Tuesday, November 19, 2024
PD-Kanzlerkandidatur: Wer Führung bei Scholz bestellt, bekommt Wischiwaschi
Wirtschaftswoche
SPD-Kanzlerkandidatur: Wer Führung bei Scholz bestellt, bekommt Wischiwaschi
von Haerder, Max • 18 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Die SPD bekommt die Debatte um die Kanzlerkandidatur nicht eingefangen. Wird es Scholz? Oder doch noch Pistorius? Über die Kunst der politischen Selbstdemontage.
Ein Satz von ihm würde reichen, ein einziger. Boris Pistorius könnte sich vor eine Kamera stellen und unmissverständlich sagen: „Ich stehe als Kanzlerkandidat der SPD nicht zur Verfügung, basta.“ Sagt er aber nicht, jedenfalls nicht so. Und das ist ein Problem. Für Olaf Scholz. Für die Partei. Am Ende womöglich auch für Pistorius selbst.
Vor aller Augen entfaltet sich in der Sozialdemokratie ein Machtkampf, den so öffentlich kaum einer will, der sich aber dennoch bisher weder vermeiden noch einhegen lässt. Stand heute – Dienstag, 19. November – haben also Union und Grüne einen Kanzlerkandidaten. Die SPD stellt zwar den Kanzler. Aber einen Kandidaten, den hat sie nicht.
Pistorius gibt den roten Söder
Dass die Lage so misslich ist, hat allerdings mit der offenkundigen und längst chronischen Schwäche des Kanzlers zu tun. Sein rund 20-minütiger Ausbruch gegen Christian Lindner am Abend des 6. November verschaffte ihm nur kurz Luft und Respekt in den eigenen Reihen – einerseits. Andererseits vermeidet der überaus beliebte Verteidigungsminister bei jedem seiner wohlkalibrierten Auftritte ein hartes Dementi eigener Ambitionen – ohne natürlich jemals dem Kanzler auch nur einen Zentimeter in den Rücken zu fallen.
Wo immer er gerade geht und steht, flüstert Pistorius ganz leise einen Subtext mit: Wenn ihr mich ruft, werde ich mich nicht vor der Verantwortung drücken. Ein Markus-Söder-Move, nur in Rot und ungleich subtiler. Seit Wochen geht das nun schon so. Oder, um dem Verteidigungsminister einen Satz des legendären Münchner Spötters Karl Valentin nahezulegen: Mögen hätt‘ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.
Das nervöse Bild, das dabei entsteht, ist für die Partei so desaströs wie für Außenstehende hochspannend: In weniger als hundert Tagen wird gewählt. In der SPD kursieren längst interne Kampagnen-Handreichungen, in denen davon die Rede ist, „Olaf“ eine „große Bühne“ zu bauen. Zugleich bekommen weder Scholz noch die Spitzenriege von Lars Klingbeil über Saskia Esken bis hin zu Fraktionschef Rolf Mützenich einen Deckel auf die brodelnde Debatte. Einen formellen Beschluss zur K-Frage haben sie bislang nicht gefasst. Entsprechend wird da auch gerade keine Bühne gebaut, sondern eine Rampe ausgelegt ins Tal der Niederlage.
Das polit-mediale Spiel geht so lange munter weiter: Jeden Tag treten nun neue Vorder- und Hinterbänkler auf, die einen mit Namen, die anderen raunend, und fordern entweder einen Verzicht des unpopulären Kanzlers oder ein Ende der Debatte. Hier die, die den verdienten Regierungschef nicht kippen sehen wollen, auf seine Erfahrung setzen und seine Comeback-Qualitäten beschwören. Dort diejenigen, die fest davon überzeugt sind, dass Scholz für die Wählerinnen und Wähler verbrannt ist. Dass er Mandate kostet, am Ende die Macht.
Und während sich die ernsthaften unter den SPD-Strategen im Willy-Brandt-Haus lieber mit Wahlkampf-Organisation, Kampagnen-Botschaften oder den Schwächen der Konkurrenz beschäftigen würden, beschäftigt sich die Partei mit sich selbst. Womöglich, so denken manche Sozialdemokraten, positionieren sich Pistorius und auch Klingbeil in erster Linie schon für die Zeit nach Scholz. Nur, sollte dem so sein: Ist ihr Verhalten gerade karrierefördernd?
Nur wenn wir selbst begeistert sind, können wir auch andere begeistern, hat bekanntlich einmal Oskar Lafontaine gesagt, als er noch ein SPD-Parteibuch besaß. Die SPD von heute hinterlässt jedoch eher den Eindruck entgeisterter Ermattung.
Klare Frage, weiche Antwort
Der Kanzler trägt seinen Teil dazu bei. Die Regierungserklärung eine Woche nach dem Ampel-Aus am vergangenen Mittwoch – irgendwie seltsames business as usual. Als sei das Feuer der Lindner-Kündigung schon wieder erloschen. Am vergangenen Sonntag dann, kurz vor dem Abflug nach Rio de Janeiro zum G20-Gipfel, wird Scholz dann direkt zur K-Debatte befragt. Es lohnt sich, daraus wörtlich zu zitieren.
Frage: „Herr Bundeskanzler, in Ihrer Partei wächst der Widerstand gegen eine Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz. Werden Sie trotzdem unter allen Umständen bei Ihrem Anspruch auf diese Kanzlerkandidatur bleiben? Wann erwarten Sie da von Ihrer Parteiführung eine Entscheidung?“
Scholz: „Ich habe den Bundesminister der Finanzen entlassen, aus gutem Grund. Das sehen wohl sehr viele in Deutschland genauso. Es ging nicht mehr. (…) Klar ist auch: Das bedeutet, dass wir jetzt bald Wahlen haben werden. Dazu werde ich die Möglichkeit schaffen. Und die SPD und ich, wir sind bereit, in diese Auseinandersetzung zu ziehen, übrigens mit dem Ziel, zu gewinnen.“
Das ist O-Ton Scholz im Herbst 2024: Wer Führung bei ihm bestellt, bekommt Wischiwaschi.
Lange, das ist mittlerweile auch führenden Genossen klar, kann die K-Frage nicht mehr ungeklärt bleiben. Eine Entscheidung muss her. „Es sei denn“, sagt einer, „wir wollen die Schlüssel zum Kanzleramt schon vor der Wahl im Konrad-Adenauer-Haus deponieren.“ Der weit verbreitete Eindruck, Scholz treibe mit blutender Wunde im Meer und die Haie kreisten ihn ein, wirkt jedenfalls verheerend.
Auf entsprechend maue 15,16 Prozent bringt es die SPD gerade in Umfragen. Wenn der Mann im Bendler-Block, den Scholz durch seine Ernennung überhaupt erst ins Berliner Licht gerückt hat, nicht bald einen unmissverständlichen Satz sagt, werden es womöglich noch deutlich weniger.