Tuesday, December 5, 2023
„Mikro-Management“ statt großer Wurf: Ampelspitzen verheddern sich bei Haushaltsberatungen
Tagesspiegel
„Mikro-Management“ statt großer Wurf: Ampelspitzen verheddern sich bei Haushaltsberatungen
Artikel von Daniel Friedrich Sturm, Valerie Höhne, Caspar Schwietering •
10 Std.
Die Ampelkoalition findet nicht aus der Krise. Keine Partei ist in den Haushaltsgesprächen kompromissbereit. Besonders Kanzler Olaf Scholz läuft nun die Zeit davon.
Das Ampel-Trio Scholz, Habeck, Lindner verheddert sich zunehmend in Details.
Am Dienstag saßen sie wieder zusammen: Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) beugten sich abermals über Zahlen des Bundeshaushaltes 2024. Rund 17 Milliarden Euro fehlen der Bundesregierung 2024, schätzt Lindner, nachdem das Bundesverfassungsgericht 60 Milliarden Euro an Coronahilfen aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) gestrichen hat. In der Ampelkoalition kursieren auch noch höhere Schätzungen.
In Regierungskreisen herrschten Zweifel, dass die Dreier-Spitzenrunde im Kanzleramt bald eine Einigung verkünden kann. Es bewege sich bisher wenig, heißt es.
An diesem Mittwoch, wenn das Kabinett tagen wird, liegt das Karlsruher Verfassungsgerichtsurteil, genau drei Wochen zurück. Einen Ausweg aus ihrer tiefsten Krise hat die Ampelkoalition bisher nicht gefunden. Mit jedem Tag wird ein pünktlich verabschiedeter Bundeshaushalt 2024 unwahrscheinlicher. Am Dienstag sagte die FDP deshalb eine für Mittwochabend lange geplante adventliche Zusammenkunft mit Journalisten kurzerhand ab.
Scholz gerät zunehmend unter Druck
Besonders die SPD, die auf eine schnelle Einigung pocht, gerät in die Defensive. Sollten sich die Spitzen der Ampel bis Donnerstag einigen, so könnte sich der Bundestag in der kommenden Woche mit dem Zahlenwerk befassen. Selbst in diesem Szenario wäre eine Sondersitzung des Bundesrates in der Woche vor Weihnachten nötig.
Auf dem Kanzler lastet ein enormer Druck. Ab Freitag tagt der SPD-Parteitag. Die zweijährige Gelassenheit der Kanzlerpartei ist angesichts des miserablen Regierungshandwerks, des eigenen Umfragetiefs und der kommunikativen Defizite von Olaf Scholz dahin. Strategie des Kanzleramtes sei es, statt einer Sozialstaatsreform nun kleinteilig zahlreiche Posten zu kürzen, ist in Regierungskreisen zu hören. Von „Mikro-Management“ ist die Rede.
Bundesrechnungshof kritisiert Nachtragshaushalt
Im Haushaltsausschuss des Bundestages diskutierten Experten am Dienstagmorgen öffentlich, ob die Ampelkoalition einen rechtmäßigen Plan hat, um zumindest das Loch im Haushalt 2023 zu stopfen. Auch er ist in seiner gegenwärtigen Form verfassungswidrig. Finanzminister Lindner hat die Energiepreisbremsen und die Fluthilfen im Ahrtal nach dem Karlsruher Urteil zu Unrecht mit alten Kreditermächtigungen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds finanziert.
Lindner muss deshalb nun einen Nachtragshaushalt vorlegen und 45 Milliarden Euro an zusätzlichen Schulden aufnehmen. Hierfür will er die Schuldenbremse erneut aussetzen – mit Verweis auf den Ukraine-Krieg und die dadurch ausgelöste Energiekrise. Nächste Woche soll dies der Bundestag beschließen. Der Bundesrechnungshof hält das für nicht zulässig. Die rückwirkende Erklärung der Notlage könnte „mit dem parlamentarischen Budgetrecht in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise in Konflikt stehen“, heißt es in der Stellungnahme der Rechnungsprüfer.
Immerhin, nicht alle Sachverständigen sehen es bei der Anhörung wie der Bundesrechnungshof. Der Mann, dessen Meinung der Ampel besonders wichtig sein dürfte, ist Hanno Kube. Seiner Argumentation folgte das Bundesverfassungsgericht, als es die 60 Milliarden Euro im KTF für nichtig erklärte. „Im Ergebnis, meine ich, dass vertretbar dargelegt wird, dass im Notlagenbeschluss 2023 eine Notlage besteht“, sagte er während der Anhörung.
In den vergangenen Jahren haben diese Nettoinvestitionen stets um null herum geschwankt.
Klaus Schmidt, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums, fordert mehr staatliche Investitionen.
Es ist das, was die Ampel hören will: Auch wenn laut Kube hinsichtlich einzelner Begründungselemente ein verfassungsrechtliches Risiko bestehe, sei der Nachtrag 2023 aus seiner Sicht vertretbar.
Habeck-Berater schlagen Reform der Schuldenbremse vor
Für den Haushalt 2024 kann die Ampel allerdings wohl kaum erneut auf die Energiekrise verweisen, um die Schuldenbremse auszusetzen. Das auslösende Ereignis – Russlands Überfall auf die Ukraine – liegt dann schon zu weit zurück, um von einer unvorhersehbaren Notlage zu sprechen.
Wirtschaftsminister Habeck passt es deshalb gut, dass sein unabhängiger wissenschaftlicher Beirat parallel zur Expertenanhörung im Haushaltsausschuss ein Gutachten vorlegt, wie die Schuldenbremse grundlegend reformiert werden kann. Habecks Experten schlagen vor, Investitionen bei der Schuldenbremse nicht mehr zu berücksichtigen – zumindest dann, wenn es sich nicht um Ersatzinvestitionen handelt, sondern damit neue Infrastruktur geschaffen wird.
Die Berater im Wirtschaftsministerium sollten sich um die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch Entlastungen und mehr private Investitionen kümmern.
FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer
„In den vergangenen Jahren haben diese Nettoinvestitionen stets um null herum geschwankt“, sagte Beiratsmitglied Klaus Schmidt. Der Reformvorschlag solle einen Anreiz für die öffentliche Hand schaffen, mehr zu investieren. Seit dem Jahr 2000 hätten Deutschlands öffentliche Investitionen stets unter dem EU-Durchschnitt gelegen, betonte der Beiratsvorsitzende Eckhard Janeba.
Um die Investitionen in neue Infrastruktur umzusetzen, kann sich der Beirat vorstellen, Investitionsfördergesellschaften einzurichten. Da Ersatzinvestitionen nicht von der Schuldenbremse ausgenommen werden sollen, befürchten Schmidt und Janeba nicht, dass künftige Regierungen im regulären Haushalt dann umso mehr Geld für Sozialausgaben ausgeben werden.
Ihr Gutachten sei bereits vor dem Karlsruher Urteil fertiggestellt worden, erklärten Schmidt und Janeba. Für Habeck ist es nun eine willkommene Argumentationshilfe. Denn bei Investitionen in den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft will der Grünen-Politiker trotz der gestrichenen Gelder im KTF keine Abstriche machen.
Die FDP überzeugt die Argumentation des Beirats allerdings nicht. „Die Berater im Wirtschaftsministerium sollten sich um die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch Entlastungen und mehr private Investitionen kümmern, anstatt Scheindebatten über die Schuldenbremse hinterher zu jagen“, sagte Fraktionsvize Christoph Meyer dem Tagesspiegel.