Monday, January 8, 2024
Kommentar von Hugo Müller-Vogg - Die Wagenknecht-Partei ist in doppelter Hinsicht anders als alle anderen
Kommentar von Hugo Müller-Vogg - Die Wagenknecht-Partei ist in doppelter Hinsicht anders als alle anderen
Artikel von Von FOCUS-online-Autor Hugo Müller-Vogg •
14 Std.
Sahra Wagenknecht will mit ihrer neuen Partei bei der Europawahl, aber auch den diesjährigen Landtagswahlen antreten. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ ist besonders, denn: es steht sozialpolitisch weit links, aber gesellschaftspolitisch rechts.
Eines kann man der neuen Partei nicht absprechen: Mut zum Risiko. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit (BSW)“ will in diesem Jahr gleich bei vier Wahlen antreten: bei der Europawahl am 9. Juni sowie bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September.
Für eine Partei, die an diesem Montag mit 44 Mitgliedern startet und zunächst nur 450 Mitglieder aufnehmen will, ist das eine enorme Herausforderung. Mit einer so kleinen Zahl an aktiven Mitstreitern 16 Landesverbände aufzubauen und dazu noch den entsprechenden Unterbau auf Kreisebene zu schaffen, stellt eine enorme organisatorische und finanzielle Herausforderung dar.
Mindestens ebenso schwierig fällt der Partei ihre inhaltliche Positionierung, wie sich bei der ersten Pressekonferenz zeigte. Wie genau ihr Eintreten für soziale Gerechtigkeit aussehen und wie es finanziert werden soll, bleibt vorerst offen.
Putin dürfte dieser Truppe viel Erfolg wünschen
Klar ist nur eines: Die Ukraine soll von Deutschland militärisch nicht mehr unterstützt werden. Der Kriegsverbrecher Putin dürfte dieser Truppe viel Erfolg wünschen – im eigenen Interesse.
Sahra Wagenknecht, der einstige Talkshow-Star der Linken, griff die Ampel-Koalitionäre schärfer an als andere Parteien. Der Bundesregierung warf sie „Unfähigkeit und Arroganz“ vor. Offenbar soll das BSW zum Sammelbecken aller Unzufriedenen werden, die Heimstatt aller, sich als abgehängt oder zu kurz gekommen fühlen.
Damit zielt sie eindeutig auf die AfD-Wähler. Dass AfD-Mitglieder jetzt direkt zu ihr wechseln, schloss die Parteigründerin „aus inhaltlichen Gründen“ aus. Einen förmlichen Unvereinbarkeitsbeschluss plant das BSW offenbar nicht.
Wagenknecht grenzt sich von der AfD ab
Unproblematisch findet Wagenknecht hingegen, falls bisherige AfD-Wählern künftig ihr Kreuz beim BSW machen. Schon bei ihrer „Friedensdemo“ im Februar vergangenen Jahres hatte Wagenknecht kein Problem darin gesehen, dass sich AfD-Anhänger freudig bei dieser „neuen Friedensbewegung“ gegen die Unterstützung der Ukraine einreihten.
Immerhin grenzte sich Wagenknecht nach mehreren Nachfragen in einigen Punkten von der AfD ab: Diese lehne deutsche Waffenexporte nicht grundsätzlich ab, wolle nicht die Fluchtursachen in den Heimtaländern vieler Migranten bekämpfen oder setze auf eine kapitalgedeckte Rente. Mit den rassistischen und völkischen Untertönen der Äußerungen vieler AfD-Politiker setze sie sich jedoch nicht auseinander.
Der erste BSW-Parteitag ist für den 27. Januar in Berlin geplant. Dort sollen die Kandidaten für die Europawahl nominiert und das Europawahlprogramm beschlossen werden.
Der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi, früher ein enger Mitarbeiter Wagenknechts, soll die Liste anführen. Für Platz zwei ist der ehemlaige Düsseldorfer SPD-Oberbürgermeister Thomas Giesel vorgesehen.
BSW will gezielt von der SPD enttäuschte Wähler ansprechen
Mit Giesel will das BSW offenbar gezielt von der SPD enttäuschte Wähler ansprechen. Giesel, 2022 von den Düsseldorfer Bürgern nach sechs Jahren im Rathaus abgewählt, beklagte, er sehe seine sozialdemokratischen Überzeugungen heute in der SPD nicht mehr vertreten.
Giesel schwärmte geradezu davon, dass Deutschland unter dem SPD-Kanzler Helmut Schmidt wirtschaftlich ein Modell für andere Länder gewesen sei. Auch lobte er die Friedens- und Entspannungspolitik Willy Brandts.
Giesel scheint indessen vergessen zu haben, dass Deutschland am Ende von Schmidts Amtszeit unter hoher Arbeitslosigkeit, hoher Inflation und hoher Staatsverschuldung litt. Das war von einem „Modell Deutschland“ nichts mehr zu sehen.
Bei Brandt hat der neue Wagenknecht-Fan offenbar verdrängt, dass dieser Friedenspolitik und Verteidigungsbereitschaft zu verbinden wusste. Während der Kanzlerschaft Brandts fielen die Verteidigungsausgaben nie unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 2022 macht sie gerade noch 1,4 Prozent so. So viel zu verklärenden Rückblicken.
Wagenknecht waren ihre persönlichen Ziele wichtiger als die Linke
Die neue Partei hat bisher nicht viel mehr zu bieten als eine sehr bekannte Gründerin; an Entschlossenheit, das Parteiensystem aufzumischen, fehlt es ihr nicht.
Ihr Antreten bei der Landtagswahl in Thüringen dürfte die Aussichten von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), sein Amt zu verteidigen, nicht befördern.
Aber auf die Linke hat Wagenknecht noch nie Rücksicht genommen, noch nicht einmal, als sie an der Spitze der Bundestagsfraktion stand. Ihre persönlichen Ziele waren ihr stets wichtiger.
Die Wagenknecht-Partei ist in doppelter Hinsicht eine andersartige Partei als alle anderen: Sie steht sozialpolitisch weit links, gesellschaftspolitisch und in der Zuwanderungspolitik dagegen rechts.
Eine Kanzlerin Wagenknecht wird Deutschland nicht erleben
Zudem war noch nie eine Partei bei ihrer Gründung so sehr auf eine einzelne Person zugeschnitten, dass sie nach der benannt wurde. Ob sich die Parteigründerin und ihre „Wagenknechte“, wie ihre Anhänger von ihren Ex-Genossen genannt werden, etwa an einem österreichischen Beispiel orientiert haben?
Zur Erinnerung: 2017 trat die Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter neuem Namen an: „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei (ÖVP)“. Doch hier endet die Parallele: Kurz wurde Kanzler. Eine Kanzlerin Wagenknecht wird Deutschland dagegen nicht erleben.