Tuesday, November 19, 2024
Analyse von Ulrich Reitz - Zwei Schwachpunkte lassen Olaf Scholz jetzt gefährlich wackeln
Analyse von Ulrich Reitz - Zwei Schwachpunkte lassen Olaf Scholz jetzt gefährlich wackeln
Artikel von Von FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz • 8 Std. • 5 Minuten Lesezeit
Heute entscheiden wohl Saskia Esken, Lars Klingbeil und die anderen SPD-Führungsgenossen, ob Olaf Scholz wieder Kanzlerkandidat werden soll. Das ist nicht einfach, denn: Scholz kann kaum liefern, was die Genossen von ihm erwarten.
An diesem Dienstagabend entscheidet die sozialdemokratische Parteispitze möglicherweiseüber die Kanzlerschaft von Olaf Scholz. Das hat es noch nie gegeben (also: fast nie, dazu gleich mehr), der Fall sichert Scholz in jedem Fall einen Eintrag im Geschichtsbuch. So oder so.
Olaf Scholz will weitermachen. Ihn daran zu hindern, wäre mithin ein Putsch. Aber auch ein Fall von Verrat? Darüber lässt sich streiten, denn: Kein sozialdemokratischer Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat je einen solchen Autoritätsverlust erlitten im Amt wie Olaf Scholz.
Ergo, wenn schon Verrat: Hat Scholz dann nicht sich selbst verraten? Und auch die SPD, die es irgendwie auch im Gefühl hatte, dass es mit ihm nicht so berauschend werden könnte. Und daher die damals weitgehend unbekannte Saskia Esken in Kombination mit dem nordrhein-westfälischen Landespolitiker Norbert Walter-Borjans dem erfahrenen Bundespolitiker Scholz an der Spitze der Partei vorzog. Für ihn, von Selbstzweifeln schon damals nicht geplagt, war das eine herausragende Peinlichkeit. Die womöglich der Grund ist für diese Unkultur fehlender Selbstreflexion, die Walter-Borjans gerade in einem Interview fein herausgearbeitet hat.
Ex-Parteichefs und die Kanzlerfrage
Franz Müntefering, noch ein Ex-Parteivorsitzender aus Nordrhein-Westfalen, mit leicht angestaubtem Legenden-Status, urteilte verglichen mit „Nowabo“ schon brachialer: Es gebe kein „Vorrecht auf Wiederwahl“. Wie bitte: Ein Bundeskanzler soll in der eigenen Partei kein Vorrecht besitzen, wieder als Kanzlerkandidat nominiert zu werden? Das ist mindestens sehr kühl, eher schon erfüllt es den Tatbestand eines Maximums an Illoyalität.
Nun fällt auf: Während die schwächelnde Kamala Harris von Barack Obama und Bill Clinton rückhaltlos unterstützt wurde, hat sich keiner der Ex-SPD-Chefs auf die Seite von Scholz gestellt. Das darf man bemerkenswert finden, weil: Die drei, inklusive also Gabriel, die es beurteilen können, hat Scholz offensichtlich nicht auf seine Seite gezogen.
Das ist sein Problem, und weil von vielen jetzt ein „Harris-Moment“ beschworen wird: Das hat die US-Demokratin besser hingekriegt als der deutsche Sozialdemokrat, obwohl er Bundeskanzler ist und sie nur Vizepräsidentin war. Verloren hat sie trotzdem.
Charisma als Führungsfigur hat Scholz nie entwickelt
Eine gute Führungsfigur stiftet Loyalität aus Überzeugung. Auf Amtsautorität ist nicht angewiesen, wer hinreichend Führungs-Charisma hat. Wenn man der aktuellen SPD-Führungscrew zuhört bei deren Reden über Scholz, dann stellen sie mehr auf dessen Amt ab als auf dessen Charisma. Das ist nur ehrlich.
Ein Charisma als sozialdemokratische Führungsfigur hat Scholz nie entwickelt, obwohl er unbestreitbar eine solche ist. In dieser Beziehung hat Scholz nie an Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder herangereicht. Insofern trägt Scholz für den Verfall seiner Autorität selbst Verantwortung. Und das hat dann eben Folgen.
Partei braucht zwei Garantien: Macht und Mandate
Ein Regierungschef ist das Aushängeschild seiner Partei. Daraus erwächst eine doppelte Erwartung an ihn: Der Bundeskanzler sichert einerseits die Mandate „seiner“ Bundestagsabgeordneten. Diese Erwartung der Parlamentarier an ihn ist legitim, denn umgekehrt erwartet der Regierungschef, dass seine Abgeordneten ihn sichern – indem sie im Bundestag die Koalitionsmehrheit mit gutem Beispiel für die anderen – beiden – Regierungspartner tragen.
Unter Führung von Fraktionschef Rolf Mützenich hat die SPD die Kanzler-Erwartung voll erfüllt – nicht ein Mal haben die SPD-Abgeordneten gegen die Regierung gestimmt oder gar gegen Scholz revoltiert. Insofern dürfen sie auch „Grummeln“ über Scholz, wie es Mützenich formuliert hat. Einerseits.
