Friday, December 1, 2023
Der Kreml hat wochenlang Asylsuchende nach Finnland gedrängt. Die Grenze zu schliessen, ist die einzige Möglichkeit, die perfide Aktion zu stoppen
Neue Züricher Zeitung
KOMMENTAR
Der Kreml hat wochenlang Asylsuchende nach Finnland gedrängt. Die Grenze zu schliessen, ist die einzige Möglichkeit, die perfide Aktion zu stoppen
Wer Finnland nun als migrationsfeindliches Land verunglimpft, tut genau das, was Putin möchte.
Linda Koponen, Tallinn
02.12.2023, 05.46 Uhr 3 min
Ein neuer eiserner Vorhang trennt Russland vom Westen. Am Donnerstag hat Finnland seine Ostgrenze für den Personenverkehr komplett geschlossen. Mit dieser Massnahme hofft die finnische Regierung die Migrationsbewegung zu stoppen, die der Kreml angestossen hat.
Seit Wochen drängen russische Grenzbeamte Asylsuchende aus Drittstaaten wie Jemen, dem Irak oder Somalia nach Finnland. Die Grenze zu schliessen, war die einzige Möglichkeit, die perfide Aktion zu stoppen. Doch das sehen nicht alle so.
Es geht nicht um Asylpolitik
Eine Vertreterin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete den finnischen Ministerpräsidenten Petteri Orpo als rücksichtslos. Menschen, die sich in Russland befinden, haben seit der Grenzschliessung tatsächlich keine Möglichkeit mehr, in Finnland ein Asylgesuch zu stellen. Gesuche werden in Finnland zwar weiterhin am Flughafen und an den Häfen entgegengenommen. Doch zwischen Finnland und Russland verkehren weder Flugzeuge noch Schiffe. Laut Amnesty International handelt die Regierung daher ungerecht und unverhältnismässig.
Es ist richtig, dass Menschen, die vor einem Krieg flüchten oder die verfolgt werden, die Möglichkeit haben müssen, in einem sicheren Land ein Asylgesuch zu stellen. Doch hier handelt es sich nicht um eine normale Fluchtbewegung, und bei der Entscheidung der finnischen Regierung geht es nicht um Asylpolitik. Es geht um die innere Sicherheit des Landes. Wer das nicht erkennt, tut genau das, worauf Putin hofft: einen Streit über die Migrationspolitik vom Zaun brechen.
Das Thema ist bestens geeignet, um die Gesellschaft zu spalten. Die Absicht des Kremls ist es, Chaos zu stiften und das Land zu destabilisieren. Begleitet wird die Aktion von einer Desinformationskampagne: Finnland wolle die Situation der russischen Minderheit im Land verschlechtern und sei Ausländern gegenüber feindlich eingestellt, wird behauptet.
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist Finnland der Nato beigetreten. Das passt Moskau nicht. Denn damit verlängert sich die Grenze zwischen Russland und der Nato um 1340 Kilometer. Die russische Drohkulisse gegen diesen Schritt ist zerfallen. Grund genug also für Putin, auf anderem Wege für Unordnung zu sorgen.
Putin nutzt Migranten skrupellos aus
Die Migranten sind für ihn nur Spielfiguren, die er für seine Zwecke skrupellos einsetzt. Bei arktischen Temperaturen liess er sie in die dunkle Wildnis karren und in ein Land drängen, wo viele gar nicht hinwollten. Waren sie in der Grenzzone, schlossen die russischen Beamten die Barriere hinter ihnen. Es gab für sie kein Zurück.
Finnische Grenzbeamte mussten manche der Reisenden aktiv dazu überreden, ein Asylgesuch zu stellen. Ohne gültige Dokumente war das für sie der einzige Weg, in den Schengenraum einzureisen und nicht bei Minustemperaturen im Niemandsland zu erfrieren.
Wenn also jemand rücksichtslos handelt, dann ist es der Kreml.
Im November wurden an der finnischen Ostgrenze 913 Asylgesuche gestellt. Die Zahl ist überschaubar, doch darum geht es nicht. Die finnische Regierung hält es für wahrscheinlich, dass unter den Einreisenden auch Kriegsverbrecher oder andere Personen sind, die die innere Sicherheit des Landes gefährden. Und die Behörden verfügen über Informationen, die darauf hindeuten, dass in Russland noch mehrere hundert weitere Personen darauf warten, an die Grenze gebracht zu werden. Die Verantwortung für diese Menschen trägt Wladimir Putin.
Komplett geschlossen war die finnische Ostgrenze zuletzt 1944. Damals griff die Sowjetunion Finnland militärisch an, um es seiner Souveränität zu berauben. Sogar während des Kalten Krieges und der Corona-Pandemie war ein eingeschränkter Verkehr zwischen den beiden Ländern möglich. Das sagt viel über die derzeitige Beziehung zwischen Finnland und Russland aus. Estland erwägt, es Finnland gleichzutun. Es liegt allein in Putins Hand, wie schnell der neue eiserne Vorhang wieder verschwindet.