ist eine sehr wichtige Frage. Aber ich kann sie nicht sofort stellen, nicht gleich zu Beginn. Fangen wir also anders an. Nun wird es wieder dunkel und kalt in Berlin, und wenn man abends in der U-Bahn sitzt oder der Wind in den Straßenschluchten den Bewohnern an den von Tag zu Tag länger werdenden Mänteln reißt, dann sieht man die Angst vor den langen und einsamen Herbst- und Wintermonaten schon in den Augenwinkeln der Menschen blitzen. Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin, dann tut etwas Trost ganz gut, und viele werden wieder zu ihren Lieblingsliedern und der Melancholikersupergroup Element of Crime greifen, die in ihrer Melange aus düsteren Balladen, Chansons und Avantgardeklängen eine in Deutschland wohl einmalige Trostspendemusik machen. Und das seit sagenhaften 40 Jahren. „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“, so heißt ein Song von ihnen, und so heißt auch der Film, der nun zum Geburtstag in die Kinos kommt. Halb Konzertfilm, halb Porträt der Band, der bekannte Schauspieler und Regisseur Charly Hübner hat ihn gedreht, und ein Kollege meinte, ich möchte Hübner doch mal fragen, wo das hinführen soll, wenn er nach der Ost-Punkband Feine Sahne Fischfilet nun die lyrischen Softies aus West-Berlin dokumentiert. Ja, wo soll das alles hinführen. Auch darum soll es hier gehen. Sven Regener ist, wie jeder richtige Superstar, im echten Leben kleiner, als man ihn kennt. Man mag ihn nichts über den Film fragen, den Film muss man ja sehen. Er lohnt sich; warum, das würde ich Ihnen allerdings auch lieber etwas später erzählen. Wenn man so einen Berlinversteher vor sich hat, dann wäre es ja klug, wenn er einem erklärt: Was ist hier eigentlich los? Wie ist aktuell die Lage? Also: Herr Regener, der Film beginnt damit, wie Sie auf der Bühne stehen und erzählen, dass Sie jahrelang Ihren Wohnort Berlin verleugnet haben, weil sich niemand für Berlin interessiert hat. Ja. Aber wenn man sich die Songs anhört, die wir damals geschrieben haben, haben die doch sehr viel mit dem Leben in Berlin zu tun, sei es im West-Berlin der 80er oder auch in den 90er-Jahren. Wobei ich sagen muss, dass in den 80ern in West-Berlin Ost-Berlin auf eine ganz seltsame Weise immer präsent war. Wie das alles da war, war nicht denkbar ohne die Mauer. Sie bedeutete, dahinter ist noch mal eine andere Welt, der Rest der Stadt. Das spielte ständig zusammen. Regener erzählt vom damaligen Schöneberg, der künstlerischen Boheme und „diesem gärenden Humus, in dem so eine Band entstehen konnte. Denn ich glaube, dass man so eine Band nicht trennen kann von der Zeit und dem Ort, wo sie entstanden ist“. Er selbst ist gebürtiger Bremer (Megasong: „Delmenhorst“), lernte am Konservatorium Gitarre spielen, wurde mit 15 Kommunist. Dann spielte er krachigen No-Jazz – in den historischen Filmbildern glüht das 80er-Jahre-West-Berlin so verworren und düster, wie man es sich vorstellt. Bis sie alle endlich ready für Liebeslieder waren. Seit Jahrzehnten wohnt Regener in Prenzlauer Berg. Jetzt aber direkt mal eine wirklich sehr ernst gemeinte Frage, Herr Regener: War früher alles besser? Nein. Warum sollte alles besser gewesen sein? Das war ja auch eine furchtbare Zeit. Man darf nicht vergessen, dass in West-Berlin eine starke gesellschaftliche Spaltung herrschte zwischen den Leuten, die zugezogen waren, wie ich, und den Leuten, die die Teilung der Stadt erlebt und darunter wirklich gelitten haben. Berlin war eine Stadt, die gigantische Schmerzen erlitt. Und gleichzeitig haben wir daraus eine große Abenteuer- und Spielwiese gemacht, was natürlich toll war. Und wir haben letztendlich diesen ganzen Schmerz auch ignoriert und geleugnet, und zwar mit einer ungeheuren Kälte. Erst mit dem Mauerfall hat sich sehr viel verändert und auch verbessert. Wobei für viele das Leben dadurch sicherlich auch schwieriger wurde. Weil es bestimmte Freiräume im Laufe der Jahrzehnte dann nicht mehr so gab. Aber das ist ein Thema für einen eigenen Film. Heute leben Sie gerne in der Stadt? Viele meckern die ganze Zeit. Ich lebe seit über 40 Jahren in dieser Stadt und will in keiner anderen leben. Manche Leute machen ein Geschiss darum, dass sie geborene Berliner sind. Ich habe das nie verstanden. Ich bin ja freiwillig hergezogen, weil ich das gut fand. Ich wollte in einer richtig großen Stadt leben. Und natürlich ist Berlin die einzige richtig große Stadt in Deutschland. Ist nun mal so. Deutlich größer als alle anderen, und das Lebensgefühl ist entsprechend anders. Das muss man nicht idealisieren, man kann sich auch kein Ei darauf backen, dass man hier wohnt. Aber ich wollte immer in so einer Stadt wohnen, und deshalb wohne ich hier gerne.