Sunday, September 22, 2024

„Mächtigere Kreise“ - Schröder verrät, wie er Ukraine-Frieden aushandelte - und warum dieser gescheitert ist

„Mächtigere Kreise“ - Schröder verrät, wie er Ukraine-Frieden aushandelte - und warum dieser gescheitert ist Artikel von FOCUS Online • 1Tage • 6 Minuten Lesezeit Diplomatisch, aber deutlich äußerte sich Deutschlands früherer Kanzler Gerhard Schröder zur internationalen Lage. Dabei spricht er über den Ukraine-Krieg und sagt, ein Frieden sei in Griffnähe gewesen. Zudem äußert sich Schröder zu Sahra Wagenknecht und Donald Trump. Den Ukraine-Krieg hält Gerhard Schröder nach wie vor für sehr gefährlich. Man unterschätze im Westen das Risiko einer Eskalation. Putins Einmarsch vor zweieinhalb Jahren sei ein „schwerer Fehler“ gewesen, denn selbst eine in die Nato integrierte Ukraine hätte keine akute Bedrohung für Russland bedeutet. Allerdings übersehe man im Westen allzu leicht die historisch begründeten Sicherheitsinteressen Russlands. „Gerade wir Deutsche sollten uns vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs und der im Namen Deutschlands verübten Verbrechen vorsichtig und konstruktiv verhalten“, sagte Schröder. Der Vernichtungskrieg der Wehrmacht gegen die Sowjetunion forderte 26 Millionen Tote. Ukraine-Hilfe nur mit Auflagen Er sei nicht dagegen, die Ukraine mit Finanzhilfe und Waffen bei der Selbstverteidigung zu unterstützen. Doch die Gaben seien seitens der EU mit der Forderung an die Regierung Selenskyj zu verbinden, ernsthafte und realistische Friedensszenarien vorzulegen: „Auch dieser Krieg wird man mit Verhandlungen beenden müssen. Militärisch jedenfalls ist er nicht zu entscheiden. Es wird Kompromisse brauchen.“ Auf die Frage, ob ihn die heutige Bundesregierung aufgrund seiner guten Beziehungen zu Präsident Putin jemals als diplomatischen Berater oder Unterhändler angefragt habe, antwortete Schröder zum Erstaunen des Publikums mit „Nein“. Allerdings sei er via den Schweizer Ringier-Verlegern von ukrainischer Seite kontaktiert worden. Das habe schließlich zu seiner Teilnahme an den Friedensverhandlungen von Istanbul geführt. Frieden in Griffnähe  Erstmals gab Schröder detaillierte Einblicke in diese russisch-ukrainischen Gipfelgespräche: „Zuerst stand die Schweiz als Austragungsort zur Diskussion, doch das wollten die Ukrainer nicht.“ Auch Dubai wurde abgelehnt, schließlich sei man auf die Türkei gekommen. Schröders Frau, gelernte Dolmetscherin aus Südkorea, habe die Protokolle geführt. Entgegen manchen Behauptungen in den Medien, erzählte Schröder, sei ein Frieden in Griffnähe gewesen. Der offenbar zunächst mehrheitsfähige Kompromiss des Altkanzlers bestand darin, die Ostgebiete in der Ukraine zu behalten. Für die Krim habe es eine „Südtiroler Lösung“ gegeben, also gewissermassen eine russische Enklave zuzulassen. Kiews Nato-Beitritt wäre auf Eis gelegt worden. Es habe sich allerdings bald einmal herausgestellt, dass die Selenskyj-Regierung nicht frei entscheiden könne. Ohne konkreter zu werden, deutete Schröder an, es hätten „mächtigere Kreise“ hinter Selenskyj einen Frieden abgeblockt. Man habe offenbar geglaubt, durch eine Weiterführung der Kampfhandlungen Russland strategisch zu schwächen. Medien und US-Generäle waren damals überzeugt, es sei möglich, Putin militärisch zu besiegen, ja aus dem Amt zu kegeln. Putin militärisch nicht zu besiegen Solchen Hoffnungen erteilte Schröder eine Absage. „Ich empfehle allen, die das glauben, in die Geschichtsbücher zu schauen.