Friday, December 1, 2023
„Geld muss irgendwo aufgebracht werden“ – Wie Habeck sich und der Industrie Mut macht
WELT
„Geld muss irgendwo aufgebracht werden“ – Wie Habeck sich und der Industrie Mut macht
Artikel von Philipp Vetter •
1 Std.
Infineon will Milliarden in seine Fabrik in Dresden investieren und fordert dafür Subventionen vom Staat. Bei einem Termin des Konzerns mit dem Bundeswirtschaftsminister macht sich Unsicherheit bemerkbar, ob die Gelder überhaupt noch fließen werden. Habeck versucht zu beruhigen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)
Es hätte nur einer von vielen Terminen des Klimaschutzministers sein können am Donnerstagabend in Berlin. Im sogenannten Futurium, direkt neben dem Hauptbahnhof, sollte Robert Habeck (Grüne) unter anderem mit der Soziologin Jutta Allmendinger über das Thema „Klimawandel – Ist Technologie die Lösung oder das Problem“ diskutieren. Doch durch den Gastgeber bekam die Veranstaltung etwas mehr Brisanz, als es der doch recht allgemein gehaltene Titel vermuten ließ. Eingeladen ins Futurium hatte nämlich der Dax-Konzern Infineon.
Das Unternehmen aus Neubiberg bei München ist der größte deutsche Chiphersteller und damit in einer der von Habeck eigentlich heftig umworbenen Zukunftsbranchen. Doch seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts stehen plötzlich die Milliardensubventionen für die Branche wieder auf dem Prüfstand. Dabei geht es keineswegs nur um die beiden größten Projekte – das geplante Intel-Werk in Magdeburg, das mit knapp zehn Milliarden Euro gefördert werden sollte, und die TSMC-Fabrik, die der Staat mit mehr als fünf Milliarden Euro unterstützen will – auch Infineon und viele andere Unternehmen hatten staatliche Hilfen beantragt.
Infineon will derzeit in Dresden das dortige Werk für rund fünf Milliarden Euro ausbauen. Der Konzern hat sogar schon mit den Arbeiten begonnen, das erste Geld ist investiert. Rund eine Milliarde Euro sollte als Unterstützung vom Staat kommen. Zum symbolischen Spatenstich reiste der Kanzler persönlich an. Aber kann man sich auf diese Zusagen heute noch verlassen?
In der deutschen Wirtschaft gibt es seit dem Karlsruher Urteil eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Die eine Gruppe sind Firmen, die schon einen verbindlichen Förderbescheid haben, die andere besteht aus Unternehmen, die zwar eine Zusage für Subventionen haben, aber statt eines Förderbescheides gibt es lediglich Absichtserklärungen.
Zu welcher Gruppe Infineon gehört, will ein Sprecher vor der Diskussion mit Habeck nicht beantworten. Doch auf der Bühne wird schnell klar, dass sich der bayerische Konzern offenbar nicht sicher sein kann, dass er die zugesagten Fördergelder bekommt. Zu deutlich drängt Infineon-Vorstand Andreas Urschitz auf mehr Verlässlichkeit und langfristige Planbarkeit in der Politik. „Wir treffen heute Entscheidungen in unserer Industrie zu Produktionskapazitäten und Milliardeninvestitionen, die dann in fünf, sechs Jahren erst wirksam werden“, sagt Urschitz. „Planungen in Sachen Standortbedingungen, die nur bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode ausgerichtet sind, die helfen hier nicht.“
Und zu den Standortbedingungen gehöre neben Infrastruktur, Bildung und vielen anderen Punkten eben auch, dass der Rest der Welt gerade versuche, Technologien wie die Halbleiterindustrie in andere Länder zu locken mit massiven Subventionen.
Deutschland muss den Kampf annehmen, sagt Habeck
Das sieht Habeck genauso und kann doch auch Wochen nach dem Verfassungsgerichtsurteil keine befriedigenden Antworten geben, woher das Geld kommen soll, mit dem Deutschland seine Subventionsversprechen ein- und mit anderen Ländern mithalten könnte. Er wisse natürlich, dass die USA mit ihrem Inflation Reduction Act (IRA) „robust“ vorgehen, seiner Meinung nach seien diese Subventionen auch nicht mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO zu vereinbaren, aber: „Sie pfeifen sozusagen auf internationale Fairness. Aus der Praxis heraus kann ich sagen: Die rufen bei den deutschen Firmen an und sagen: Guck mal, Deutschland hat ein Finanzproblem, komm doch zu uns“, berichtet der Wirtschaftsminister. „Es ist ein radikaler Kampf um die zukünftige Industrie.“
Diesen Kampf müsse Deutschland annehmen, wenn das Land nicht dauerhaft abhängig von anderen Staaten werden wolle. „Und wenn wir das nicht tun, dann haben wir auf einmal die Corona-Situation, dass wir selbst genähte Masken tragen müssen“, so Habeck. Doch dann gehe es nicht um Stoffmasken, sondern um Rohstoffe, Chips, Batterien und andere Zukunftstechnologien.
Deshalb macht er Infineon und anderen Unternehmen – aber wohl auch sich selbst – Mut, dass man das nötige Geld schon auftreiben werde, um die Subventionsversprechen einzulösen. „Ich will der Industrie sagen, dass die großen Projekte, die wir uns vorgenommen haben, kommen werden und kommen müssen“, sagt Habeck. „Die logische Konsequenz ist: Das Geld muss irgendwo aufgebracht werden.“ Woher es genau kommen soll, bleibt auch im Futurium offen.
Und der Minister lässt durchblicken, dass natürlich nicht alle Projekte zum eigentlich geplanten Zeitpunkt verwirklicht werden können. „Natürlich wird man auch mal gucken können, ob man ein bisschen zeitlich streckt, umschichtet, und vielleicht auch das eine oder andere Projekt, das jetzt nicht der härtesten Definition der Klimaneutralität und Wirtschaftssicherheit, die ich vorgenommen habe, entspricht, depriorisiert, vielleicht fallen lässt oder dann macht, wenn man im Laufe der Zeit mehr Geld erwirtschaftet.“
Man werde das auch nicht alles, wie ursprünglich geplant aus dem von ihm verwalteten Klima- und Transformationsfonds (KTF) bezahlen können. „Natürlich wird man sich auch mit dem Gedanken beschäftigen müssen, wie aus dem zentralen Haushalt heraus Gelder überführt werden können“, sagt Habeck. Und spätestens nach dieser Legislaturperiode müsse man alle Regeln auf den Prüfstand stellen: Das gelte beim Thema Bürokratie, innereuropäischen Absprachen bis zu bestimmten föderalen Strukturen – aber auch bei der Schuldenbremse. Vieles scheine „nicht mehr zeitgemäß zu sein“.