Friday, December 22, 2023

Michael Kretschmer: "Das Ruder muss endlich herumgerissen werden"

SZ - Sächsische Zeitung Michael Kretschmer: "Das Ruder muss endlich herumgerissen werden" 3 Std. Sachsens Ministerpräsident kauft im Hofgut Kaltenbach Welxande wieder seine Weihnachtsgans und erzählt im persönlichen Interview, was ihn bewegt. Wenn Ministerpräsident Michael Kretschmer im Hofgut Welxande seine Gans abholt, spricht er traditionell auch mit Großenhains Redaktionsleiterin Catharina Karlshaus über das vergangene Jahr. Landkreis Meißen. Der kluge Mann baut vor. Während Sachsens Ministerpräsident sonst immer unmittelbar vor dem Fest seine rechtzeitig vorbestellte Weihnachtsgans im Hofgut Kaltenbach in Welxande abholt, ist er in diesem Jahr vergleichsweise früh dran. Der potenzielle Braten müsse vor der Zubereitung erst noch eine Ehrenrunde in der Tiefkühltruhe drehen, lässt Michael Kretschmer wissen und lacht. Der CDU-Politiker ist in bester Vorweihnachtsstimmung, was auch mit daran liege, dass er dieses Mal alle Geschenke beisammen und bereits eingepackt zum Schenken griffbereit verstaut habe. Bevor sich auch Michael Kretschmer zur weihnachtlichen Auszeit mit der Familie zurückziehen wird, plauderte er im traditionellen Gespräch mit Sächsische. de über die vergangenen Monate - und wagte Ausblicke auf die kommenden. Herr Kretschmer, ich hätte es ehrlicherweise begrüßt, wäre unser ja eigentlich nun schon traditionelles vorweihnachtliches Treffen in diesem Jahr auf Ende April gefallen! Wieso hat die Landesregierung das Thema Rheinmetall und eine vermeintliche Ansiedlung in Großenhain bis heute so stumm ausgesessen? Das haben wir nicht. Die Rheinmetall AG hat uns angefragt, ob Interesse am Bau einer Pulverfabrik besteht. Daraufhin haben wir all jene Standorte mitgeteilt, die im Freistaat für die Größe einer solchen Fabrik infrage kommen. Wir waren sehr an einer solchen Ansiedlung interessiert, denn es handelt sich um ein Unternehmen mit tarifgebundenen Arbeitsplätzen und hohen Sicherheitsstandards. Es ist allerdings nicht dazu gekommen, weil die Bestellungen der Bundeswehr für neue Munition zu gering sind, um ein neues Werk auszulasten. Was wir aus dem Prozess gelernt haben, ist, dass wir noch in das Industriegebiet investieren müssen. Wir haben zwar das Baurecht, aber das Areal ist nicht ausreichend erschlossen. Das muss nun dringend erfolgen. Und andererseits – darauf spielen Sie ja an - traten natürlich Defizite in der Kommunikation zutage. Deshalb habe ich mit Großenhains Oberbürgermeister Dr. Mißbach auch verabredet, dass ich im Frühjahr ausführlich mit den Stadträten über die Vermarktung dieses Industriegebiets sprechen werde. Wir wollen für den Freistaat Sachsen auf jeden Fall neue, international agierende Investoren gewinnen, und in Großenhain gibt es ein erstklassiges Areal, auf den ein solches Unternehmen beheimatet sein kann. Die Bundesregierung ist jetzt gefordert Eines der größten Probleme unserer Gesellschaft ist wohl gegenwärtig, dass die Menschen kein Vertrauen mehr in die Regierungspolitik haben. Viele Parteien ergeben noch mehr Meinungen, aber nach Auffassung der Bürger zu wenig spürbare Ergebnisse. Woran messen Sie denn erfolgreiche Politik? Ich kann dieses Empfinden in großen Teilen nachvollziehen. Für viele Menschen zählt nur das Ergebnis. Aber es ist häufig das Bohren von dicken Brettern und die Prozesse dauern zu lange. Das sehen Sie beispielsweise beim Thema Migration. Die Landesregierungen, Kreise und Städte, alle ziehen gemeinsam an einem Strang, um die Zuwanderung zu begrenzen. Ebenso verhält es sich mit der Energiewende, die aus meiner Sicht gescheitert ist, wie mit vielen anderen Problemen unserer Zeit auch. Die Bundesregierung ist jetzt gefordert. Es gibt kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Jedes Jahr, selbe Zeit: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) holt im Hofgut Welxande bei Thiendorf seine Weihnachtsgans ab. Das Exemplar auf seinem Arm hatte indes noch Schonfrist. Am Beispiel von Pirna, wo am Sonntag ein Kandidat der AfD zum ersten deutschen Oberbürgermeister gewählt worden ist, lässt sich ein Blick auf die Stimmungslage werfen. Wie würden Sie diese kurz vor Weihnachten 2023 auf den Punkt bringen? In den vergangenen Monaten haben viele Wahlen stattgefunden, in denen sehr kluge, besonnene Menschen gewählt wurden. Man muss die Menschen und so auch in diesem Fall den künftigen Oberbürgermeister an ihren Taten messen. Gesellschaft nicht in Freund und Feind unterteilen