Tuesday, December 5, 2023
«Äusserst problematisch»: Auch der Nachtragshaushalt gerät jetzt unter Beschuss
Neue Zürcher Zeitung Deutschland
«Äusserst problematisch»: Auch der Nachtragshaushalt gerät jetzt unter Beschuss
Artikel von Johannes C. Bockenheimer, Berlin •
Hat Geldsorgen: Bundesfinanzminister Christian Lindner.
Neuer Ärger für Finanzminister Christian Lindner: Vor zwei Wochen wurde das deutsche Regierungsbudget vom Bundesverfassungsgericht für «null und nichtig» erklärt, weil die Vorgaben der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse ausgehebelt wurden. Doch auch der von der «Ampel» nachgereichte Nachtragshaushalt für das Jahr 2023 steht jetzt in der Kritik.
Der Bundesrechnungshof hält den in der vergangenen Woche vom Kabinett verabschiedeten Nachtragshaushalt für «verfassungsrechtlich äusserst problematisch». Das geht aus einem achtseitigen Gutachten der Aufsichtsbehörde hervor, das bei einer Expertenanhörung am Dienstag im Haushaltsausschuss des Bundestages eingebracht werden soll.
Sondervermögen wurden ignoriert
Konkret wirft der Rechnungshof der «Ampel» vor, bei der Berechnung der erlaubten Kreditaufnahme einige bestehende Sondervermögen ignoriert zu haben. Als Beispiele werden etwa die Fonds für den Ausbau der Kinderbetreuung und für die digitale Infrastruktur vom Rechnungshof benannt. Die Kredite aus diesen Sondervermögen seien bei der Neuverschuldung nicht berücksichtigt worden, was «aus Sicht des Bundesrechnungshofs jedoch geboten» wäre , heisst es im Papier.
Verfassungsrechtliche Probleme sieht die Behörde auch noch an einer anderen Stelle. So warnt der Rechnungshof davor, dass eine rückwirkende Legitimation bereits getroffener Entscheidungen mit dem parlamentarischen Budgetrecht in «verfassungsrechtlich bedenklicher Weise» in Konflikt stehen könnte.
Die Kontrollbehörde reagiert damit auf den Versuch von Finanzminister Lindner, den erneuten Bruch der Schuldenbremse mit dem Ausrufen einer Notlage nachträglich zu heilen. Seinen Schritt begründete der FDP-Politiker mit Verweis auf den Krieg in der Ukraine und die daraus resultierende Energiekrise.
Kritik kommt auch von Verfassungsexperten
Doch nicht nur der Bundesrechnungshof, auch der Verfassungsrechtler Hanno Kube sieht diesen rückwirkenden Rechtskniff kritisch. Einzelne Begründungselemente des Notlagenbeschlusses erschienen «problematisch», schreibt er in seinem Gutachten für die Haushaltssitzung. Es bleibe deshalb ein verfassungsrechtliches Risiko, das die Bundesregierung trage.
Ähnlich sieht es der Ökonom Thiess Büttner von der Universität Erlangen-Nürnberg, der etwa daran zweifelt, dass die Energiekrise der vergangenen Monate für die Bundesregierung tatsächlich ein unkontrollierbares Ereignis war, das ein Aussetzen der Schuldenbremse rechtfertigt. «Die Bundesregierung hat vielmehr das Energieangebot ungeachtet der ausgerufenen Notlage durch das Abschalten von Kraftwerken verknappt und so zu einem weiteren Preisanstieg für Energie beigetragen», schreibt er in seinem Gutachten für den Ausschuss.