“ Versucht hätten es einige, gescheitert seien alle, von Napoleon bis Hitler. Nach Zweifeln am Anfang stünden die Russen jetzt mit großer Mehrheit hinter ihrem Präsidenten. „Sie sind überzeugt, dass der Westen die Ukraine nur als Speerspitze benutzt, um Russland in die Knie zu zwingen.“ Es sei ja schon merkwürdig, fügte Schröder schmunzelnd hinzu, dass er sich heute beim Gedanken ertappe, auf einen Politiker Friedenshoffnungen zu setzen, der nun nicht gerade zu seinen Favoriten gehöre: Donald Trump. Dem unkonventionellen Amerikaner aber traue er zu, seine Ansage zu verwirklichen, den Krieg noch vor Amtsantritt zu beenden. „Das zeigt, dass Trump Europa nicht egal ist.“ Großer Verlierer Europa Nach der Ukraine gehöre die EU, gehörten Deutschland und Europa nämlich zu den ganz großen Verlierern dieses Kriegs. Auch deshalb müsse er enden, vom Leid und von den Toten einmal ganz abgesehen, sagte Schröder. Er bedauere, dass Frankreich und Deutschland nicht enger zusammenarbeiten, um Washington die Stirn zu bieten, wie Präsident Chirac und er das damals beim zweiten Irakkrieg getan hätten. Der Kanzler unterstrich mehrmals, er sei kein Gegner der Amerikaner. Aber es gebe Situationen, in denen die Interessen Europas und die Interessen der USA einander zuwiderlaufen würden. Das sei heute der Fall, und das müsse man den Amerikanern sagen. Schröder erzählte, wie Putin damals den Franzosen Chirac diskret vom Irak-Irrtum überzeugte und dabei einer Zusammenarbeit mit den Deutschen den Weg ebnete. Ostpolitik ein Fehler? – „Quatsch“ Ausdrücklich verteidigte Schröder seine Ostpolitik. Stets habe er sich von bedeutenden sozialdemokratischen Traditionen leiten lassen, verkörpert durch Willy Brandt und Egon Bahr. Die Behauptung, das sei alles ein großer Fehler gewesen, bezeichnete er als „Quatsch“. Aus historischer Erfahrung würden es die Leute spüren: Ex-Kanzler Schröder plädierte für Offenheit und Freihandel mit der ganzen Welt. Auch China dürfe nicht weggeblockt werden, das sei Gift für die deutsche Wirtschaft. Von Kanzler Scholz, ließ er durchblicken, wünsche er sich ein noch beherzteres Eintreten für den Frieden. „Die gescheiterte Groß- und Militärmacht Deutschland ist als Friedensstifter glaubwürdig.“ Und die Sozialdemokratie sei die Friedenspartei schlechthin. Scholz, Merz, Nord Stream Mit Blick auf den Wahlkampf im nächsten Jahr sieht Schröder die SPD keineswegs als chancenlos. Die Achillesferse von CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz: Er sei zu sehr Befehlsempfänger Washingtons. Die US-Kriegsziele würden „nur etwa 20 Prozent der Deutschen“ teilen. Scholz habe eine -Chance, wenn er sich als Friedenskanzler profiliere gegen den Erz-Transatlantiker Merz. Noch sei er da zu unentschlossen. Zur Frage der Nord-Stream-Sprengung wollte sich Schröder nicht auf die Äste wagen, obwohl er „eine Theorie“ habe. Immer noch präsidiert er den Verwaltungsrat der Betreiberfirma in Zug. Allerdings hätte er, wäre er Bundeskanzler gewesen, nicht wie Scholz schweigend neben Präsident Biden gestanden, als dieser im Februar 2022 die Zerstörung der Pipeline plastisch