“ Aber die Mieten zum Beispiel waren in den vergangenen 40 Jahren eigentlich immer geringer als heute. Das ist eben die andere Seite. Dass eine Stadt, die auf diese Weise auch wieder gesund wird, also dieses Trauma abstreift und die Baulücken schließt, dabei auch zum Gegenstand großer internationaler Spekulation und Investitionen werden kann. Aber das ist nichts, was von Gott gewollt ist. Man kann was dagegen tun, wenn man will. Wir als Künstler haben allerdings andere Aufgaben. Wir beschäftigen uns damit, was mit dem Einzelnen passiert, wie der Einzelne mit seinem Leben klarkommt, wie man überhaupt als Mensch mit seiner Existenz klarkommt. Dazu gehört auch das Spannungsverhältnis des Einzelnen zu der Gesellschaft, die ihn umgibt. Und Liebeslieder. Und alles andere und überhaupt. Das ist viel Stoff für viele Songs. Ich versuche Sven Regener dann zu erklären, warum der Film mich in so eine gute Stimmung versetzt hat. Aber so einfach ist das gar nicht. Ich musste etwa an „Liebling Kreuzberg“ oder diesen Song „Ich mag“ von Volker Lechtenbrink denken. An abgegriffene dtv-Taschenbuchausgaben mit den gemalten Covern von Celestino Piatti, oder an den Moment, wenn man plötzlich im Nachtprogramm auf eine Sendung von Alexander Kluge stieß, an die Stille, wenn die Kassette im Kassettendeck vorbei war, oder als man noch vor der Amerika-Gedenkbibliothek am Hallesches Tor neben den armen Schluckern und Tunichtguten herumsaß. Es geht um so eine Selbstverständlichkeit, so ein Gefühl zum Anderen, dass es bei all dem Scheiß und Streit einen gemeinsamen Boden gibt, auf dem man herumläuft. Und etwas davon ist in dieser Musik, im Ton der Trompete und in der Märchenonkelerzählstimme von Charly Hübner. Der Film versprüht so eine Art konstruktive Melancholie. So geht das seit 40 Jahren: Element of Crime live. Und jetzt wollte ich gerne noch diese Frage stellen, die ich die ganze Zeit im Kopf habe. Und zwar: Wie bleibt man ein cooler Typ? Denn viele Ihrer Kollegen, viele ältere Rocker und überhaupt viele Leute, die eigentlich schlau sind, fangen in diesen fiebrigen Zeiten ja an, komische Sachen zu erzählen. Also die Frage wäre eigentlich wirklich: Wie geht das, wie wird man kein Blödmann? Das ist eine sehr gute Frage. Ich gehöre einer geburtenstarken Generation an, und nun stellen wir plötzlich fest, dass wir in ein Alter gekommen sind, wo es schwer wird. Der Tod naht. Die Eltern sterben oder sind Pflegefälle. Die ersten Zipperlein kommen, die ersten Freunde sind gestorben. Das ist eine sehr schwierige Sache. Dazu ist man versucht, die Vergangenheit zu verklären, man ist versucht, zu verbittern. Was sich als Herausforderung herausstellt, wird plötzlich als Zumutung empfunden. Ein gutes Beispiel ist diese Covid-19-Geschichte. Bei allem, was da politisch falsch gemacht wurde: So durchzudrehen wie diese Impfgegner und sonstigen Schwurbler, ist nur durch komplette Verbitterung zu erklären und dadurch, dass sie jeden Maßstab total verloren haben. Natürlich kann man sagen: „Ich lass’ mich nicht impfen und gut ist.“ Aber völlig durchzudrehen und gleich der ganze Staat und Bill Gates und die Echsenmenschen … – das zeigt ja eigentlich, dass man in der Lebenssituation, in der man sich gerade befindet, nicht klarkommt. Und da muss man aufpassen. Was kann man tun? Ich glaube, das Wichtigste ist, nicht davon auszugehen, dass man selbst immer der Nabel der Welt ist. Weil man natürlich auch feststellt: In unserem Alter kommen andere Probleme dazu, dass zum Beispiel einfach neue Generationen nachwachsen, die auf das scheißen, was wir erzählen und denen unsere Erfahrungen völlig Wurscht sind. Unsere ganze Schlaumeierei können wir uns einfach in die Haare schmieren. Aber das ist gar nicht weiter schlimm! Das ist der ganz normale Lauf der Zeit, wir waren ja mal genauso. Ob einen das cool macht, so zu denken, weiß ich nicht. Aber ich glaube, es ist keine gute Idee, bei jeder Zumutung gleich durchzudrehen.