Sunday, September 1, 2024

Landtagswahlen im Osten: Auswirkungen auf die ganze Republik

Frankfurter Allgemeine Zeitung Landtagswahlen im Osten: Auswirkungen auf die ganze Republik Artikel von Eckart Lohse • 56 Mio. • 4 Minuten Lesezeit Wenn der Wahlsonntag für die im Bund regierenden drei Parteien SPD, Grüne und FDP überhaupt eine gute Seite hat, dann ist das die Vorhersehbarkeit. Ihre Ergebnisse in Sachsen und Thüringen werden den Umfragen zufolge zusammengenommen bei nur wenig mehr als zehn Prozent liegen. Schneiden Parteien, die in Berlin regieren, bei Landtagswahlen schlecht ab, weisen sie gerne auf die landesspezifischen Umstände hin. Sicher sind Sachsen und Thüringen nicht mit dem Bund gleichzusetzen. Doch die Ampel führt ihre Zerstrittenheit und Hilflosigkeit derart konsequent vor, dass die zu erwartenden Ergebnisse in den beiden Ostländern zumindest teilweise als Reaktion auf knapp drei Jahre Regierung Scholz angesehen werden müssen. Sollte mancher Wähler am Sonntag neben inhaltlichen Motiven die Lust verspüren, es „denen da oben in Berlin“ mal zu zeigen, so bietet die Ampel eine breite Angriffsfläche. Drei Tage vor den Wahlen legte sie als Reaktion auf den islamistisch motivierten Anschlag in Solingen einen Maßnahmenkatalog zur Mi­grations- und Sicherheitspolitik vor, in dem zwar viel von Messern die Rede ist, aber nicht davon, wie die Zahl der möglicherweise mit diesen Messern Mordenden verringert werden kann. Das dürfte die Zustimmung zur Ampel in Sachsen und Thüringen kaum erhöhen. Ein Abschiebeflug nach Afghanistan zwei Tage vor der Wahl dürfte kaum zu einer grundsätzlichen Wende führen. Ebnen die Wahlen Friedrich Merz den Weg zur Kanzlerkandidatur? Landtagswahlen können Entscheidungen über Kanzlerkandidaturen erheblich beeinflussen. Der Sozialdemokrat und spätere Kanzler Gerhard Schröder machte sein Abschneiden bei der niedersächsischen Landtagswahl zum Maßstab, ob er im Herbst 1998 als Kanzlerkandidat antreten würde. Mit Erfolg. Für die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer wurde die vorige Wahl in Thüringen dagegen zum letzten Sargnagel ihrer Kanzlerinnenambitionen, weil sie die Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten mithilfe von AfD-Stimmen nicht verhinderte. Merz hat sich Ende Februar festgelegt, erst nach den drei Wahlen in Ostdeutschland (also auch der am 22. September in Brandenburg) die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur der Union zu treffen, weil die Landtagswahlen sonst „zu sehr zu einer vorgezogenen Bundestagswahl“ würden, wie er der F.A.Z. sagte. Die Fehler Kramp-Karrenbauers wird Merz nicht wiederholen. Sollten die CDU-Ergebnisse in Sachsen und Thüringen trotz einer starken AfD und eines starken BSW einigermaßen gut sein, gar ein oder zwei von der CDU geführte Regierungen entstehen, ist Merz noch nicht automatisch Kanzlerkandidat – seine Chancen wären dann aber gewachsen. Die AfD ist längst zu einer festen Größe im Parteiensystem geworden. Mindestens in Thüringen hat sie gute Aussichten, das beste Ergebnis einzufahren, in Sachsen droht sie laut Umfragen der CDU den ersten Platz zu nehmen. Einerseits festigt das auch die Position der Partei auf der Bundesebene. Die 2013 gegründete Alternative für Deutschland sitzt seit 2017 mit einer großen Fraktion im Bundestag. Andererseits könnten der Ausgang der Wahlen in den beiden Ostländern und die anschließenden Regierungsbildungen eine Erkenntnis verfestigen, die es seit dem Einzug der AfD in Landtage und in den Bundestag gibt: Die Wähler stellen fest, dass ihre Stimme nicht dazu beiträgt, die AfD in eine Regierung zu bringen. Ob das in den Ländern, vor allem in den ostdeutschen, am Ende die AfD stärkt, weil ihre Anhänger so lange für sie stimmen, bis schließlich keine Mehrheit mehr gegen sie gebildet werden kann, oder ob es die Unterstützung für die AfD irgendwann geringer werden lässt, ist offen. Wird sich das BSW als politische Kraft etablieren? Wie es mit der AfD nicht nur in den Ländern, sondern vor allem im Bund weitergeht, hat viel damit zu tun, ob sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nach seinem schnellen Aufstieg als feste politische Größe erweist oder als vorübergehendes Phänomen. Der Unterbau, den jede Partei vor allem personell braucht, ist bundesweit schwach. Sind bei der AfD vier Jahre vergangen von der Gründung bis zum Einzug in den Bundestag, so könnte es beim BSW noch viel schneller gehen. Die erst zu Beginn dieses Jahres zur Partei gewordene Eine-Frau-Veranstaltung hat ausweislich der Umfragen gute Aussichten, im Herbst kommenden Jahres bei der Bundestagswahl die Fünfprozenthürde zu überspringen und damit die Voraussetzungen für die Gründung einer Fraktion zu erfüllen. Die Wahlen in Thüringen und Sachsen könnten diesen Prozess beschleunigen. Gut möglich, dass das BSW zur Regierungsbildung gebraucht wird, um zu verhindern, dass die AfD an die Macht kommt. Im Bund wird das allerdings nicht so bald der Fall sein. War es das für die Linkspartei? Wie schwierig die Entwicklung des Parteiensystems mittlerweile vorherzusagen ist, zeigt sich besonders deutlich an der Linkspartei. In ­Thüringen hatte sie es geschafft, ihren einzigen Regierungschef überhaupt zu stellen. Bodo Ramelow hat sich unauffällig in die Reihe der Ministerpräsidenten eingegliedert. Nun wird es damit nach der Landtagswahl vorbei sein, die Linkspartei wird laut Umfragen zwar wieder in den Landtag einziehen, aber deutlich zu schwach sein, um Anspruch auf das ­Ministerpräsidentenamt zu erheben. Das und das zu erwartende miserable Abschneiden in Sachsen werden die bundespolitische Talfahrt nicht nur nicht aufhalten, sondern vielleicht noch beschleunigen – falls das überhaupt möglich ist. Nur weil das Bundesverfassungsgericht das Vorhaben der Ampel gekippt hat, die Regel abzuschaffen, dass drei Direktmandate reichen, um in den Bundestag einzuziehen, hat die Linkspartei eine Chance, dort auch in der nächsten Legislaturperiode zu sitzen.