Tuesday, December 5, 2023
Putin spricht eindringliche Warnung aus - leidet Deutschland am meisten?
Merkur
Putin spricht eindringliche Warnung aus - leidet Deutschland am meisten?
Artikel von Marcus Giebel •
30 Min.
Rede vor Graf Lambsdorff
Wladimir Putin nutzt einen Auftritt vor neuen Botschaftern, um Deutschland ins Gewissen zu reden. Den Grund für die erkaltete Beziehung spart er aus.
Moskau – Wladimir Putin verbindet eine besondere Beziehung zu Deutschland. Während seiner Zeit beim russischen Geheimdienst war der heutige Kreml-Chef einige Jahre in Dresden stationiert. Seine jüngere Tochter wurde in der sächsischen Landeshauptstadt geboren. Er versteht und spricht die komplizierte Sprache.
Putin über Deutschland: „Eingefrorene staatliche Beziehungen für euch nicht vorteilhaft“
Vielleicht trifft es Putin deshalb besonders hart, dass sich Berlin den westlichen Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs angeschlossen hat. Bei einem offiziellen Termin, um rund zwei Dutzend neue ausländische Botschafter zu vereidigen, sprach der 71-Jährige jedenfalls ausführlich über das einst so enge Band zwischen beiden Ländern. Und redete Deutschland regelrecht ins Gewissen, ohne auf den blutigen Grund der Entzweiung einzugehen.
„Die aktuell eingefrorenen staatlichen Beziehungen zu Russland, die nicht von uns ausgingen, wie ich herausheben möchte, sind weder für uns noch für euch vorteilhaft. Meiner Meinung nach vor allem nicht für Deutschland“, wird Putin von der russischen Nachrichtenagentur TASS zitiert, die einen kurzen Videoausschnitt seines Auftritts auf ihrem Telegram-Kanal verbreitet.
Diese Aussagen werden in dem Bericht dahingehend interpretiert, dass Deutschland laut Putin unter der aktuellen Eiszeit am meisten zu leiden habe. Wörtlich titelt die Agentur: „Deutschland leidet am meisten“. Für eine Nachrichtenagentur ist das allerdings schon eine ungewöhnliche Zuspitzung einer politischen Aussage.
Putin über Beziehungen zu Deutschland: Von Zusammenarbeit hat ganz Europa profitiert
Tatsächlich musste die Ampel-Regierung Rohstoffe wie Öl und Gas auf die Schnelle teurer beschaffen und neue Partnerschaften knüpfen. Bislang ist in Deutschland die Versorgung sichergestellt – der Preis dafür ist aber nicht allein in Euro zu bemessen. Schließlich wirkt die Bundesrepublik innerlich so gespalten wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr, wobei die Haltung gegenüber Russland eine nicht zu unterschätzende Rolle zu spielen scheint.
Russlands Präsident erwähnte in seiner Rede, dass zwischen Moskau und Berlin respektive Bonn fast ein halbes Jahrhundert lang eine „pragmatische, sachliche Zusammenarbeit“ geherrscht habe. Davon hätten nicht nur die beiden Länder profitiert, sondern wohl auch der gesamte europäische Kontinent.
„Insbesondere Energie war schon immer ein attraktiver Bereich für bilaterale Zusammenarbeit“, verwies Putin auf eine der russischen Kernkompetenzen und hob die Vorteile für den einst besten Freund im Westen heraus: „Unser Land versorgt Deutschland seit Jahrzehnten zuverlässig, ohne Unterbrechung und zu bezahlbaren, angemessenen Preisen mit umweltfreundlichem Gas, Öl und anderen Energieprodukten und Rohstoffen.“
Putin und Nord Stream: Kreml-Chef erinnert an Explosionen an Gas-Pipelines
Diese Beziehung sei buchstäblich untergraben worden, „unter anderem durch Sabotage an Nord Stream“. Damit erinnerte Putin an die Explosionen in der Ostsee, die im September vergangenen Jahres drei der vier Stränge zur Gaslieferung zerstörten. Die Hintergründe sind noch immer nicht ganz aufgeklärt, eine Spur scheint aber in die Ukraine zu führen.
Offenbar versucht Putin mit der Erwähnung des mutmaßlichen Anschlags auf die Gas-Pipeline, einen der wichtigsten Unterstützer des von seiner Armee überfallenen Nachbarstaates gegen die Ukraine auszuspielen. Jedenfalls schmückte er die gemeinsame Vergangenheit zwischen Russland und Deutschland weiter in schönsten Farben aus.
Russland und Deutschland: Berlin und die gefährliche Abhängigkeit von Putin
„Russland, wie ich betonen möchte, hat sich immer dafür eingesetzt, die russisch-deutschen Beziehungen auf den Grundsätzen der Gleichheit, des gegenseitigen Nutzens und der Achtung der Interessen des anderen aufzubauen“, stellte er demnach noch einmal heraus. In welch gefährliche Abhängigkeit von russischen Lieferungen Deutschland dieser Schulterschluss führte, zeigte sich jedoch, als die Gaslieferungen infolge der westlichen Sanktionen stark gedrosselt wurden.
Moskau schob im Sommer 2022 Wartungsarbeiten an den Strängen vor, um die ausbleibenden Rohstoffe zu erklären. Das Vorgehen wirkte wie eine Farce, weil eine fehlende Turbine als Grund für die Nichtwiederaufnahme des Betriebs genannt wurde, Russland dem Bauteil jedoch die Einfuhr verweigerte.
Putins Ansprache an die Botschafter: Hoffnung auf Besserung der Zusammenarbeit mit Großbritannien & Co.
Laut der englischsprachigen Online-Zeitung The Moscow Times sagte Putin bei seinem Auftritt auch: „Es sind keine einfachen Zeiten.“ An den britischen Botschafter gewandt, erklärte er, seit Ende des Zweiten Weltkriegs hätten beide Länder Beziehungen aufgebaut: „Aber der aktuelle Stand der Dinge ist bekannt und wir sollten hoffen, dass sich die Situation – im Interesse beider Länder – zum Besseren wendet.“ Das Vereinigte Königreich gilt auch wegen der engen Beziehungen zu den USA als wichtigster europäischer Verbündeter der Ukraine.
In Richtung des schwedischen Botschafters ließ er fallen, die Kommunikation sei komplett zum Erliegen gekommen. Stockholm bemüht sich aufgrund der russischen Aggression um eine Aufnahme in die Nato.
Auch die Beziehungen mit Südkorea würden „leider durch eine schwere Phase“ gehen. Hier hatte Putin Seoul vor wenigen Wochen durch den Empfang von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-Un verärgert. Von diesem verspricht er sich offenbar Kriegsgerät, um seinen zerstörerischen Feldzug in der Ukraine in die Länge ziehen zu können.
Neuer deutscher Botschafter in Moskau ist seit einigen Monaten der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff, der in der deutschen Politik zu den schärfsten Putin-Kritikern gehört. Und das schon Jahre vor dem Ukraine-Krieg. Er wird die gehörten Worte also sehr genau einzuordnen wissen. (mg)