Thursday, September 26, 2024
Grüne verlieren Rückhalt: Warum Baerbock und Co. nicht mehr überzeugen
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Grüne verlieren Rückhalt: Warum Baerbock und Co. nicht mehr überzeugen
Artikel von Christoph Schwennicke • 49 Mio. • 5 Minuten Lesezeit
Ende einer Ära
Der Fall nach dem Hochmut
Mehr als ein Jahrzehnt wurden die Grünen vom Zeitgeist verhätschelt. Sie und ihre Anhänger waren automatisch auf der richtigen Seite und dem richtigen Trip. Mit einem Schlag ist das vorbei. Warum?
Kinder, die Zeit vergeht, a-t-e-m-beraubend! 13 Jahre ist das nun schon wieder her, dass wir beim "Spiegel", ein gutes halbes Dutzend an Autorinnen und Autoren, den Grünen zum 30-jährigen Bestehen eine Geburtstagstorte gebacken haben. Wir trafen uns mit einem Urvieh namens Lukas Beckmann, der im Wahlkampf zur Europawahl 1979 Petra Kelly, Joseph Beuys und Rudi Dutschke in seinem alten Peugeot 504 Siebensitzer tagein tagaus durch die Gegend geschippert hatte – keine richtigen Plakate im Kofferraum, aber heiße Herzen in der Brust. Wir sprachen mit allen Aktiven, die wir zu fassen bekamen. Die damaligen Vorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin belebten das Cover, auf dem in sozialistisch-christlicher Strahlen-Ästhetik Grün als "Die neue Volkspartei" ausgerufen wurde.
Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die Süddeutsche Zeitung, den Spiegel und das Politmagazin Cicero, dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!".
Im Portal des Textes, dort, wo Leserinnen und Lesern nach "Spiegel"-Manier gesagt bekommen, weshalb sie diese viele Seiten lange Story lesen müssen, wurde aufgelistet, wo die Grünen schon überall Schlüsselpositionen besetzt hielten, dass hinter einer alternden Gründergeneration und der amtierenden Spitze bereits neues Führungspersonal für die Zukunft nachgewachsen sei. Wer, so krönten wir die Sahnetorte mit einer dicken Cocktailkirsche, "will wirklich ausschließen, dass sie in naher Zukunft den Kanzler stellen, mit der SPD als Juniorpartner?"
Die Geschichte und ihr Plot waren nicht falsch seinerzeit. Die Grünen haben sich in den vergangenen 20 Jahren als die treibende politische Kraft erwiesen. Sie hatten die Hegemonie über die Themen und die Frage, wie man diese zu betrachten habe. Eine CDU-Kanzlerin machte von Atom bis Migration lupenreine grüne Politik, sogar, ohne dass die Grünen als Koalitionspartner unmittelbar Einfluss darauf gehabt hätten. Und selbst der abstoßende AfD-Kampfbegriff "linksgrün-versifft" ist bei zweimaligem Nachdenken ein Kompliment für die Wirkkraft dieses politischen Gegners.
Immer auf der richtigen Seite
Die Attraktivität der Grünen, befand damals der Text im "Spiegel", liege nicht so sehr in ihrem Programm. "Die Anziehungskraft der Grünen besteht in ihrer besonderen Fähigkeit, den Anhängern den Eindruck zu vermitteln, auf der richtigen Seite zu stehen. Sie sind eine Partei zum Wohlfühlen, wer sich zu ihnen bekennt, darf sich moralisch aufgewertet sehen." Tatsächlich konnte man noch im Frühsommer des Wahljahres 2021 als politischer Analyst Aufmerksamkeit erregen, wenn man infrage stellte, dass Annalena Baerbock Bundeskanzlerin werden würde. Für die meisten stand das fest.
