Friday, December 1, 2023
Lawrow bleibt am Jahrestreffen der OSZE isoliert – doch im Zug der russischen Aggression ist die Organisation zum Papiertiger geworden
Neue Zürcher Zeitung Deutschland
Lawrow bleibt am Jahrestreffen der OSZE isoliert – doch im Zug der russischen Aggression ist die Organisation zum Papiertiger geworden
Artikel von Werner J. Marti •
2 Std.
Falls der russische Aussenminister Sergei Lawrow gehofft hatte, die OSZE zu spalten, so ist ihm dies gründlich misslungen.
Erstmals seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 ist der russische Aussenminister Sergei Lawrow wieder in ein Nato-Land gereist. Anlass war das jährliche Aussenministertreffen der OSZE, das am Donnerstag und Freitag in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje stattfand. Lawrow steht unter Sanktionen der EU, weshalb ihm Polen als Gastgeberland die Einreise zum letztjährigen Jahrestreffen verweigert hatte.
Nordmazedonien, das die jährlich wechselnde Präsidentschaft der Organisation innehat, lud Lawrow nun aber zum Ministertreffen ein. Es berief sich dabei darauf, dass die EU-Sanktionen ausdrücklich Ausnahmen für die OSZE vorsehen. Aus Protest blieben die Aussenminister der Ukraine, Polens sowie der drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland dem Treffen fern.
Russland bleibt isoliert
Die Anreise von Lawrow war allerdings nicht einfach. Bulgarien hatte ihm zwar eine Überfluggenehmigung erteilt, um nach Skopje zu gelangen. Es stellte aber die Bedingung, dass keine weiteren unter Sanktionen stehenden Delegationsmitglieder mitfliegen dürften. Da sich Lawrow nicht daran halten wollte, wurde ihm der bulgarische Luftraum dann doch gesperrt. Über den Umweg via die Türkei und Griechenland konnte er schliesslich trotzdem nach Skopje fliegen.
Sergei Lawrow behauptet, dass es der Europäischen Union nicht gelingen wird, Russland aus Zentralasien zu verdrängen
Im Vorfeld des Treffens hatten Diplomaten und Beobachter die Befürchtung geäussert, es könne bei dem Treffen zu einer Spaltung der Organisation kommen. Dies, falls sich namhafte Staaten trotz der russischen Aggression für eine Verhandlungslösung mit der Ukraine starkmachen und so russische Positionen stützen würden. Dies war dann allerdings nicht der Fall. Russland blieb isoliert.
Der amerikanische Aussenminister Antony Blinken und der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell reisten ab, ohne mit Lawrow gesprochen zu haben. Auch der Gastgeber, der nordmazedonische Aussenminister Bujar Osmani, kritisierte in seiner Eröffnungsansprache den russischen Angriffskrieg mit scharfen Worten. Einzig ein paar kleinere Staaten wie Ungarn und Österreich fühlten sich bemüssigt, Vieraugengespräche mit Lawrow abzuhalten.
Welche Rolle spielt die OSZE noch?
Die OSZE ist die Nachfolgeorganisation der 1975 durch die sogenannte Schlussakte von Helsinki ins Leben gerufenen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Ihr gehören alle Staaten Europas und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion an sowie Kanada, die USA und die Mongolei, insgesamt also 57 an der Zahl.
Das Ziel der Organisation ist die Sicherung des Friedens in Europa. Die unterzeichnenden Staaten bekannten sich zur Unverletzlichkeit der Grenzen, zur friedlichen Regelung von Streitfällen, zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sowie zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Während des Kalten Krieges, als die Einflusssphären der Nato und des Warschauer Paktes klar abgesteckt waren, sowie in der «Schönwetterperiode» unmittelbar danach konnte die Organisation eine bedeutende stabilisierende Rolle spielen. Insbesondere half sie bei der Ausarbeitung wichtiger Abrüstungsverträge. Doch seit Russland unter Putin eine expansionistische Strategie verfolgt, ist die Bedeutung der OSZE an ihre Grenzen gestossen und taugt heute wenig, um die bedrohte Sicherheit in Europa zu schützen.
2008 konnte sie den Krieg zwischen Russland und Georgien und die daraus folgende Kontrolle Russlands über die georgischen Regionen Südossetien und Abchasien nicht verhindern. Eben sowenig konnte sie 2014 vereiteln, dass sich Russland mit der faktischen Einverleibung der Ostukraine weiter ausbreitete. Zwar spielte ihre Mission in der Ukraine danach vorübergehend eine wichtige Rolle bei der Verhinderung einer weiteren Eskalation, doch spätestens mit dem russischen Überfall vom Februar 2022 verlor sie jeglichen Einfluss.
Auch der Schutz nationaler Minderheiten ist eine zentrale Aufgabe der OSZE. Doch auch hier konnte sie im Herbst der Vertreibung von mehr als 120 000 Karabach-Armeniern durch Aserbaidschan nichts entgegensetzen.
Dieses Jahr ist zudem mit dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa das letzte wichtige, von der OSZE ausgehandelte Abrüstungsabkommen ausser Kraft gesetzt worden. Das Abkommen legte Obergrenzen für die Anzahl schwerer Waffensysteme fest, die in Europa vom Atlantik bis zum Ural stationiert werden dürfen.
Es hätte eine Schlüsselrolle spielen können zur Verhinderung einer Ausbreitung des militärischen Konfliktes in Europa. Doch Russland gab im vergangenen Mai den Austritt aus dem Abkommen bekannt. Dieser wurde am 7. November rechtskräftig. Daraufhin setzen auch die Nato-Staaten den Vertrag für unbestimmte Zeit aus.
Die OSZE hat aber insofern noch eine Daseinsberechtigung, als es sich um das letzte Forum handelt, in dem Ost und West über Kernfragen der Sicherheit in Europa sprechen können. Doch das Einstimmigkeitsprinzip macht das Ausarbeiten konkreter Massnahmen im gegenwärtigen Klima schwierig.
Erst nach langen Verhandlungen konnten die vier Spitzenpositionen für das nächste Jahr besetzt werden. Die Generalsekretärin Helga Schmid bleibt zusammen mit dem restlichen Führungstrio für neun weitere Monate im Amt.