Tuesday, December 5, 2023
Kommentar zum Bürgergeld: Wie der Sozialstaat vor die Hunde geht
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kommentar zum Bürgergeld: Wie der Sozialstaat vor die Hunde geht
Artikel von Reinhard Müller •
14 Std.
Nur ganz wenige Erwählte sind zu solcher Einsicht und Klarheit fähig wie Robert Habeck: „Wir sind umzingelt von Wirklichkeit.“ Noch passt also die Welt nicht in Parteiprogramm und Koalitionsvertrag. Sie wird aber passend gemacht – allein wie, das steht noch in den Sternen. Die ganz große Chance zum Gestalten ist da.
Eigentlich gibt es sie immer, gerade auch in der Krise. Sie ist aber nun unter der ebenfalls selbstverständlichen Pflicht noch einmal in Erinnerung gerufen worden, die Verfassung in Gestalt der Schuldenbremse einzuhalten. Welch eine Gelegenheit für eine Regierung, aber auch für jeden Koalitionspartner, sein Profil zu schärfen und alte Zöpfe abzuschneiden!
Nicht von dieser Welt
Insbesondere die soziale Frage sollte jedem am Herzen liegen. Gewiss, man muss es sich leisten können, grün zu wählen. Aber es kann nicht im Interesse einer an Gerechtigkeit interessierten Partei sein, oder einer, die sich sozialdemokratisch nennt, dass hart arbeitende Menschen kaum mehr in der Tasche haben als Empfänger von Bürgergeld. Ein stolzer Name, aber das ist falscher Stolz.
Der Sozialstaat darf niemanden fallenlassen und niemanden aufgeben. Er darf aber auch keinen Anreiz setzen, nur noch aus der Gemeinschaftskasse zu leben. Das Mantra der SPD-Vorsitzenden, es dürfe nicht bei den Schwächsten gespart werden, ist nicht von dieser Welt. Für die wirklich Armen interessiert sie sich nicht; Politik wird für die eigenen Ansprüche und geschickten Profiteure des Sozialstaats gemacht.
„Arbeit und Soziales“ – das ist weiterhin der mit Abstand größte Etat des Haushalts. Die Vorstellung, dass dieser Dauer-Riesenposten von vornherein unantastbar wäre, ist abenteuerlich. Natürlich gibt es auch hier verfassungsrechtliche Vorgaben – aber auch Spielräume. Der soziale Frieden, der dieses Land immer noch auszeichnet, beruht nicht auf bedingungslosen Ausschüttungen, sondern auf Würde und Freiheit. Der Sozialstaat geht vor die Hunde, wenn der Versorgungsempfänger zum Vorbild wird.