Monday, January 29, 2024
Streik beendet: Gar nichts ist gut bei der Bahn
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Streik beendet: Gar nichts ist gut bei der Bahn
Artikel von Edo Reents •
57 Min.
Claus Weselsky sprach am Freitag noch auf einer Kundgebung in Dresden, bevor er sich mit den Unterhändlern der Bahn wieder an einen Tisch setzte.
So erfreulich der Streikabbruch für sich genommen auch sein mag – glaube niemand, dass bei der Bahn nun wieder alles gut ist. Die Hoffnung, das Land werde durch das unerwartete Einlenken der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer im öffentlichen Verkehr wieder zum Normalbetrieb übergehen können, war von Anfang an trügerisch. Denn diesen Normalbetrieb gab es nie und wird es auch in Zukunft nicht geben, nicht, wenn gestreikt wird, aber eben auch nicht, wenn nicht gestreikt wird. Es spielt inzwischen nämlich keine Rolle mehr, was Weselsky seinen Leuten befiehlt. In der Bahn ist, so oder so, der Wurm drin, und er wird sich dort weiter vorarbeiten.
Man ist eingelullt und zermürbt
„Dennoch wird es im Verlauf des Montags noch zu vereinzelten Einschränkungen im Angebot des Fernverkehrs kommen“: Was die Bahn, in begreiflicher Erleichterung über das vorzeitige Streik-Ende, am Montagmorgen verlauten ließ, nimmt man, eingelullt und zugleich zermürbt, wie man ist von der An- und Durchsagerei, zur Kenntnis, aber nicht direkt ernst. Es ist schwer zu entscheiden, was jetzt an dieser speziellen und wahrscheinlich ja nur gutgemeinten Mitteilung aufreizender ist: das „Dennoch“, mit dem so getan wird, als liefe es bei der Bahn nur dann nicht rund, wenn gestreikt wird, und man die ganzen Pannen immer schön den Gewerkschaften in die Schuhe schieben dürfte, oder die „vereinzelten Einschränkungen“, die vielleicht doch noch eine Spur schräger anmuten. Stichproben, die ohne hämisch-rechthaberische Ambition, sondern nur aus gewohnheitsmäßigem Fatalismus heraus vorgenommen wurden, ergaben für den Online-Fahrplan vom Montag vergangener Woche, also schon zwei Tage vor Streikbeginn, allein für die Strecke Heidelberg-Frankfurt vier Zugausfälle, und das auch nur vormittags; auf das weitere Elend war einem die Lust da schon wieder vergangen. Und für diesen Montag, nach Streikende, sind für die nämliche Strecke und den nämlichen Zeitraum dann sogar fünf Zugausfälle vermerkt – Ausfälle, nicht etwa bloß Verspätungen.
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Nach dem Streik ist vor dem Streik, das ist immerhin richtig. Momentan aber, und wer weiß, für wie lange, sieht die Betriebslogik so aus: Vor dem Streik ist es schlimm, danach noch schlimmer. Wir werden das die Tage jedenfalls scharf im Auge behalten. So viel zu den vereinzelten Einschränkungen. Die Frage ist, woher ein staatliches Unternehmen die Zuversicht nimmt, den Fahrgästen, kaum ist das scheinbar Schlimmste überstanden, gleich wieder ein X für ein U vormachen zu können. Weselsky, dieser wahrhaft tollkühne Oberbefehlshaber der Streikkräfte, wird wohl auch in Zukunft noch für Überraschungen gut sein, vielleicht sogar bis zum längst legendären Sanktnimmerleinstag im Jahr 2070, wenn der Deutschlandtakt fix und fertig sein soll.