Friday, December 8, 2023

Statt ein Machtwort zu sprechen, zeigt der Kanzler eklatante Führungsschwäche

WELT Statt ein Machtwort zu sprechen, zeigt der Kanzler eklatante Führungsschwäche Artikel von Johannes Wiedemann • 24 Min. Dieses Jahr wird der Bundeshaushalt 2024 nicht mehr beschlossen: Olaf Scholz (SPD) ist wochenlang nicht imstande, eine Grundsatzeinigung über Milliarden-Einsparungen herbeizuführen. In der größten Krise seiner Ampel fehlt dem Kanzler die Durchsetzungskraft. Das kann sich im nächsten Jahr rächen. Sogar auf internationalem Parkett wurde jüngst die Dringlichkeit der deutschen Haushaltskrise offenbar: Kanzler Olaf Scholz (SPD) reiste frühzeitig von der Weltklimakonferenz in Dubai zurück. Sein Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte seine Teilnahme kurzfristig ab. Denn ausgelöst vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts klafft ein 17-Milliarden-Euro-Loch im Bundeshaushalt für 2024 – und das Führungstrio der Ampel-Regierung, dem neben Scholz und Habeck Finanzminister Christian Lindner (FDP) angehört, muss es irgendwie stopfen. Aber wie? Sparen beim Bürgergeld etwa, das zum Jahresbeginn um zwölf Prozent steigen soll? Bei der geplanten Kindergrundsicherung, ein Milliardenprojekt der grünen Familienministerin? Bei Finanzhilfen für andere Länder? Oder doch bei den vielen Subventionen und Förderprogrammen des Bundes? Unklar – bislang konnten die drei keine grundsätzliche politische Einigung erreichen. Vertrauen in die Ampel auf Tiefststand Zwar stimmt, was Lindner sagt: Der Staat selbst bleibt auch ohne einen Haushaltsbeschluss im kommenden Jahr handlungsfähig – nach Artikel 111 des Grundgesetzes dürfen nötige Ausgaben weiterhin getätigt werden. Dazu zählen etwa die Finanzierung bereits beschlossener Bauvorhaben und die Auszahlung von Sozialleistungen. Aber das wird kaum den Eindruck ändern, der sich durch diese neuerliche Blamage jetzt bei vielen Bürgern verfestigt – und den etwa auch der aktuelle Deutschlandtrend spiegelt: Die Ampel kann es nicht. Das Vertrauen in die Regierung ist in der Erhebung auf einen neuen Tiefststand gesunken. Und die Beliebtheit des Kanzlers sackt auf den tiefsten je gemessenen Wert ab: Nur noch ein Fünftel der Bevölkerung ist mit ihm zufrieden. Zudem sagt jeweils nur eine kleine Minderheit, dass er seinem Amt gewachsen sei, das Land gut durch eine Krise führen könne oder „überzeugend“ kommuniziere. In der Tat zeigt der Regierungschef – dessen berühmter Ausspruch aus Hamburger Zeiten lautet: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“ – ausgerechnet in der schwersten Krise seines Bündnisses eine geradezu eklatante Führungsschwäche. Dies belegt auch sein Auftritt im Bundestag kürzlich: Bei seiner Regierungserklärung zur Haushaltskrise zeigte er keinerlei Selbstkritik, und es wurde schlichtweg nicht klar, ob er eine konkrete Lösung im Sinn hat. In jedem Fall wäre jetzt der Scholz gefragt, der den heftigen Streit zwischen Grünen und FDP über die AKW-Laufzeitverlängerung im Herbst 2022 mit einem Machtwort abräumte; Stichwort: Richtlinienkompetenz. Auch jetzt wäre es denkbar, dass der Kanzler mithilfe dieses Instruments seinen Koalitionspartnern die Linie vorgibt und nach mehr als drei Wochen Klarheit schafft, wo gespart werden soll. Doch ihm ist inzwischen die Durchsetzungskraft abhandengekommen. Stattdessen verhandeln Scholz, Habeck und Lindner weiter, wie aus einer SMS der parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD an ihre Fraktion hervorgeht. In der Nachricht, über die „Bild“ berichtete, wird zumindest ein nahes Ende des Schwebezustands angedeutet: „Olaf ist zuversichtlich, dass in den kommenden Tagen ein Ergebnis erzielt werden kann.“ Zuversicht wird der Kanzler so oder so auch im kommenden Jahr brauchen. Und das beileibe nicht nur, wenn es um den Haushalt 2025 geht, bei dem ähnlich große Auseinandersetzungen drohen wie bei dem für das kommende Jahr. Agieren die Ampel-Parteien weiterhin so uneins und richtungslos wie zuletzt, dürften die drei ostdeutschen Landtagswahlen im September ein noch schmerzhafterer Aufprall für sie werden, als sich bereits abzeichnet.