Wednesday, December 20, 2023

Krise bei Borussia Dortmund: Wie von allen guten schwarz-gelben Geistern verlassen

SZ.de Krise bei Borussia Dortmund: Wie von allen guten schwarz-gelben Geistern verlassen Artikel von Von Freddie Röckenhaus, Dortmund • Nach dem fußballerischen Offenbarungseid gegen Mainz muss BVB-Boss Watzke entscheiden, ob eine Trennung von Trainer Terzic der Ausweg aus dem Dilemma der vergangenen Monate wäre. Auch Sportchef Kehl steht in der Kritik. Wie von allen guten schwarz-gelben Geistern verlassen Als Hans-Joachim Watzke am Dienstagabend bereits vor Spielende von seinem Platz auf der Ehrentribüne im Signal-Iduna-Park aufstand und verschwand, kam die Interpretationsmaschine in Gang. Doch Borussia Dortmunds Geschäftsführer war nicht auf dem Weg in die Kabine, um Dampf abzulassen. Von der unterirdischen Spielweise seiner Mannschaft, die gerade noch ausreichend war für ein 1:1 gegen den limitierten Abstiegskandidaten Mainz 05, hatte Watzke genug gesehen. Auch am Mittwoch blieb Dortmunds Klubboss zunächst auf Tauchstation. Anfragen wurden abgewimmelt. Watzke ist nicht der Typ, der in schlechter Stimmung Trainer auf offener Bühne entlässt. Auch nicht, wenn der gefühlte "Druck" besonders groß ist. Was Watzke und alle Zuschauer allerdings in den zweiten 45 Minuten vom BVB gesehen hatten, wirkte wie der fußballerische Offenbarungseid eines ursprünglichen Meisterschafts-Aspiranten. Streckenweise sah das aus wie ein Zeitlupenspiel - es war eine Halbzeit, die jeden Trainer der Welt in Frage stellen würde. Oder wie Dortmunds Coach Edin Terzic in ersten TV-Statements gesagt hatte: "Dieses Spiel war wie ein Spiegelbild unserer Saison." In der ersten Hälfte hatte der BVB zwar auch nicht so aufgespielt, dass der Dauerregen deswegen vor Begeisterung aufgehört hätte, aber er konnte die verunsicherten Mainzer mit viel Pressing doch klar dominieren. Ein wunderschöner, fast chirurgischer Freistoß-Kick von Julian Brandt brachte das 1:0, dazu kamen zwei Lattentreffer durch Jamie Bynoe-Gittens und Marcel Sabitzer. Kurz vor der Pause gelang dann Mainz, beim ersten erwähnenswerten eigenen Angriff, durch einen Kopfball von Sepp van den Berg der 1:1-Ausgleich. Aber kann das ausreichen, um eine vermeintliche Klasse-Mannschaft wie die des BVB derart komplett aus jedem Konzept zu bringen? Terzic stand im zweiten Abschnitt streckenweise vor der eigenen Trainerbank, wie von allen guten Geistern verlassen. Seine Körpersprache schien aufs Spielfeld zu sprechen: "Was habe ich euch eigentlich getan, dass ihr so spielt und mich so im Stich lasst?" Ein einfacher Rauswurf geht nicht, Terzic ist kein BVB-Trainer wie jeder andere Watzke muss sich nun im stillen Kämmerlein mit der Frage beschäftigen, ob er vor dem üblichen Januar-Trainingslager in Marbella das tun will, was Klubs in solchen Situationen zu tun pflegen: den Trainer wechseln, um irgendwie eine neue Dynamik auszulösen. Dass Watzke fürs Nachdenken erst mal Ruhe haben will, ist nachvollziehbar. Seine Nibelungen-Schwüre für Terzic, dem er persönlich mehr verbunden ist als jedem BVB-Trainer seit Jürgen Klopp, würde er aber ganz sicher über Bord werfen, wenn eine Trennung unvermeidbar erschiene. Das hat Watzke schon seit Wochen immer wieder durchblicken lassen. Angesichts der stetig wachsenden Bedeutung der Champions League-Millionen wird Watzke die Reißleine ziehen, wenn er glaubt, einen Trainer wie Terzic nicht mehr halten zu können - obwohl der in Dortmund nebenbei Maskottchen-Status hat. Das weiß auch Terzic selbst, der bei Sat1 direkt nach dem Spiel einräumte: "Wie lange ich hier Trainer bin, entscheiden letztlich andere." Intern und unter vier Augen dürften Watzke und sein Trainer die Lage schon seit Wochen immer mal wieder andiskutiert haben - die beiden sind auch Nachbarn. Trotzdem bleibt Platz vier auch für Terzic Pflicht, denn der ist erst mal die Mindestanforderung für das Erreichen der Königsklasse. Auch wenn die Champions-League-Reform der Uefa eventuell ein Hintertürchen für einen fünften deutschen Startplatz öffnen könnte. Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke (links) beschäftigt sich mit der Leistung von Trainer Edin Terzic - doch auch von Sportdirektor Sebastian Kehl (Mitte) hätten sich viele mutigere Lösungen gewünscht. BVB-Kapitän Emre Can, sichtlich sich windend, betonte nach dem Spiel: "Es ist nicht immer der Trainer schuld." Torschütze Brandt versicherte: "Ich habe überhaupt kein Problem mit dem Trainer." Die beiden einflussreichen Spieler hatten sich allerdings in den Wochen zuvor auch vor Fernsehkameras dezent eine "aktivere" Spielweise gewünscht, so wie es als Erster Stürmer Niclas Füllkrug schon vor Wochen gemacht hatte. Terzic scheint das seiner Truppe jedoch nicht zuzutrauen, oder es mangelt ihm an Kreativität für offensivere Ansätze. Unter der Woche war durchgesickert, dass der Mannschaftsrat Terzic den dringenden Wunsch unterbreitet haben soll, eine klar offensivere Spielweise anzuordnen. "Ich persönlich bin immer lieber aktiv als passiv", hatte Spielmacher Brandt schon vorher durchblicken lassen, woran es zwischen Mannschaft und Trainer hapert. Fest steht: Die Spielweise des Beinahe-Meisters der Vorsaison, der Ende Mai am letzten Spieltag durch ein klägliches 2:2 - ebenfalls gegen Mainz - noch von den Bayern überholt worden war, lässt Fans und Beobachter seit Beginn der neuen Spielzeit ratlos zurück. Zunächst gelangen in der Liga trotz zaghafter Auftritte noch viele glückliche Punktgewinne. Doch dann brach die Serie ab, spätestens mit dem 0:4 zu Hause gegen die Bayern und dem desolaten 1:2 in Stuttgart. Seit sechs Pflichtspielen ist Dortmund sieglos, der Abstand zu Platz vier ist schon angewachsen, die Tabellenspitze längst außer Sichtweite. Zwischendurch flog der BVB zudem aus dem DFB-Pokal, mit einer Vorstellung beim 0:2 in Stuttgart, die noch passiver wirkte als im Ligaspiel zwei Wochen vorher. Verweisen kann Terzic auf die Champions League, wo Dortmund in einer Horrorgruppe Paris St. Germain, Milan und Englands Shooting Stars von Newcastle United hinter sich ließ und mindestens drei starke Spiele lieferte. Intern wird die Lage so eingeschätzt, dass Terzic zwar taktische Defizite habe, jedenfalls für die Ansprüche eines Klubs dieser Größe - aber dass seine Matchpläne mitunter halt doch wieder passen würden. Dies führe zu einem ständigen Auf und Ab, je nachdem, ob Terzics Vorgaben funktionieren - oder nicht. Zudem zeigen viele Spieler teilweise unglaubliche individuelle Disziplinlosigkeiten. Die Frage für Watzke ist auch: Was wäre denn die Alternative? Viel gibt der Trainer-Markt gerade nicht her Terzic ist kein BVB-Trainer wie jeder andere. Ein typischer Rauswurf ginge nicht, auch wenn sich ein Teil der Anhänger von ihm schon länger distanziert hat. Terzic gilt als Mann mit totaler Dortmund-DNA. Zudem verweist er auf die Rückrunde der vergangenen Saison, als er mit dem Team das Feld von hinten aufrollte. So stellt er sich das jetzt erneut vor. Für den Klub, vor allem für den allgewaltigen Boss Watzke, stellt sich aber auch die Frage: Was wäre denn die Alternative? Der Trainermarkt gibt gerade besonders wenig her. Einen herzhaften Typen etwa, wie den früheren Leipzig-Trainer Ralph Hasenhüttl, der vier Jahre bei Southampton in der Premier League tätig war? Oder Oliver Glasner, von dem es allerdings heißt, dass es sich hinter den Kulissen nicht immer gut anfühle mit ihm? Und auch mit einem neuen Trainer wäre das BVB-Problem womöglich noch nicht gelöst, weil auch Sportdirektor Sebastian Kehl in der Kritik steht. Seine Transfers im Sommer gelten bisher eher als Reinfälle. Nach dem Verlust von Schlüsselspieler Jude Bellingham (zu Real Madrid) hätte man sich auch von Kehl weit bessere, vielleicht mutigere Lösungen gewünscht. Mit einer einfachen Dreisatz-Rechnung wird Watzke also kaum zu einer guten Lösung des Dortmunder Leistungsdilemmas kommen. Auch nicht nach weiteren Tagen auf Tauchstation.