Andererseits: Das war die erste Stellungnahme, mit der ein echtes Führungsmitglied auf Distanz ging zu Scholz. Womöglich war es auch ein Signal. Weitere Abgeordnete folgten dann auch ihrem Fraktionsvorsitzenden mit Scholz-kritischen Bekundungen – die prominentesten wiederum aus Nordrhein-Westfalen.
Das zweite, was ein Kanzler „seinen Leuten“ liefern muss, ist: Macht und Ansehen. Oder zumindest die Aussicht darauf. Wenn sie sich in den Wahlkreisen anhören müssen, ihr Kanzler solle doch endlich einmal „auf den Tisch hauen“, befördert das auch nicht ihre Loyalität zum Kanzler.
Ein Kandidat benötigt eine Erzählung
Scholz hat gesagt, womöglich hätte er Christian Lindner früher hinauswerfen sollen oder müssen. Das zielt ab auf die Stimmung an der Basis. Dass der Kanzler es nicht früher tat, schmälerte seine Autorität in der eigenen Partei.
Es hilft Scholz auch nicht, wenn eindeutig bei der SPD verortete „Influencer“ wie Carsten Maschmeyer, die einem anderen Kanzler-Aspiranten sehr geholfen haben, ins Amt zu kommen, Gerhard Schröder, nun urteilen, der jetzige Amtsinhaber sei „ideenlos“ und „führungsschwach“. Denn beide Vorwürfe treffen einen wunden Punkt.
Ein Kanzler, der wiedergewählt werden will, benötigt eine Erzählung, die seine Wiederwahl in der Bevölkerung begründet. Kein Kanzler wird wiedergewählt wegen vermeintlicher Verdienste, auch nicht für „Besonnenheit“.
Zumal der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil auch schlecht widersprechen kann, wenn ein führender Oppositions-Repräsentant wie Markus Söder öffentlich sagt, derlei (der Ukraine-Krieg auf westlicher Seite) werde ausschließlich in Washington entschieden. Womit der CSU-Chef auch sagte: Wem hilft am Ende überhaupt die Scholzsche Besonnenheit?
Scholz verfügt nicht über eine Erzählung wie etwa Schröder, der zu seiner Zeit nicht etwa mit der Aussicht auf die erste rot-grüne Regierungskoalition auf Bundesebene warb. Eine „Fortschrittskoalition“ hat Schröder auch nicht angekündigt, sondern: „Innovation und Gerechtigkeit“.
Und als Perspektive die Sicherung der Mehrheit für die sozialdemokratische Partei durch eine „neue Mitte“, dabei anknüpfend auf internationale Erfolge vergleichbarer links-mittiger Kaliber: Bill Clinton und Tony Blair. So etwas Verheißungsvolles hat Scholz nicht zu bieten. Es entspricht auch nicht seinem Naturell.
Noch nie wurde ein sozialdemokratischer Kanzler weggeputscht. Als die SPD Helmut Schmidt die Gefolgschaft aufkündigte, auf dem Kölner Parteitag, als sie sich gegen sein sicherheitspolitisches Kernstück stellte, die Nato-Nachrüstung, da war Schmidt schon nicht mehr Bundeskanzler.
Kurz zuvor hatte ihn Helmut Kohl mit Hilfe eines Konstruktiven Misstrauensvotums abgelöst. Folgerichtig trat Schmidt, derart von der eigenen Partei mit Misstrauen belegt, auch nicht mehr an. Bei der Wahl 1983 musste Hans-Jochen Vogel dann gegen Kohl verlieren. Was Schmidts Nachruhm sicherlich zugute kam.
Erhard und der Autoritäts-Verlust
Nun noch der zu Anfang versprochene einzige Regierungschef, der von der eigenen Partei gemeuchelt wurde. Das geschah, Achtung: nachdem ihm die Liberalen als Koalitionspartner die Gefolgschaft in finanzpolitischen Fragen aufgekündigt hatten. Sie weigerten sich, neue Schulden aufzunehmen, wie er es wollte.
Zudem hatte dieser Kanzler da auch die Autorität in den eigenen Reihen längst verspielt, sein Vorgänger hatte die schmutzigen rheinischen Hände dabei im Spiel. Die Autorität büßte er ein, weil er nicht mehr als Garant für Mandate und Macht „seiner“ CDU/CSU-Abgeordneten einstehen konnte. Man glaubte es ihm nicht mehr, obwohl niemand bis dahin einen größeren Namen hatte.
Das Schicksal des innerparteilichen Putsches traf den Vater des deutschen Wirtschaftswunders, des Garanten für Deutschlands Wiederaufstieg nach dem Krieg. Mr. „Wohlstand für alle.“ Sein Name: Ludwig Erhard. Auch der Mann mit der Zigarre musste die bittere Erfahrung machen:
Wenn es um Mandate geht und um Macht, da zählt in einer Partei, die auf sich hält, nicht das Gestern. Nur das Morgen.