Gerade in dieser Woche ist bekannt geworden, dass zwei namhafte Politiker des Landkreises Meißen aus der CDU ausgetreten sind, weil sie sich nicht mehr mit dem Kurs der Partei einverstanden erklären. Auch der neue Oberbürgermeister von Pirna war früher bei den Christdemokraten beheimatet. Gibt Ihnen das nicht zu denken? Selbstverständlich. Auch ich hatte schon Momente, in denen ich mit der Politik meiner Partei nicht einverstanden war. Aber dieses Gefühl hat mich eher dazu motiviert, dass ich mit anderen Gleichgesinnten daran arbeite, die Richtung zu verändern. Und überdies möchte ich eindringlich davor warnen, dass wir in Deutschland plötzlich damit anfangen, Politiker als Feinde, auch in den eigenen Reihen, auszumachen. All jenen, die das tun, müssen wir ein Stoppschild entgegenhalten. Denn wenn wir unsere Gesellschaft in Freund und Feind aufteilen, wird das kein gutes Ende nehmen. Preissteigerungen, Migration, Milliardenzahlungen im Zuge des Ukrainekrieges und Fachkräftemangel – ist das der Mix, der dem Sozialstaat und demokratischen Kräften bei den kommenden Wahlen im September das Genick brechen kann? Wir haben über die Parteigrenzen hinweg ein eindeutiges Votum aller Ministerpräsidenten zu den Themen Asyl, Migration und Ukraine, um zu einer anderen Art der Politik zu kommen, als sie jetzt praktiziert wird. Wenn das Ruder nicht endlich herumgerissen wird, dann wird die Europawahl eine Protestwahl. Das darf nicht passieren! Deshalb werden wir in Sachsen immer klar unsere Meinung zum Ausdruck bringen. Die Bundesregierung ist nicht nur bei den Themen Migration und Energie in der Bringschuld. Das gilt auch für die Lage in der Ukraine. Es braucht viel mehr diplomatische Initiativen, um diesen Krieg endlich zu beenden. Deshalb sollten alle demokratischen Kräfte einen langen Atem beweisen und Ergebnisse einfordern. Sie selbst schienen in den letzten Monaten mit Siebenmeilenstiefeln allerorten unterwegs zu sein: Sachsen, Berlin, Brüssel und zwischendurch zig Interviews, in den Sie wie selten ein Politiker kein Blatt vor den Mund genommen haben. Haben Sie Gefallen daran gefunden, sich bewusst in die Nesseln zu setzen? Es bringt nichts, sich wegzuducken! Das dürfen wir auf keinen Fall tun! Für die politische Hygiene ist es wichtig, zu sagen, wenn man mit etwas nicht einverstanden ist. Darüber hinaus habe ich immer versucht, einen konstruktiven Vorschlag anzubieten und damit Menschen, die zweifelnd oder kritisch sind, zu zeigen, es gibt durchaus Ansprechpartner, die um kluge und machbare Lösungen bemüht sind. Nicht nur schimpfen, sondern selbst aktiv werden Während der Pandemie erreichte die Zufriedenheit der Deutschen einen Tiefpunkt. Nun geht es wieder bergauf – allerdings nur langsam und selbst die Adventszeit ist dieses Jahr eine Woche kürzer. Was sollte uns dennoch optimistisch stimmen? Aus meiner Sicht eine ganze Menge Dinge. Es gibt so viele Menschen, die sich für unser Land engagieren. Ich erinnere mich beispielsweise noch gut an unser Zusammentreffen im Großenhainer Kulturschloss im November, als Hunderte von Ehrenamtlern aus dem Landkreis Meißen zum Austausch gekommen sind. Sie sind alle in Vereinen, Organisationen oder Verbänden tätig und versuchen, das Beste in Meißen, Radebeul, Riesa sowie all den Dörfern zu erreichen. Wir haben eine unglaubliche Anzahl an innovativen Unternehmen, erfahrenen Handwerksbetrieben und gleichsam jungen Leuten, die sich mit viel Kreativität und Mut zutrauen, neue Wege zu gehen. Und wir haben das Glück, in einer Demokratie leben zu dürfen, die uns die Freiheit schenkt, wieder neuen Schwung zu holen. Wir brauchen den sprichwörtlichen Wind unter den Flügeln und eine große Portion Selbstvertrauen, Optimismus und Gemeinschaftssinn. Und dann werden wir auch in der Lage sein, die jetzigen Probleme erfolgreich zu lösen. Seit Sie im Amt sind, treffen wir uns kurz vor Weihnachten auf dem Hofgut Welxande und plaudern über das Jahr. Sind Sie optimistisch, dass der sächsische Ministerpräsident Kretschmer auch in zwölf Monaten wieder hier seine Weihnachtsgans kaufen wird? Das würde mich sehr freuen. Sachsen ist ein Land mit klugen, weitsichtigen, vernünftigen Menschen, die überdies einen feinen Sensor haben, wer wirklich eine Lösung für anstehende Probleme anbietet. Schimpfen darf man in einer Demokratie, aber nur schimpfen führt zu gar nichts. Wenn wir unser Schicksal selbst in die Hände nehmen – und das hat der Freistaat Sachsen in der Vergangenheit erfolgreich bewiesen –, können wir nur gewinnen.