in Aussicht stellte. Ob er, der begnadete Wahlkämpfer, in dieser explosiven Zeit nicht noch einmal als Kanzler kandidieren wolle, wurde er nur halb im Scherz gefragt. Auch ein Trump sei ja bereits rüstige 78. Lachend winkte Schröder ab. Er spiele lieber Golf und verbringe Zeit mit seiner Frau. Dem aktuellen Hype um Kamala Harris traut er nicht. Er glaubt, trotz allem werde Trump das Rennen machen. „Eine Kommunistin ist die nicht“ Unaufgeregt kommentierte Schröder die Lage in Deutschland. Respekt habe er vor Sahra Wagenknecht. „Eine Kommunistin ist die nicht.“ Mit seinem alten Partner, Gegenspieler und Wagenknecht-Ehemann Oskar Lafontaine habe er sich längst ausgesöhnt. Auch mit Otto Schily, dem großbürgerlichen Mitstreiter von einst, verbinde ihn nicht nur eine Freundschaft, sondern die realistische Sicht auf unsere Welt. Im Gespräch mit Gästen kam Schröder auf die AfD und den damit verbundenen Stress zu -sprechen. Er plädierte für Gelassenheit. Die Partei sei noch „unausgegoren“. Darum habe er Verständnis, dass man mit ihr nicht koalieren wolle. Trotzdem sei die rechte Opposition nach fairen demokratischen Regeln zu behandeln. Die prinzipielle Ausgrenzung von Behördenämtern nach Proporz sei falsch. Lob für die Ostdeutschen Deutschland mache derzeit eine Identitätskrise durch, sagte der Ex-Kanzler. Man müsse wieder ins Gespräch kommen miteinander. Lob zollte er den Ostdeutschen, die in den Medien oft verleumdet wurden. „Die haben die DDR noch in den Knochen und die Nase voll von Sozialismus und staatlicher Arroganz.“ Anstatt sie zu beleidigen, solle man ihnen zuhören. Deutschland sei durch die Wiedervereinigung konservativer geworden. Ungebrochen vertraue er auf die Demokratie und die offenen Gesellschaften des Westens. „Das ist unsere große Stärke, die Meinungsfreiheit, die Debatte, das Ringen und Streiten um Lösungen.“ Das sei zwar manchmal schwer zu ertragen, aber gerade darin liege der Vorteil gegenüber autoritären Systemen. Allerdings seien wir im Begriff, diese Errungenschaften preiszugeben, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Deutschland besser als sein Ruf Von einer ausweglosen Krise Deutschlands wollte Schröder nichts wissen. Schon damals, als er seine erfolgreichen „Agenda 2010“-Reformen lancierte, habe man Deutschland den „kranken Mann Europas“ genannt. Das sei massiv überzogen gewesen. So getitelt habe der englische Economist, dabei sei Großbritannien damals um einiges „kränker“ gewesen als Deutschland. Deutschlands Probleme seien die Folge von Übertreibungen und Fehlern, die man korrigieren könne. Auch er sei für Asyl, aber wenn man den Missbrauch zum Standard mache, zerstöre man diese großartige Tradition. Der Wirtschaft sei mit simplen Rezepten nicht zu helfen, aber eine Klimapolitik gegen die Unternehmen sei falsch. Außerdem leide der Wohlstand massiv unter einer fehlgesteuerten Außenpolitik. Auf Einladung der Weltwoche referierte -Schröder rund zwei Stunden im „Dolder Grand“ vor 500 Leuten, nachher stand er einem kleineren Kreis beim Abendessen für weitere Fragen zur Verfügung. Wehmütig blickte er dabei auf seine Kindheit in ärmlichen Umständen zurück und erzählte von seiner Mutter, Kriegswitwe, die den Kindern trotz allem ein liebevolles Zuhause bot, ohne das er seine Laufbahn nie geschafft hätte.