Und jetzt? Mit einem Schlag ist alles anders. Grün ist out. Sie taumeln von Wahlniederlage zu Wahlniederlage, ja, okay, im Osten, der war immer eine harte Krume für sie. Aber das ist nur das Extrem. Sie erodieren überall. Ihre Hegemonie ist gebrochen. Der Wind der Zeit weht nicht mehr in ihre Segel. Selbst und gerade die Jungen, die bislang geradezu grün gechipt ins Wahlalter kamen und ihr Kreuz bei den Grünen machten, haben sich von den Grünen abgewandt. Sie wählen das glatte Gegenteil, AfD. Das muss die Partei alarmieren: Mit einem Schlag dörrt die grüne Sonnenblume von den Wurzeln her wie derzeit auf den Feldern im Herbst. Robert Habeck ist Vizekanzler und darf die Krone des Kanzlerkandidaten in die Bundestagswahl tragen, aber sie ist heute aus Dornen und nicht mehr aus Lorbeer wie bei Baerbock.
Was ist passiert? Zwei Erklärungsangebote, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Zum einen haben die jungen Menschen, Erst- und Zweitwähler, das Gefühl, dass ihnen die Grünen ein Soziotop beschert haben, in dem sie es schwer haben werden: Die Renten der Boomer bezahlen und die Lasten der Migration und deren Kosten obendrein zu tragen. Das Land, auf das sich Katrin Göring-Eckardt so gefreut hat, ist im jähen Abschwung und für sie zur Bürde geworden, und nicht mehr Verheißung.
Die Jugend bricht weg
Ihnen ist das Hemd schlicht näher als die Hose. Dieses Thema ist noch brennender als der Klimawandel. Wer hat zuletzt etwas von Luisa Neubauer oder Greta Thunberg gehört oder gelesen? Der Klimawandel und seine furchtbaren Folgen sind nicht weg, im Gegenteil, Sturzfluten, seinerzeit im Ahrtal scheinbar einzigartig, gehören diesen Herbst zur schlimmen Tagesordnung. Aber die Agenda ist anders gesetzt. Und man muss das so sagen: Die neuen treibenden Kräfte des Agendasettings heißen AfD und BSW. Auch und gerade bei den Jungen.
Der zweite Grund lässt sich gut von Greta Thunberg ableiten. Die Grünen haben es übertrieben, wie die junge Klimaaktivistin auch. Mit jener moralischen Hybris ihrer Klientel, die sie lange getragen und vermeintlich unverwundbar gemacht hatte, ging sie als Regierende ans Werk. Mit dem heißen Herzen, das sie schon im klapprigen Peugeot in ihrer Brust hatten.
Das ist erst mal sympathisch: Leidenschaft und Überzeugtheit vom eigenen Denken und Handeln. Aber Regieren geht anders. Regieren ist das Gegenteil von glühendem Aktionismus bis Aktivismus. Regieren heißt immer: Maß und Mitte finden. Das ist den Grünen in der Ampel nicht gelungen. Und ihre oft hochfahrende Überzeugtheit von sich selbst hat draußen im Land immer weniger überzeugt, ja, einen regelrechten Widerwillen aufgebaut.
Rot-Grün hatte übrigens 1999 ebenso ungestüm begonnen wie die Ampel. Ein erstes fürchterliches Jahr dauerte dieser Zustand. Bis der Kanzler mit seiner Forderung "Mehr Fischer und weniger Trittin" die grünen Flausen eindämmte und die Koalition in ein ruhigeres Wasser führte. (Die Flucht von Oskar Lafontaine spielte, zugegeben, obendrein eine stabilisierende Rolle). Wer hier Koch und wer Kellner zu sein habe, hatte er schon vorher klar gezogen. Seinem Nachfolger ist das bis heute nicht so recht gelungen. Was wiederum nicht nur bei der FDP das Gefühl aufkommen lässt, dass das Grün in der Ampel etwas arg stark leuchtet. Und den Weg weist.
"Grün wirkt". So hatten die Bündnisgrünen ihren Wahlkampf vor drei Jahren apostrophiert. Der Claim war berechtigt. Heute, drei Jahre später, muss man ihn leicht umschreiben. Bis auf Weiteres hat Grün verwirkt.